Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Duepmann, die Bundesregierung propagiert den Einsatz von „grünem Wasserstoff“. Dieser soll einen wichtigen „Schlussstein“ für die Energiewende bilden. Was ist „grüner Wasserstoff“ und gibt es noch andere Arten des Elements?
Heinrich Duepmann: Treffender soll die Wasserstoff-Wirtschaft zunächst das Mittel gegen eine der zwei zentralen Schwächen der Energiewende, nämlich die „Dunkelflaute“ (Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht – der Autor) sein. Die zweite große Schwäche ist, in diesem Kontext nachrangig, die mangelnde Regelstromfähig, die das Stromnetz in Betrieb hält.
Darüber hinaus soll grüner Wasserstoff der Ersatz für alle fossilen Brennstoffe, also vorwiegend Öl, Kohle, Gas aber auch Holz in gewissen Konstellationen, sein, um im Zuge der Wärmewende die nunmal lebensnotwendige Energie ohne CO2-Emission mit Wärme-Abgabe zu reinem Wasser (H2O) verbrennend statt zu CO2 wie die genannten Brennstoffe zu erzeugen.
Da Wasserstoff (als Molekül H2) auf unserem Globus nicht als „Rohstoff“ vorkommt, muss man ihn künstlich erzeugen. Und wenn man diesen Erzeugungsprozess vollziehen kann, ohne dabei CO2-zu erzeugen - also den Carbon-Eintrag Null hat - spricht man, seitdem die Energiewende voranschreitet, von grünem Wasserstoff.
Nach derzeitigem deutschen Verständnis ist dieses mit menschlichen Sinnen nicht direkt wahrnehmbare Gas (unsichtbar, kein Geruch, nicht zu schmecken, gasförmig bis tief unter Null Grad) per Definition von der „Farbe Grün“, wenn es per Elektrolyse mit Strom erzeugt wird, der wiederum selbst Carbon-Eintrag Null hat, was wiederum gemäß deutscher Definition nur bei Strom aus den sogenannten „Erneuerbaren Energien“ der Fall ist, also Sonne, Wind und Biogas (neben anderen unbedeutenden Kleinstmengen wie Geothermie).
Schon seit mehr als 100 Jahren wird hauptsächlich für die Ammoniak-und Azetylen-Erzeugung für Dünger und Kunststoffe Wasserstoff unter hohem fossilen Energie-Einsatz (z.B. sogenannte Dampfreformation, also CO2-Entstehung) in industriellen Mengen erzeugt. Dieser Wasserstoff wird „grau“ genannt und ist identisch mit dem grünen, das heißt von ihm nicht unterscheidbar.
Im soeben im Kabinett genehmigten GEG24–Entwurf (Verbot der Gas- und Öl-Heizung) ist auch der „blaue“ Wasserstoff als genehmer Ersatz für Erdgas genannt: Hierbei wird bei der H2-Gewinnung wie oben das freiwerdende CO2 allerdings durch das bereits in den Jahren 2007 bis 2009 diskutierte und wegen der hohen Kosten und gewisser Risiken verworfene CCS-Verfahren (Carbon-Capture-Storage) nunmehr doch eingesetzt, um das beim Reformierungs-Prozesses entstehende CO2 zu speichern. Die Ampel führt also nunmehr das damals verworfene CCS-Verfahren en passant mit dem GEG24 ein.
Daneben hat man inzwischen noch die Farbe „Türkis“ definiert: Es gibt ein sehr Energie-intensives Pyrolyse-Verfahren zur H2-Erzeugung, bei dem Methan (CH4) direkt in Wasserstoff und Kohlestoff gespalten wird, so dass man die Kohle direkt ablagern könnte (statt sie wie der Rest der Welt zu verbrennen). Dieses Verfahren ist wegen des Energie-Einsatzes de facto ein Perpetuum Mobile, auch wenn Sonnen-Energie kostenlos ist.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Nehmen wir einmal an, die anvisierte Wasserstoffwirtschaft würde über Nacht vollständig realisiert: wie würden Industrie, Verkehr und Stromerzeugung dann in einem idealen Szenario funktionieren?
Heinrich Duepmann: Die Frage sprengt meine Vorstellungskraft, weil der Umstellungsaufwand aller energetischen Prozesse von Öl, Erdgas, Kohle und Holz (als Brennstoff, nur durch die Nutzung von Holz als Kohleersatz in unseren (Heiz-) Kraftwerken würden wir in 22 Jahren den gesamten deutschen Wald verbrennen) eine Komplexität beinhaltet, die vielleicht hunderte von Jahren zur Bewältigung benötigt.
