Diejenigen, die sich auch an den Wochenenden nicht vom Weltwirtschaftsgeschehen lösen mögen, konnten am vergangenen Sonntag eine handfeste Überraschung erleben: die an diesem Tag vollkommen unerwartet per Monatsende angekündigte Produktionskürzung des OPEC+ Kartells, in dem die traditionelle Organisation erdölexportierender Länder mit Russland und einiger anderer Staaten zusammengeschlossen ist, ließ auf einen spannenden Wochenstart schließen. Und dies nicht nur an den zuvorderst betroffenen Ölmärkten, angesichts der derzeitigen Gemengelage aus Rezessionsgefahr und Inflationssorgen hätte ein derartiger Angebotsschock durchaus das Zeug, um auch umfassender für Chaos zu sorgen.
So sprangen die Notierungen der beiden Benchmark-Sorten Brent und WTI zum montäglichen Handelsbeginn auch zunächst deutlich an, in der Spitze lagen beide mehr als acht Prozent über ihren Freitagsschlüssen. Möchte man dies bereits als Panik bezeichnen, so hat sich diese, zumindest bislang, nicht weiter fortgesetzt. Die Ölmärkte entspannen sich bereits wieder und etablieren bestenfalls ein im Bereich der ersten Reaktion liegendes neues Niveau. Dabei klingt der Beschluss, die bisherige Gesamtfördermenge der Gruppe in Kürze um mehr als 1,6 Millionen Barrels pro Tag zu reduzieren zunächst einmal dramatisch – und so wird sie seitens der Initiatoren ja auch verkauft. Bei näherer Betrachtung relativiert sich die Problematik jedoch deutlich.
Russische Halbwahrheiten
Aktuell beläuft sich die Menge des täglich weltweit geförderten Rohöls auf etwa 102 Millionen Barrel, auf die OPEC-Staaten entfällt dabei ein Anteil von gut 40 Prozent. Russland produziert nach offiziellen Angaben etwas mehr als zehn Millionen Barrel pro Tag. Insgesamt geht es also um eine Produktionskürzung von rund 1,6 Prozent. Dies jedoch auch nur, wenn man die Daten so liest, wie es die OPEC+ gerne hätte. Zum einen wird gerne vergessen zu erwähnen, dass Russland seine Produktion - als Reaktion auf Sanktionsmaßnahmen gegen das Land - bereits seit März um eben jene im jetzigen Zusammenhang angeführten 500.000 Barrel heruntergefahren hat und es nun lediglich um eine Fortführung dieser Mengenreduzierung geht und keine neuerliche Kürzung.
Darüber hinaus lag die tatsächliche russische Fördermenge im März etwa 200.000 Barrels über dem offiziellen Wert, was, bezogen auf die angegebene Basis, de facto zu einer Reduzierung um lediglich 300.000 Barrels pro Tag führt. Und dies auch nur, wenn Russland tut, wie angekündigt. Weitgehend unbekannt ist zudem, dass sich mit der alljährlich zu dieser Zeit beginnenden Wartungsperiode der russischen Raffinerien, die heimische Nachfrage stets ohnehin auf ein Minimum reduziert. Dies wird jede Produktionskürzung zunächst kompensieren und infolgedessen die Exporte, und nur diese sind für die Ölmärkte wirklich wichtig, vermutlich kaum betroffen sein.
Fördermenge versus Förderquote
Interessanterweise handelt es sich bei den „freiwilligen Produktionsanpassungen“ der betroffenen Mitgliedsstaaten des Ölkartells genau genommen nicht um konkrete Verminderungen der aktuellen Fördermengen, sondern um Absenkungen der jedem Produzenten zustehenden jeweiligen Quote. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass die meisten Mitgliedsstaaten der Allianz aufgrund verschiedener Probleme ohnehin unterhalb ihrer Förderziele produzieren.
