In Indien werden mehr als 90 Prozent aller Diamanten weltweit hergestellt. Zentrum der Branche ist die historische Handelsstadt Surat an der Nordwestküste des Landes. Die Polierer, die dort an ihren Schleifscheiben sitzen und Rohsteine in schillernde Edelsteine verwandeln, haben ihre Ruf auch dadurch erworben, dass sie die kleineren Edelsteine aus den sibirischen Minen bearbeiten können. Denn in traditionellen Diamantenzentren wie Antwerpen könnten die winzigen Diamanten nur teuer produziert werden, mit denen Juweliere zum Beispiel die Seiten von Ringen verzieren.
Auf diese Weise ist Russland nach wie vor der größte Diamantenproduzent der Welt. Denn die indischen Diamantenschleifer, welche die russischen Rohsteine zu Edelsteinen veredeln und weiterverkaufen, gelten als ihre Produzenten. Doch dies dürfte sich bald ändern. Es wird erwartet, dass die G7-Staaten sich noch in diesem Monat auf gemeinsame Maßnahmen gegen den Verkauf russischer Diamanten in ihren Ländern einigen werden. Denn sie wollen im Zuge des Ukraine-Kriegs Russland den Zugang zu Finanzmitteln erschweren.
Noch im Jahr 2021 hatten Russlands Rohdiamantenexporte einen Wert von 4 Milliarden Dollar, wie Handelsstatistiken zeigen. Das ist zwar nur ein Bruchteil der russischen Rohölexporte, doch nachdem die westlichen Sanktionen gegen russisches Öl nach hinten losgegangen sind, sollen nun offenbar die Diamanten zum Erfolg führen. Immerhin hat der russische Fiskus Alrosa, den nach Volumen größten Bergbauer von Diamanten der Welt, der sich zu zwei Dritteln in Staatsbesitz befindet, mit einer Sondersteuer in Höhe von 19 Milliarden Rubel (227 Millionen Euro) belegt und Dividendenzahlungen untersagt.
G7 wollen russische Steine wie Blutdiamanten behandeln
In den USA, dem weltweit größten Markt für bearbeitete Diamanten, hat die Regierung in Washington bereits eigene Maßnahmen ergriffen. Das US-Finanzministerium verhängte bereits im April letzten Jahres Sanktionen gegen Alrosa, und Präsident Joe Biden verbot den Import russischer Rohdiamanten. Die EU folgte diesem Beispiel jedoch nicht, da Belgien sich gegen Beschränkungen wehrte, die seiner Diamantenhandelsindustrie in Antwerpen schaden könnten. Doch bald werden sich die G7-Staaten den USA anschließen, indem sie Bemühungen unterstützen.
Dies geht aus einem Entwurf für ein Kommuniqué hervor, den die Financial Times einsehen konnte und der darauf abzielt, einen wirksamen Mechanismus Rückverfolgung einzelner Edelsteine einzuführen. Die Hoffnung besteht offenbar darin, dass dies den Weg für ein Verbot russischer Diamanten durch die EU ebnen würde. Antwerpen käme mit einem Inspektionssystem besser zurecht, das Edelsteine nicht einfach in andere Diamantenzentren umleiten würde, und zugleich würden die USA ihre eigenen Sanktionen verschärfen.
Wenn sich die G7-Staaten auf ein System einigen, müssen die Zollbehörden in den westlichen Ländern eine Erklärung darüber abgeben, woher die eintreffenden Diamanten ursprünglich stammen. Dies wäre ein großer Unterschied zu heute, wo der Zoll lediglich ein von der Regierung ausgestelltes Zertifikat verlangt, das garantiert, dass die Steine die Anforderungen des von den Vereinten Nationen unterstützten sogenannten Kimberley-Prozesses erfüllen, der den Verkauf von "Blutdiamanten" verhindern soll, die in Kriegsgebieten abgebaut und zur Finanzierung von Aufständen verwendet werden.
Initiative des Westens ist Schlag gegen Indien
Die USA wollen erreichen, dass die Rückverfolgbarkeit von Diamanten auch nach dem Krieg beibehalten wird, sagen Führungskräfte der Branche. Demnach soll das Konzept der "Blutdiamanten" auf alle Edelsteine ausweitet werden, die zur Finanzierung von staatlich unterstützten Kriegen sowie von Aufständen verwendet werden. Doch die gesamte Branche vom Bergbau über Händler bis zu den indischen Schleifern fürchtet, dass die neue im Rahmen des Ukraine-Kriegs geplante Regulierung ihren Lebensunterhalt dauerhaft schädigt.
Indien verbinden freundschaftliche Beziehungen zu Russland. Die Abkehr von russischen Diamanten würde hier Hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Anoop Mehta, Präsident der riesigen Bharat Diamantenbörse in Mumbai, schätzt, dass eine Million Menschen im indischen Diamantenhandel beschäftigt sind. "Russische Diamanten tragen zu 60 Prozent zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der indischen Industrie bei", zitiert ihn die Financial Times. "Je kleiner und billiger der Stein ist, desto mehr Leute braucht man, um ihn zu schleifen und zu polieren".
Ramesh Savaliya schätzt, dass etwa drei Viertel der Diamanten, die er in seinem kleinen Betrieb mit rund 25 Polierern bearbeitet, aus Russland stammen. Die kleinen Brillanten, die auf einem Samttablett auf seinem Schreibtisch glitzern, waren einst unter der schneebedeckten sibirischen Tundra versteckt. Nachdem die Rohdiamanten aus den Alrosa-Minen geholt worden waren, wurden sie von Händlern in der ganzen Welt gehandelt, bis sie schließlich in Savaliyas kleinem Betrieb in Surat landeten.