Retrograd kann man das vielleicht aus der nun bald 100 Jahre zurückliegenden Hindenburg-Luftschiff–H2-Katastrophe in Lakehurst, USA, ableiten. Damals war man bereits in der Lage, für die damalige Zeit große Mengen H2 herzustellen. Einen Verbrennungsmotor mit H2 zu betreiben, ist für jeden Techniker mit geringster Erklärung verständlich machbar. Trotzdem ist in diesen 100 Jahren keine Entwicklung in dieser Richtung erfolgt.
Der Grund liegt in den physikalischen und chemischen Eigenschaften von H2 begründet, was vermutlich auch für all die anderen umzustellenden Prozesse noch völlig unbekannte Aufgabenstellungen hervorrufen wird. Natürlich haben Kosten und gesunder Menschverstand in diesen Jahren auch Bedeutung gehabt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie weisen darauf hin, dass – Stand heute – eine Verwirklichung dieser Pläne illusorisch ist. An welchen zentralen Schwachstellen könnte die Wasserstoffwirtschaft demnach scheitern?
Heinrich Duepmann: Der Versuch der Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft (als Ersatz für eine fossile Energiewirtschaft) kann aus zwei Gründen nicht erfolgreich sein und dieses in Deutschland bereits begonnene Projekt ist deshalb abzubrechen:
1. In der unterlegten Konzeption ist ein Gesamt-Wirkungsgrad von 15 Prozent zu erwarten. Nach unseren (NAEB) Berechnungen würde allein Deutschlands Energieversorgung neben der innerdeutschen aus Photovoltaik erzeugten Überschuß-Strommenge eine Fläche in der Größe Nordafrikas ab etwa dem zehnten nördlichen Breitengrad erfordern. Vermutlich würde eine weltweite Umstellung weit mehr Fläche als die gesamte Erdoberfläche einschließlich der Meere beanspruchen.
2. Die Vorratshaltung von Wasserstoff würde in der Menge eines Drittel-Jahresbedarfes zwei Millionen Kavernen (40 Meter Durchmesser, 200 Meter hoch) in den Salzstöcken Norddeutschlands und unter der Nordsee bedeuten (abgeleitet aus der heutigen Vorratssituation in Kombination mit gesicherten Beschaffungen z.B. aus Braunkohletagebau, Kohlehalden, Öl und Erdgas in Kavernen und oberirdischen Tanks, Holzeinschlag).
Der Energie-Gesamtbedarf Deutschlands wird mit 4.000 Terawattstunden (TWh) angenommen. Vergleichsweise würde eine konventionelle Energie-Vorhaltung des deutschen Gesamtbedarfes in Steinkohle eine Quaderförmige Halde von 7,5 km Länge, 100 m Breite und 20 m Höhe ausmachen – eine überschaubare Größe.
Die unvorstellbare Zahl von zwei Millionen Kavernen, die sich räumlich wegen der exzellenten deutschen, weltweit vermutlich einzigartigen, Salzstockstrukturen sogar herstellen ließen, resultiert aus den sehr ungünstigen physikalisch-chemischen Eigenschaften von H2.
Es ist das kleineste/erste Element in der Periodentafel, woraus letztlich die geringe Energiedichte resultiert. Ob allerdings die Kavernen-Speicherung überhaupt sicherheitstechnisch vertretbar ist, wird derzeit in einem Feldversuch getestet, womit allerdings selbst bei Erfolg durchaus keine Gewähr für eine generelle Eignung gegeben ist.
H2 ist ein sehr reaktionsfreudiges Element und was sich in den vielen hundert Millionen Jahren des Entstehens an Einlagerungen in den Salzstöcken ergeben hat und dann an den Kontaktflächen nach dem Spülen (Bierflaschenform) zu chemischen Reaktionen bis hin zum Knallgas-Effekt entstehen kann, sprengt vermutlich menschliche Vorstellungskräfte.
Das Spülen (Herstellen durch Wegspülen des Salzes) einer derartigen Kaverne dauert heute rund zwei Jahre und es ist eine Pipeline für An- und Abtransport von Wasser zum Meer erforderlich. Die Dauer der Spülzeit, die ja nach den deutschen Politiker-Plänen 2045 abgeschlossen sein müsste, würde bei angenommen 4.000 parallelen Kavernen-Spülvorgängen (derzeit dürften weniger als 10 parallele Spülungen in Arbeit sein) 500 Jahre also bis etwa ins Jahr 2500 dauern.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der benötigte Wasserstoff soll in Deutschland aus „Überschussstrom“ hergestellt und auch aus dem Ausland importiert werden. Wird aus Ihrer Sicht künftig überhaupt genügend Strom zur Elektrolyse vorhanden sein? Schließlich dürfte auch der Strombedarf deutlich ansteigen.