Im Februar, dem letzten Monat, für den offizielle Produktionszahlen vorliegen, zusammengenommen immerhin um fast zwei Millionen Barrel. Selbst die saudische Produktion lag in den letzten Monaten unter der von der Organisation der erdölexportierenden Länder festgelegten Quote. Der Begriff „Fördermenge“ wird hier regelmäßig mindestens irreführend gebraucht, was im Hinblick auf die zu erzielende Schockwirkung damit ausgestatteter Schlagzeilen aber durchaus erwünscht ist. Unter dem Strich dürfte die tatsächliche Angebotsreduzierung weit unter den gerade postulierten Zahlen liegen – JPMorgan schätzt das OPEC-Potenzial mindestens 30 Prozent geringer ein - und sich im Falle Russlands noch nicht einmal auf die dem Weltmarkt zur Verfügung stehende Menge auswirken.
Kurspflege per Angebotsverknappung – der Schuss geht nach hinten los
In Folge der schleppender als erwartet verlaufenden wirtschaftlichen Erholung vor allem Chinas sowie des enorm schnellen, und möglicherweise über das Ziel hinausschießenden, geldpolitischen Straffungszyklus der USA, blieb Rohöl im laufenden Jahr unter Druck. Mit unter 65 Dollar notierte die US-Sorte WTI Ende März so tief wie zuletzt im Dezember 2021. Die durchaus reale Möglichkeit einer bevorstehenden, tiefgreifenden Rezession drückt die Nachfrageprognosen für das schwarze Gold weiter nach unten, zudem herrscht bereits ein Angebotsüberhang. Das Erdölproduzenten an höheren Einnahmen interessiert sind, ist verständlich. Nur deutet vieles darauf hin, dass diese auf absehbare Zeit wohl nicht „gesund“, sprich, per anziehender Nachfrage, zu erreichen sein werden.
Preisdruck über die Angebotsseite aufzubauen ist jedoch ein sehr kurzsichtiges Unterfangen und dürfte kaum erfolgreich sein. Bestenfalls verbessert das Kartell das herrschende Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in Richtung Ausgleich, dann ändert sich aber nicht viel am Preis. Der Schuss kann aber auch komplett nach hinten losgehen, wenn beispielsweise die Zentralbanken den nun wieder anziehenden Ölpreis zum Anlass nähmen, ein bereits im Gespräch befindliches Ende des laufenden Zinserhöhungszyklus aufzuschieben. Der Kampf gegen steigende Verbraucherpreise bleibt das Hauptziel der Notenbanken, und höhere Zinssätze verschlechtern die Aussichten für das Wirtschaftswachstum und dämpfen die Ölnachfrage weiter. Dass der Ölpreis auf Grund einer reinen, noch dazu in der Realität schwächer als angekündigten, Angebotsverknappung hoch bleiben wird ist kaum vorstellbar, da keine natürliche Nachfrage zu diesen Preisen existiert.
OPEC sendet Signal der Schwäche
Aus dem Kontext betrachtet ist der Preissprung zum Wochenbeginn natürlich ein starkes Signal, der in einiger Zeit sicherlich von dem ein oder anderen Marktbeobachter als bedeutend zitiert werden wird. Jedenfalls dann, wenn der Grund für diesen Anstieg wieder in Vergessenheit geraten ist (Charttechniker werden sich hier angesprochen fühlen). Für eine ausdauernde positive Trendwende am Ölmarkt bedarf es jedoch immer positiver Nachfrageüberraschungen. Angebotskürzungen, noch dazu rein präventiver Art, sind ohne ein in gleicher Richtung wirkendes fundamentales Umfeld nutzlos. Dieser Schritt des Ölkartells ist letztendlich ein Zeichen der Schwäche, eine defensive Reaktion auf fallende Preise. Die Machtposition der OPEC beruhte bislang auf der Fähigkeit, die Preise bestimmen zu können. Dieser Schritt war jedoch nicht mehr als eine Reaktion darauf.