Die Industrie in Deutschland hat im November einen herben Dämpfer beim Auftragseingang verzeichnet. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts vom Freitag brach der Auftragseingang im Monatsvergleich um 5,3 Prozent ein.
Im Jahresvergleich fiel der Auftragseingang im November um deutliche 11,0 Prozent. Ökonomen verwiesen auf die Auftragsbestände in den Industriebetrieben, die trotz des Rückschlags nach wie vor hoch seien und deshalb Arbeit für die kommenden Monate bieten würden.
Das Bundeswirtschaftsministerium sprach in einer Stellungnahme vom Freitag von einem Abwärtstrend beim Auftragseingang, der sich wieder verstärkt fortgesetzt habe. „Die Auftragsdaten zeigen, dass die Industrie einen schwierigen Winter durchläuft, auch wenn sich die Geschäftserwartungen der Unternehmen zuletzt verbessert haben“, hieß es.
Der aktuelle Rückgang ist maßgeblich auf sinkende Auslandsaufträge zurückzuführen, die nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 8,1 Prozent gefallen sind. Dabei sanken die Auftragseingänge aus der Eurozone um 10,3 Prozent und die Auftragseingänge aus dem restlichen Ausland um 6,8 Prozent.
Nach Einschätzung von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank, hat der Auftragseingang das niedrigste Niveau seit Juli 2020 erreicht. Er verwies auf den Einbruch der Bestellungen aus dem Ausland. „Dies zeigt, wie stark die hohen Energiepreise die Eurozone belasten“, sagte Gitzel.
Analyst Ralph Solveen von der Commerzbank geht aber davon aus, dass die Talfahrt bei den Auftragseingängen kaum auf die Industrieproduktion durchschlagen dürfte. Die Betriebe hätten in den vergangenen zwei Jahre große Auftragsbestände aufgebaut. „Angesichts der schwächeren Auftragseingänge und der Belastung durch die hohen Energiepreise mag deshalb die Produktion in den kommenden Monaten zwar fallen, ein Einbruch ist aber unwahrscheinlich“, sagte Solveen.
Schädlicher Vierklang
Der Einbruch der Auftragszahlen ist nur ein oberflächliches Symptom einer viel grundlegenderen Entwicklung. Insbesondere vier Faktoren sind es, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft systematisch und nachhaltig schwächen: Die Energiewende, die Sanktionen gegen russische Energieträger, eine extrem hohe Steuerbelastung sowie eine immer stärker werdende Bürokratisierung.
- Für die unüberlegt umgesetzte Energiewende sind die Regierungen unter Angela Merkel in der Vergangenheit verantwortlich: der gleichzeitige Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft im Zusammenwirken mit einer politisch gewollten Verteuerung von CO2-Emissionen (Stichwort: CO2-Sondersteuer) hat schon vor Jahren dazu geführt, dass Deutschland die höchsten Strompreise aller Industriestaaten zahlen muss.
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- Massiv verschärft wurden die Folgewirkungen der Energiewende durch die Sanktionen gegen günstige russische Energieprodukte wie Erdgas, Erdöl und Diesel-Kraftstoff, welche bislang das Fundament des Erfolgs der deutschen Wirtschaft bildeten.
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- Die Steuerlast für Bürger und Unternehmen ist in Deutschland so hoch wie nirgends sonst auf der Welt und belastet die ökonomische Aktivität massiv.
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- Die ohnehin seit jeher in Deutschland hohen bürokratischen Hürden wurden in den vergangenen Jahren noch maßgeblich verstärkt – und zwar durch die Regulierungsvorschriften und planwirtschaftlichen Verbote der EU einerseits und immer neue Vorschriften im Zuge des „Klimaschutzes“ andererseits.
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De-Industrialisierung voraus
Die deutsche Wirtschaft sieht deshalb zu Recht die zunehmende Gefahr einer schleichenden Deindustrialisierung in Deutschland - mit möglichen Folgen für viele Arbeitsplätze hierzulande. Industriepräsident Siegfried Russwurm sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin, der Standort Deutschland habe zahlreiche „Handicaps“ und verliere an Wettbewerbsfähigkeit. DIHK-Präsident Peter Adrian warnte vor einer zunehmenden Verlagerung von Produktion ins Ausland.
