Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zu einem Kurzbesuch in den USA aufgebrochen - es ist seine erste Auslandsreise seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor knapp zehn Monaten. Zu den Hauptthemen gehören weitere Waffenlieferungen. Ziel sei eine Stärkung der Stabilität und Verteidigungsfähigkeit seines Landes, schrieb er am Mittwochmorgen auf Twitter. Am Abend (20 Uhr MEZ) trifft er sich mit US-Präsident Joe Biden, anschließend sind eine Pressekonferenz (22.30 MEZ) und ein Auftritt vor dem Kongress geplant.
USA liefern wahrscheinlich Pariot-Abwehrsysteme
Biden will US-Angaben zufolge auch bekanntgeben, dass sein Land der Ukraine das Patriot-Flugabwehrsystem liefert. Es könnte Experten zufolge die militärische Lage entscheidend verändern, weil es Flugzeuge, Marschflugkörper, Drohnen oder Raketen auch in größerer Entfernung abwehren kann. Erschwert würden also die russischen Angriffe mit Raketen und Drohnen auf die zivile Infrastruktur, die seit Wochen für viel Leid in der Ukraine sorgen. Mit besseren westlichen Waffen könnte die Ukraine immer mehr zur „No-Fly-Zone“ für russisches Fluggerät werden.
Es ist die erste Auslandsreise Selenskyjs seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar. Der 44-Jährige hat seine bisherigen Auftritte vor ausländischem Publikum - etwa bei den G7 - stets per Videoschalte absolviert. Die Hauptstadt Kiew verließ der Präsident nur zu Reisen innerhalb des Landes, zuletzt war er am Dienstag in der schwer umkämpften Frontstadt Bachmut, um die Soldaten zu motivieren.
Inzwischen sind russische Kräfte nach britischer Einschätzung in die seit Monaten umkämpfte Stadt Bachmut eingedrungen. „Die russische Infanterie hat jetzt wahrscheinlich in den östlichen Industriegebieten der Stadt Fuß gefasst und ist zeitweise in die Wohnviertel der Stadt vorgedrungen“, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. „Straßenkämpfe dauern an.“
Die USA haben die Ukraine seit Beginn des Krieges mit milliardenschweren Militärhilfen und Geheimdienstinformationen unterstützt. Biden wird am Mittwoch ein weiteres Militärhilfe-Paket in Höhe von knapp zwei Milliarden US-Dollar ankündigen, wie ein hochrangiger Regierungsvertreter mitteilte. Am Patriot-System werden die ukrainischen Streitkräfte demnach in einem Drittland ausgebildet. Er machte dazu keine weiteren Angaben.
Naheliegend und wahrscheinlich ist, dass Ukrainer - wie auch bei anderen Waffensystemen schon praktiziert - in Deutschland ausgebildet werden, beispielsweise auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern.
Moskau hatte Washington zuletzt vor einer Patriot-Lieferung gewarnt. Wie andere schwere Waffen auch würden diese Komplexe für die russischen Streitkräfte zu „rechtmäßigen vorrangigen Zielen“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, vergangene Woche. Die US-Regierung liefert bereits Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars oder das Flugabwehrsystem Nasams in die Ukraine.
„Wir sind nicht auf einen direkten Krieg mit Russland aus“, sagte der US-Regierungsvertreter. Und daran werde sich auch mit Selenskyjs Besuch und der Lieferung der Patriot-Batterie nichts ändern. Es gehe darum, eine Botschaft an Russlands Präsident Wladimir Putin und an die Welt zu senden, „dass Amerika für die Ukraine da sein wird, so lange es nötig ist.“
Am Dienstag hatten sich Republikaner und Demokraten im US-Kongress auf einen Haushaltsentwurf geeinigt, der auch milliardenschwere Militärhilfen enthält. Das Paket mit einem Volumen von 1,7 Billionen US-Dollar (1,6 Billionen Euro) sieht unter anderem 44,9 Milliarden US-Dollar (42,3 Milliarden Euro) „Hilfen“ für die Ukraine vor. Über den Entwurf müssen allerdings noch der Senat und das Repräsentantenhaus abstimmen.
Putin will Zwischenbilanz ziehen
Putin will ebenfalls an diesem Mittwoch (12.00 MEZ) eine Zwischenbilanz des Kriegs ziehen und einen Ausblick geben. Putin leitet eine erweiterte Sitzung des Verteidigungsministeriums, zu der 15 000 Kommandeure und andere militärische Führungskräfte per Video zugeschaltet werden sollen, wie der Kreml mitteilte.
Putin hatte am Dienstag in Moskau mit den von ihm eingesetzten Besatzungschefs der ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk die aktuelle Lage an der Front erörtert. Wie schon tags zuvor hob Putin die extrem schwierige Lage in den beiden Regionen hervor, wie die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtete. In der Unterredung mit dem Donezker Besatzungschef Denis Puschilin und dessen Luhansker Kollegen Leonid Paschetschin wollte sich Putin zunächst mit „lebenswichtigen Fragen“ der Versorgung der Zivilbevölkerung in den beiden Gebieten mit Wasser, Heizung und Gesundheitsdiensten befassen, hieß es. „Erst danach werden wir zu Fragen der Sicherheit übergehen.“
Kämpfe um ostukrainische Frontstadt Bachmut dauern an
Nach dem Besuch Selenskyjs in der Frontstadt Bachmut im Osten des Landes kam es in der Umgebung erneut zu schweren Kämpfen. „Der Feind setzt seine Bemühungen um Offensivoperationen gegen Bachmut und Awdijiwka fort“, teilte der Generalstab in Kiew am Dienstagabend mit. Unter anderem seien aus der Region Panzerangriffe gemeldet worden, ebenso wie Artillerieüberfälle und vereinzelte russische Luftschläge.
Nördlich davon hätten russische Truppen versucht, bei Kupjansk bessere Stellungen zu erreichen. Dort habe die russische Armee „ihr ganzes Spektrum“ der Artillerie gegen mindestens 15 Siedlungen eingesetzt, hieß es weiter. Die Angaben aus Kiew ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Das russische Militär hat ukrainischen Medienberichten zufolge erneut mit der Verlegung stärkerer Truppenverbände an die Grenze von Weißrussland zur Ukraine begonnen. Neben Panzern, Schützenpanzern und Transportern sei auch diverses militärisches Gerät in die Nähe der Grenze gebracht worden, berichteten die Ukrajinska Prawda und die Agentur Unian am Dienstag unter Berufung auf das belarussische Hacker-Kollektiv „Hajun Project.“ Die Gruppe verfolgt alle Aktionen der dort stationierten russischen Truppen. Für Angriffshandlungen seien die an die Grenze verlegten Verbände gegenwärtig aber nicht stark genug, hieß es.