Heinrich Duepmann: Wir haben bei NAEB in unseren Kalkulationen an Hand der COB-Werte von Wärmepumpen, des derzeit gegebenen Mobilitätsverhaltens der Bürger und des Wärmebedarfs für Wohnen und industrielle Prozesse einen Rückgang des Gesamtverbrauchs von rund 4.000 TWh auf 3.100 TWh angenommen mit einem Stromanteil von 800-1.000 TWh, ausgehend von heute rund 550 TWh für Strom.
Ein großer Unsicherheitsfaktor ist hier der Energiebedarf für Gütertransport (LKW). Die Politik hat nicht abschließend formuliert, welcher Energietyp hier der zukünftige sein wird. Den Anteil der inländischen Stromerzeugung in direkter Nutzung bzw. über Kurzzeit-Pufferung per Batterie nehmen wir mit 400 TWh unter Berücksichtigung des Wärmepumpeneinsatzes an.
Den Anteil der verwertbaren (Begrenzungsfaktor Elektrolyse-Kapazität) inländischen Strom-Überschußerzeugung sehen wir bei 250 TWh, was bei einem angenommenen Wirkungsgrad von 40 Prozent (statt 15 Prozent wie beim Import) zu circa 100 TWh Nutzenergie führt. Somit verbleibt ein Netto-Import (nach Zwischen-Speicherung und innerdeutschem Pipeline-Transport) von 2.000 TWh (*), woraus sich ein Voltaik-Strom-Bedarf von 13.300 TWh jährlich ergibt; der heutige deutsche Gesamtbedarf an Strom ist 550, inländisch erzeugt.
Auf Basis derzeit realistischer Annahme von 1.000 kWh Jahresertrag in ertragreicher Region (Äquatornah, kurze Regenzeit) je Quadratmeter Landfläche (2/3 Panel-bedeckt) bedeutet das eine Fläche, die jener Nordafrikas bis etwa 10 Grad nördlicher Breite entspricht.
Zweifelsfrei ist die Zeit des Kolonialismus vorbei, so dass damit ein dritter allein hinreichender Grund gegeben wäre, dieses Projekt nicht zu beginnen.
(*) Hier ist eine Nettomengen-Kumulation vorgenommen. Letztlich fehlt dabei die H2-Menge für den Turbinenbetrieb bei der Stromerzeugung, der in der Größenordnung 700 TWh liegen könnte, was als alternativen Voltaik-Strommengenwert 17.300 statt 13.300 TWh ergäbe. Andererseits ist die bisherige Gesamt-Energiemenge hoch angesetzt, so dass es hier um zwei gegenläufige Unsicherheiten geht.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Zum Import von Wasserstoff aus dem Ausland: Existieren dazu konkrete Pläne? Und ist der Transport über weite Strecken aus Ihrer Sicht technisch und wirtschaftlich machbar?
Heinrich Duepmann: Ich habe im Januar in einem Vortrag der Firma Open Grid Europe GmbH (OGE) eine Vorstellung dieses Projektes mit realistischen und für uns plausiblen und nachvollziehbaren Kosten-Informationen und allerdings völlig anderen Mengen-Annahmen bezogen auf die Jahre 2030 und 2045 gehört. OGE rechnete mit Bezugspfaden über Nordafrika und den Vorderen Orient.
Die Planung sind sehr konkret, erwähnt wurden Anreizprogramme für Investitionen in Photovoltaik in diesen Regionen als in Vorbereitung vorgestellt.
Grundsätzlich ist diese Konzeption technisch realisierbar und unter Berücksichtigung der politischen und Bevölkerungs-Restriktionen machbar. Zweifelsfrei werden allerdings, abgesehen davon, dass dort ja nicht Niemandsland ist, unvorstellbare und von mir auch nicht einschätzbare Klima-Auswirkungen durch die Belegung derart großer Flächenanteile unseres Globus mit Voltaik-Anlagen eintreten, die vermutlich alle Kontinente tangieren werden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wenn man die benötigte Primärenergie tatsächlich wie im Rahmen der Energiewende geplant komplett auf Wasserstoff und fossilfreien Strom umstellen möchte, muss Wasserstoff in großem Umfang gespeichert werden. Dazu sollen auch Salzkavernen im norddeutschen Tiefland umgewidmet werden. Können Sie unseren Lesern die Dimension der Speicherproblematik anhand dieser Kavernen erläutern?
