Der zukünftige Regierungschef von Schottland, Humza Yousaf, hat sich unmittelbar nach seiner faktischen Nominierung für eine Unabhängigkeit von Großbritannien stark gemacht. "Das schottische Volk braucht die Unabhängigkeit jetzt mehr als jemals zuvor", sagte der 37-Jährige am Montag nach seiner Wahl zum Chef der Schottischen Nationalpartei (SNP). "Wir werden die Generation sein, die sie umsetzt." Schottland gehöre in die Europäische Union.
In dem sechs Wochen langen, hart geführten Wahlkampf um den SNP-Vorsitz stand zudem der Streit über Sozialreformen wie etwa die Rechte von Transgender-Bürgern im Vordergrund. Yousaf soll am Dienstag vom Parlament in Edinburgh zum First Minister gewählt und am Mittwoch seinen Eid ablegen.
Yousaf wird Nachfolger von Nicola Sturgeon, die Mitte Februar nach acht Jahren im Amt zurückgetreten war. Er hat im Wahlkampf auf seinen eigenen Werdegang als Beispiel für ein inklusives, multikulturelles Schottland verwiesen, das der SNP vorschwebe. Der in Glasgow geborene Sohn einer Mutter aus Kenia und eines Vaters aus Pakistan ist praktizierender Muslim. Er legte 2016 seinen Eid auf die schottische Verfassung auf Urdu ab, während er einen Kilt trug.
Im Wahlkampf schien er seinen Glauben leichter mit der Politik der SNP in Einklang zu bringen als seine wichtigste Konkurrentin Kate Forbes, die der Free Church of Scotland angehört: Während er die Ehe für Homosexuelle unterstützte, sprach sie sich dagegen aus und erntete Kritik dafür.
Mit Yousafs Ernennung zum First Minister geht nach dem Amtsamtritt des britischen Premierministers Rishi Sunak - ein Hindu - ein zweiter hochrangiger Posten auf der Insel an ein Mitglied einer religiösen Minderheit. Die beiden Männer dürften politisch in den kommenden Monaten bei gleich mehreren Punkten aneinandergeraten: Die Regierung in London lehnt ein neues Unabhängigkeitsreferendum kategorisch ab und hat ihr Veto eingelegt gegen ein schottisches Gesetz, wonach Bürger leichter ihr offiziell eingetragenes Geschlecht ändern können sollen.
Am Montag kündigte Yousaf an, gegen das Veto vorzugehen. Der bekennende Republikaner hat sich zudem dafür ausgesprochen, die Monarchie in Schottland abzuschaffen und stattdessen ein gewähltes Staatsoberhaupt einzuführen.
Yousafs dringendste Aufgabe dürfte sein, die Einheit der SNP wiederherzustellen, historisch eigentlich eine der Stärken der Partei. Allerdings hat der Streit um die Nachfolge von Sturgeon Spuren hinterlassen. Uneinigkeit herrscht insbesondere bei der Frage, welcher Weg zu einer Unabhängigkeit führen soll. Yousaf hat sich dafür ausgesprochen, bei den etwa 5,4 Millionen Schotten wieder für die Loslösung zu werben. "Der Schlüssel zur Erlangung der Unabhängigkeit ist diese durchgehende Unterstützung durch die Mehrheit", sagte er. Dann würden auch die von London aufgestellten Hindernisse verschwinden.
Bei der Abstimmung 2014 sprachen sich 55 Prozent der Schotten gegen ein Ende der seit drei Jahrhunderten bestehenden Union mit dem südlichen Nachbarn aus. Nach dem britischen EU-Austritt und während der Coronavirus-Pandemie stieg die Zahl der Befürworter einer Unabhängigkeit Schottlands in Umfragen an, um 2020 einen Rekordwert von 58 Prozent zu erreichen. Einer Umfrage in diesem Monat zufolge fiel sie jedoch seitdem auf 39 Prozent.