Die westlichen Alliierten sind sich nach Darstellung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius noch nicht einig, ob der Ukraine Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 zur Verfügung gestellt werden soll. „Es gibt kein einheitliches Meinungsbild“, sagte Pistorius am Rande der Beratungen der Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Stützpunkt in Ramstein am Freitag. Der Eindruck, dass Deutschland eine solche Entscheidung blockiere, sei falsch, betonte er. „Es gibt gute Gründe für die Lieferung, es gibt gute Gründe dagegen.“ Er könne daher noch nicht sagen, wie die Entscheidung auszusehen habe.
Allerdings habe er seinem Ministerium einen Prüfauftrag erteilt, um den Bestand von Leopard-2-Panzern bei der Bundeswehr und in der Industrie zu prüfen, teilte Pistorius am zweiten Tag seiner Amtszeit mit. Damit wolle er bereit sein zu handeln, falls eine Entscheidung falle. Die aktuelle Situation in der Ukraine sei „außerordentlich dramatisch“, und es sei davon auszugehen, dass sich die Lage über Monate nicht ändern werde. Die Bundesregierung werde die Ukraine daher „unverändert und umfangreich“ mit Ausrüstung und Waffen unterstützen. „Deutschland wird nicht nachlassen“, um die russische Aggression möglichst schnell zu beenden.
Die Unterstützung müsse aber immer am Bedarf der Ukraine ausgerichtet sein, sagte der SPD-Politiker. Daher sei es richtig, dass Deutschland in einem „synchronisierten Vorgehen“ mit den Partnern bis zu 40 Schützenpanzer vom Typ Marder bereitstelle. Die Auslieferung des Geräts beginne Ende Januar. Zugleich stelle die Bundesregierung sicher, dass ukrainische Soldaten am Marder ausgebildet würden.
Priorität eins habe derzeit aber die Luftverteidigung, auch mit Blick auf Munition. Deutschland werde der Ukraine deshalb weitere sieben Luftabwehrpanzer vom Typ Gepard liefern, was die Gesamtzahl auf 37 dieser Geräte aus Deutschland erhöhe. Das Volumen der deutschen Unterstützung für die Ukraine steige insgesamt damit um eine Milliarde Euro auf dann 3,3 Milliarden Euro.
US-Regierung stellt sich in Panzer-Debatte hinter Deutschland
In der Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine hat sich die US-Regierung demonstrativ hinter Deutschland gestellt. Auf die Frage, warum sich Deutschland vor der Genehmigung von Kampfpanzern scheue, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Donnerstagabend (Ortszeit) im US-Fernsehen: „Die Deutschen verstehen sehr gut, was in der Ukraine auf dem Spiel steht.“
Deutschland sei einer der „größten Geldgeber“ und habe seine Unterstützung kontinuierlich ausgebaut. „Wir sind dankbar für das, was sie zur Verfügung gestellt haben, und wir sind dankbar dafür, dass sie darüber nachdenken, Kampfpanzer zu liefern - wir werden sehen, was sich daraus ergibt“, sagte Kirby. Deutschland treffe souveräne Entscheidungen, angepasst an die Belange des Landes.
Warum Scholz bisher kein grünes Licht gibt
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von einer medialen Schieflage gegenüber Deutschland und dem Leopard-Panzer in der Frage:
ABSTIMMUNG MIT DEN USA
Scholz beharrt darauf, dass eine enge Abstimmung vor allem mit den USA zwingend ist. Bei Mehrfachraketenwerfern und Schützenpanzern habe man daher gemeinsam Lieferungen entschieden. Ein Regierungssprecher dementierte, dass es ein "Junktim" zur Lieferung von Abrams-Kampfpanzern der USA gebe. Aber es geht sehr wohl darum, dass man sich transatlantisch gemeinsam bei der Lieferung neuer Waffensysteme aneinander bindet - schon um Moskau kein falsches Signal zu senden. Denn nur die Supermacht USA könnten Europa im Fall einer Eskalation gegen Russland verteidigen, wird in Regierungskreisen betont. Die Kritik am Zögern müsse Deutschland dann eben aushalten, es gehe um eine Gesamtverantwortung für Europa. Einige EU-Staaten, die nicht so dächten wie Polen, versteckten sich aber auch hinter Deutschland.
SORGE VOR ESKALATION
US-Präsident Joe Biden und Scholz warnten beide vor einer Eskalation. Auf keinen Fall dürfe es zu einer Nato-Russland-Auseinandersetzung kommen, so sehr man der Ukraine im Widerstand gegen den russischen Überfall auch helfen wolle, heißt es in Regierungskreisen. Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew hatte am Donnerstag gedroht, dass eine russische Niederlage mit konventionellen Waffen zum Atomschlag führen werde. Dazu kommt, dass es offenbar in beiden Regierungen Sorge gibt, dass ein direktes Aufeinandertreffen amerikanischer oder deutscher Kampfpanzer mit russischen Panzern zu Propaganda-Zwecken missbraucht werden könnte - wobei man in Washington erkennbar den Schaden beim Leopard für geringer hält.