Heinrich Duepmann: In der Frage nach den Schwachstellen hatte ich bereits das Kavernen-Problem kurz angerissen. Bisher ist das Problem der Speicherbarkeit überhaupt nicht thematisiert. Wir haben auch vielfach nachgerechnet, bevor wir die Zahl von zwei Millionen Kavernen für die Vorhaltung eines Drittels des Jahresbedarf vertreten haben.
Allerdings machen die Ereignisse der letzten Jahre klar, dass man auch außergewöhnliche Ereignisse berücksichtigen muss. Und wir haben noch die Auswirkungen auf den Flugverkehr im Gedächtnis, als vor wenigen Jahren der Ausbruch eines isländischen Vulkans für viele Monate den Flugverkehr empfindlich behinderte. Ein solcher Ausbruch sogar am anderen Ende der Welt könnte schlagartig und für lange Zeit den Voltaik-Ertrag um bis zu 50 Prozent reduzieren, was dann für Deutschland ein unvorstellbares Schadensausmaß bedeuten würde, denn Wasserstoff in den erforderlichen Mengen ließe sich dann nicht mehr erzeugen.
Allerdings ist auch die Kavernen-Sicherheit nicht abschließend geprüft und H2 weist nun mal das sogenannte Knallgas-Verhalten auf. Das ganz Norddeutschland wie auf einem Schweizerkäse mit Knallgas-Ballons sitzen wird, lässt sich hoffentlich durch die noch laufenden Tests ausschließen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welcher Preis wird am Ende der internationalen Wasserstoff-Lieferkette stehen? Ist die deutsche Wirtschaft damit noch konkurrenzfähig?
Heinrich Duepmann: Die Beantwortung des zweiten Teils der Frage ist für jedermann bis hierhin schon klar.
Zum ersten Teil: Der Beschaffungspreis für eine Kilowattstunde Wasserstoff (Heizwert) wird nach unserer Kalkulation eines angenommen Voltaik-kWh-Preises von 3 Cent bei 18,6 Cent an einer innerdeutschen Pipeline-Abgabestelle liegen. Das entspricht dem 22-fachen des Preises für russisches Erdgas, wie er im Dezember 2019 von der Moscow Times und von Herrn Putin selbst auf einer Presseveranstaltung im Juli 2022 genannt wurde.
Die Herstellungskosten einer Kilowattstunde (KWh) Strom werden bei rund 33 Cent liegen, was dem Zehnfachen des Durchschnitts-Erzeugungspreises für Strom im Jahr 2019 entspricht (ohne EEG-Anteile und Steueranteile).
Der Abgabepreis für Strom an Endverbraucher wird unseren Berechnungen zufolge bei 150 Cent/KWh liegen, was das Zehnfache des Preises aus dem Jahr 2010 ausmacht.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Lässt sich die deutsche Gas-Infrastruktur Ihrer Meinung nach Wasserstoff-kompatibel umrüsten? Existieren schon geeignete Turbinen, um Wasserstoff wieder in Strom oder Wärme umzuwandeln?
Heinrich Duepmann: Die Zielrichtung der deutschen Politik ist nicht klar. Die Firma OGE – vermutlich das federführende Organ der Politik – geht von einem zügigen Ausbau des H2-Pipeline-Netzes durch Umwidmung eines der jeweils als Tandems ausgelegten Stränge des derzeitigen Erdgas-Netzes auf H2 (Ertüchtigung/Neubau) für einen wahrscheinlich über mehrere Dekaden laufenden Parallel-Betrieb mit dem bestehenden Erdgas-Netz aus.
In parallel laufenden Pilotprojekten mit inländischem Überschußstrom für Elektrolyse wird ein H2-Beimischungskonzept unterstellt. Hier orientiert man sich an der Ist-Situation, nämlich, dass keine H2-geeigneten Gasturbinen verfügbar sind. Beide Konzepte tragen Risiko-Elemente, deren Behandlung hier den Rahmen sprengt.
Wie eine Migration von einer Erdgas-Versorgung zu einer H2-Versorgung ablaufen soll, wenn nicht vollständiger Gas-Brennstoffverzicht auf Endverbraucher-Ebene durchgesetzt werden soll, ist ein völlig unklarer Punkt, unter anderem auch wegen des Gefahren-Risikos der Wasserstoffpipeline-Strecken.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gibt es auf der Welt noch andere Länder, die sich der Wasserstoffwirtschaft verschrieben haben oder ist Deutschland auf diesem Gebiet ein einsamer Vorreiter?