DGB-Chefin Yasmin Fahimi kündigte an, die Gewerkschaften würden die Fragen, wie wettbewerbsfähige Industrie-Strompreise sichergestellt werden könnten, im nächsten Jahr ganz vorne auf die Tagesordnung in den Gesprächen mit der Bundesregierung setzen. „Je tiefer die Schnitte in die Wertschöpfungskette werden, je mehr Unternehmen der Wertschöpfungskette Deutschland verlassen, desto dramatischer wird der Dominoeffekt sein.“
Der Chef der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, hatte eine rundum neu entwickelte Industriepolitik für Deutschland und Europa verlangt. Nur so ließen sich die nötigen Anreize für ökologisch tragfähige Investitionen sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen schaffen - und weitere Abwanderungen etwa nach China oder in die USA verhindern.
Adrian sagte: „In Amerika betragen die Strompreise ein Fünftel dessen, was wir jetzt hier in Deutschland aufbringen. Beim Gas ist es derzeit ein Siebtel.“ Eine Abwanderung von Industrieproduktion ins Ausland sei ein schleichender Prozess. „Wir werden einen Strukturwandel unserer Wirtschaft erfahren.“
Adrian sagte, Deutschland und die EU müssten bürokratische Hemmnisse beseitigen und Planungsverfahren beschleunigen. „Das ist in anderen Ländern wesentlich einfacher und unkomplizierter, weil sie ziel- und lösungsorientiert arbeiten - während bei uns Unternehmen häufig die Erfahrung machen, dass ihnen Steine in den Weg gelegt werden.“ Das sei für Deutschland ein großes Ansiedlungshemmnis.
Russwurm sagte: „Wir sind viel zu langsam, Stichwort Genehmigungspraxis. Die Unternehmenssteuern sind im internationalen Vergleich zu hoch.“ Es brauche mehr steuerliche Anreize für Investitionen in Deutschland. „Die Energiepreise sind überfrachtet mit Steuern und Abgaben. Das können wir uns nicht mehr leisten im globalen Wettbewerb. Die aktuelle Krise ist nicht nur eine kleine Konjunkturdelle. In der grünen und digitalen Transformation gibt es für die Regierung immense Aufgaben zu erledigen.“ So sollte die Bundesregierung ein umfassendes Bürokratieentlastungsgesetz umsetzen.
Bürokratie und hohe Steuern
Die Produktionsrückgänge in den energieintensiven Industrien in diesem Jahr seien ein Risiko für wichtige Wertschöpfungsketten, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). „Die Standortbedingungen für diese Branchen haben sich durch den Krieg und die Lage an den Energiemärkten dauerhaft verschlechtert. Aber uns sind die Instrumente abhandengekommen, diese Verschlechterung frühzeitig zu erkennen: Wir haben viele Jahrzehnte gelernt, dass die Arbeitslosenquote ein guter Indikator ist, wie es unserer Wirtschaft geht. Und plötzlich gilt diese Regel nicht mehr, weil wir mehr als 400.000 Arbeitskräfte netto jedes Jahr verlieren.“
Aus dem Fachkräftemangel sei ein Arbeitskräftemangel geworden, so Russwurm. „Aber aus vielen offenen Stellen und hoher Beschäftigung den Schluss zu ziehen, der Industrie und dem Land gehe es gut, ist eine gefährliche Fehleinschätzung.“ Auch positive Ergebnismeldungen der letzten Zeit dürften nicht darüber hinweg täuschen, dass viele Unternehmen ihre Gewinne vor allem in ihren Auslandsgesellschaften machten.
„Es ist heute schon so, dass international aktive deutsche Konzerne ihre neuen Produkte leider nicht in Deutschland entwickeln, sondern woanders, wegen strikter oder zu vieler Vorgaben hier“, sagte Russwurm. Das maßgebliche Regelungswerk für die Datenwirtschaft, der Data Act, müsse europäische Datenräume schaffen, um Skaleneffekte wie in den USA oder in China zu ermöglichen.
Aktuell verpasse Deutschland wegen einer Überbetonung des Datenschutzes wichtige Chancen zum Beispiel in der künstlichen Intelligenz und in der Datenökonomie. „Ein drastisches Beispiel für die deutsche Datenangst ist die elektronische Gesundheitskarte, über die wir seit 25 Jahren diskutieren. Werde ich nachts als Notfallpatient ins Krankenhaus gebracht, will ich, dass der Arzt, die Ärztin meine Krankengeschichte kennt, dass die Daten auf Knopfdruck verfügbar sind.“