BRAUCHT ES DEN LEOPARD?
Dem Argument mit der Verfügbarkeit von Leopard-Panzern wird nicht widersprochen. Allerdings gibt es zumindest Zweifel am US-Argument, dass der Abrams-Einsatz logistisch zu schwierig sei. Gleichzeitig werde der Abrams an Polen verkauft, wo bereits Instandsetzungskapazitäten geschaffen würden, heißt es. Es gibt zudem eine industriepolitische Konkurrenz zwischen dem Leopard und dem Abrams. Die noch im Frühjahr geäußerte Sorge, westliche Kampfpanzer und deren Technologie könnten Russland in die Hände fallen, ist weniger häufig zu hören - war aber eine Sorge sowohl in den USA als auch in Deutschland. Denn anders als Artillerie werden Panzer an vorderster Front eingesetzt.
DAS SPIEL MIT DER ÖFFENTLICHKEIT
Immer wieder wird in der Regierung darauf verwiesen, dass auch andere Staaten in der Debatte innenpolitische Motive hätten. SPD-Chef Lars Klingbeil etwa verwies auf die deutschlandkritische Haltung der nationalkonservativen PiS-Regierung der Polen - der man gerade drei deutsche Patriot-Abwehrsysteme zum Schutz übergibt. "Die Ukraine hat uns gezeigt, wie man mit 'public diplomacy' maximalen Druck erzeugt", heißt es in der Regierung - was angesichts der dramatischen Lage ausdrücklich nicht als Kritik gemeint ist. "Nur müssen wir eben auch andere Abwägungen treffen als nur die ukrainische Sicht zu übernehmen."
LEOPARD KEINE ROTE LINIE
Ausdrücklich wird betont, dass Scholz eine Leopard-Lieferung nie ausgeschlossen habe. Auch Klingbeil und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich betonten zuletzt, dass es "keine roten Linien" gebe. Während Kritiker dies für vorgeschoben halten, wird in der SPD betont, dass es wirklich von den Umständen abhänge. "Im übrigen wird aber selten die Frage gestellt, was eigentlich nach den Panzern kommen soll", heißt es in Regierungskreisen. "Ein Gamechanger im Krieg wäre er wohl nicht." Gegen russische Luftangriffe etwa würden sie nicht helfen - und gerade bei der Luftabwehr sei Deutschland einer der führenden Lieferanten, was gerne unterschlagen werde. Zudem wurde mehrfach angedeutet, dass sich Deutschland wohl nicht dagegen stellen würde, wenn andere Länder wirklich ihre Leopards liefern wollen. Nur gebe es gar keinen Exportantrag etwa aus Polen, betont die Regierung.
SCHIEFE WAHRNEHMUNG - WER TUT WAS?
Für wachsende Verärgerung sorgt in der Regierung ohnehin, dass die Militärleistungen verschiedener Staaten völlig unterschiedlich diskutiert werden. Scholz betonte mehrfach, dass Deutschland mittlerweile der zweit- oder drittwichtigste Waffenlieferant sei, was auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lobt. Es gebe eine zu starke Fixierung auf das eine Waffensystem Leopard - während nicht gefragt werde, was eigentlich Frankreich, Italien oder andere Nato-Staaten bisher wirklich schon geliefert hätten.
EU-Staaten sollen weitere Waffen für die Ukraine finanzieren
Für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte sollen weitere 500 Millionen Euro an EU-Mitteln zur Verfügung gestellt werden. Nach Angaben eines ranghohen EU-Beamten ist geplant, für den Schritt am Montag bei einem Außenministertreffen in Brüssel die notwendige Zustimmung der Mitgliedstaaten einzuholen. Zudem gehe es um zusätzliche 45 Millionen Euro für die neue EU-Ausbildungsmission für ukrainische Streitkräfte, sagte der Beamte am Freitag. Mit den weiteren 500 Millionen Euro will die EU Waffen und Ausrüstung für die Ukrainer finanzieren.
Bislang wurden sechs mal je 500 Millionen Euro bewilligt - insgesamt also drei Milliarden Euro. Das Geld kommt aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität - ein neues Finanzierungsinstrument der EU, das genutzt werden kann, um Streitkräfte in Partnerländern zu stärken. Für sie galt ursprünglich eine finanzielle Obergrenze von fünf Milliarden Euro (zu Preisen von 2018), die aber zuletzt im Dezember um zwei Milliarden Euro aufgestockt wurde. Bis 2027 soll dann eine weitere Erhöhung um 3,5 Milliarden Euro möglich sein. Deutschland finanziert nach Angaben der Bundesregierung rund ein Viertel der Mittel.
Die Außenminister der EU-Staaten kommen an diesem Montag zu einem Treffen in Brüssel zusammen. Themen sollen neben dem Krieg in der Ukraine auch die Lage im Iran und in Afghanistan sein.