Heinrich Duepmann: Im Konzept von OGE war die internationale H2-Logistik als reines Einbahnstraßen-System Richtung Deutschland dargestellt. Japan hat mit H2-Anlieferung aus Australien experimentiert und dafür auch den bisher einzigen H2-Tanker der Welt entwickelt – treibt die Entwicklung derzeit aber wohl nicht mehr voran. Andere Pläne sind weltweit nicht bekannt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Birgt Wasserstoff spezifische Risiken, die bei seiner Nutzung beachtet werden sollten?
Heinrich Duepmann: Wasserstoff ist als kleinstes Element mit dem niedrigen Schmelz- und Siedepunkt schwer beherrschbar. Es bedarf spezieller Werkstoffe für Leitungen und Ventile. Auch die Energie-Abgabe ist anders (schlechter) als bei anderen Gasen im Brennprozess, da das Strahlungsband schmal ist.
Auch die Odorierung, d.h. die Beimischung eines Duftstoffes zur Gefahrenwahrnehmung ist (bisher zumindest) nicht möglich, da es stets zu einer schnellen Entmischung kommt. Man sagt im Slang: „Der Wasserstoff schlüpft durch alle Kristallstrukturen hindurch.“
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Zuletzt ein Kommentar zur Politik der Energiewende ganz allgemein: Kann sie gelingen? Wie wird sich die Situation in den kommenden Jahren Ihrer Einschätzung zufolge entwickeln?
Heinrich Duepmann: Die Energiewende ist nicht gescheitert. Scheitern kann nur ein Projekt, wo man etwas versucht, dessen Umsetzung scheitern kann oder wo es mehrere Wege der Umsetzung gibt und es gilt, den besten Ansatz experimentell zu erkennen.
Dass die Energiewende, das heißt die Versorgung einer Volkswirtschaft (präziser ausgedrückt einer Strom-Regelzone oder mehrerer) allein mit den Stromerzeugern Voltaik, Windkraft und Biogas-Anlage nicht möglich ist, ist jedem Elektro-Ingenieur klar, der sich mit der (Strom-)Netztechnik auseinandergesetzt hat.
Aber auch dem fachfremden Bürger ist eingängig, dass nachts keine Sonne scheint, meistens der Wind nicht passt, Strom großtechnisch nicht speicherbar ist und die Verdreifachung der volkwirtschaftlichen Gesamtkosten der Stromversorgung bei unveränderter Verbrauchsmenge binnen 20 Jahren von 2000 – 2019, wohngegen weltweit die Strompreise konstant geblieben sind, Anlass genug sind, damit aufzuhören.
Das Projekt ist und war unsinnig von Beginn an und hätte nie begonnen werden dürfen. Schon die Formulierung, wonach die Energiewende gescheitert sei, ist ein Element der Beeinflussung, da sie suggeriert, dass sie bei anderer Auslegung zum Erfolg hätte gebracht werden können.
Für Deutschland gälte es jetzt aus der Sackgasse raus zu kommen, und da ist in der prekären Versorgungssituation nur noch der Erhalt der Kohleverstromung existenziell wichtig. Ansonsten wäre alles andere vergeblich. Auf der WEB-Site von NAEB e.V. Stromverbraucherschutz sind die 6 elementaren Aktions-Punkte formuliert (naeb.info).
Wie das weiter oder besser zu Ende gehen kann, vermag ich nicht einzuschätzen. Im Jahr 2000 bei der Einführung des EEG habe wir gesagt, das werden die nicht vorantrieben, die müssen das merken. Beim ersten Kernkraft-Abschaltbeschluss im Jahr 2002 haben wir das Gleiche gesagt, 2011 beim 2. Abschaltbeschluss habe ich dann allerdings schon prognostiziert, dass die Kohle als nächstes dran sein würde.
Seit 2019 versuchen wir vergeblich, die Bürger für das Problem der Vernichtung der Kohleverstromung zu sensibilisieren. Vielleicht gelingt dies jetzt mit dem Heizungsverbot, das Thema Wasserstoff ist nicht griffig genug – denn weder Erdgas noch Wasserstoff kann man sehen.
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Heinrich Duepmann ist Dipl.-Mathematiker, ehemalige Führungskraft in deutschen Unternehmen und Vorsitzender des im Jahr 2009 gegründeten Vereins NAEB Stromverbraucherschutz mit Schlüsselerlebnis im Jahre 1988 anlässlich der zweiten bundesdeutschen Energiekrise.