Undurchsichtige Lieferketten
Nach Angaben von Edahn Golan, einem Analysten der Diamantenindustrie, stammen etwa 30 Prozent der Diamanten aus afrikanischen Minen, die von De Beers betrieben werden, das sich im Besitz der in London notierten Anglo American befindet, während 40 Prozent aus den Minen von Alrosa in Russland stammen. Die Minenbetreiber verkaufen an ausgewählte Diamantenhändler in den Zentren Antwerpen, Dubai, Mumbai und Tel Aviv, die Rechte an einer bestimmten Menge Rohdiamanten pro Jahr haben - begehrte Positionen, da es nur wenige Diamantenminen gibt, von denen man direkt kaufen kann.
Käufer suchen immer eine bestimmte Größe, Reinheit und Farbe. Daher filtern sie alles heraus, was sie nicht brauchen, und verkaufen es weiter. Die Steine "wechseln viele, viele Male den Besitzer", sagt Russell Mehta, Geschäftsführer des Diamantenhändlers Rosy Blue India, in seinem Büro in der Diamantenbörse von Mumbai. Händler wie Rosy Blue verkaufen die Rohsteine, die sie nicht wollen, an Händler in anderen Zentren, welche die Diamanten in Indien von Vertragspartnern oder ihren eigenen Arbeitern schleifen lassen oder sie weiterverkaufen. Schließlich fließen die geschliffenen Diamanten zurück zu den Händlern, die sie in Paketen an westliche Käufer wie Tiffany, Signet Jewelers, Cartier oder Harry Winston verkaufen.
Rohdiamanten dürfen nur verkauft werden, wenn sie mit einem Kimberley-Prozess-Zertifikat versehen sind. Bei der Sortierung, Auswahl und dem Handel mit Rohdiamanten werden sie mit Diamanten aus anderen Minen vermischt und sind dann nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Auf dem KP-Zertifikat wird ein Paket insgesamt als "gemischter Ursprung" ausgewiesen. Die russischen Diamantenexporte nach Belgien haben in den letzten sechs Monaten einen enormen Anstieg der als "gemischter Ursprung" eingestuften Pakete zu verzeichnen:
- Null von April bis September 2022
- 42 Millionen Euro im Oktober 2022
- 118 Millionen Euro im Januar 2023
Der Kimberley-Prozess gegen "Blutdiamanten" erlaubt den Export von Diamanten aus Russland, das auch zu seinen Unterzeichnern gehört. Theoretisch könnte ein Rückverfolgbarkeitssystem dies ändern, was jedoch mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre. Heute werden nur die wertvollsten Diamanten einzeln verpackt und erfasst, sagt Mehta. Einige Kunden verlangen von ihren Lieferanten einen Prüfpfad, während De Beers auch eine zertifizierte Linie anbietet, die einen höheren Preis hat. Mehta hat auch seine eigenen Managementsysteme, um Betrug oder Diebstahl bei zertifizierten Steinen zu vermeiden.
Doch unterhalb einer bestimmten Größe wird die Rückverfolgung unerschwinglich. "Kleine Diamanten kann ich nicht zurückverfolgen. Punkt", sagt Mehta. In Indien sind die Polierer, mit denen er zusammenarbeitet, eine "Heimindustrie". Ohne Systeme und Verfahren, um die nicht-russische Herkunft zu beweisen, könnten sie einfach nicht verkaufen. Rosy Blue kauft seit Beginn des Kriegs nicht mehr bei Alrosa ein, sagt Mehta. "Ich habe Kunden, denen die russischen Diamanten egal sind, wie in Indien und China. Aber warum sollte ich in den Köpfen meiner anderen Kunden eine Art Gespenst oder Phantom erschaffen?"
Belgien beugt sich dem Druck der EU
Bisher werden alle in Indien geschliffenen Diamanten als indischer Herkunft eingestuft, da sie in dem Land "substanziell umgewandelt" werden. Daher können sie auch weiterhin legal in die USA eingeführt werden. Doch das könnte sich nun ändern. Denn die Initiative der G7-Staaten zur Rückverfolgbarkeit von Diamanten ebnet einen Weg, um das Schlupfloch zu schließen. Sie könnte auch Europa davon überzeugen, sich den Sanktionen anzuschließen. Denn noch stehen die Händler, die an den Schreibtischen der Antwerpener Diamantenbörse Steine prüfen, unter besonderem Schutz.
Belgien hat bisher erfolgreich verhindert, dass auch Diamanten in die Sanktionspakete der Europäischen Union gegen Russland aufgenommen werden, sagen Diplomaten und Brancheninsider. Denn das Land will den fünf Jahrhunderte alten Status Antwerpens als Zentrum des Diamantenhandels nicht riskieren. Doch vieles deutet nun auf einen Sinneswandel. Belgiens Premierminister Alexander De Croo erklärte gegenüber der Financial Times, sein Land wolle ein "führender Partner" bei den gemeinsamen Bemühungen sein, Russlands Finanzströme aus dem Diamantenhandel einzudämmen.
"Wir wollen die russischen Diamanten von den westlichen Märkten fernhalten, aber mit den bestehenden direkten Verboten für russische Diamanten werden wir das nicht erreichen", sagte De Croo. Wirkliche Wirkung könne nur erzielt werden, wenn ein direktes und ein indirektes Verbot von Diamanten aus russischem Abbau kombiniert würden. "Dazu brauchen wir eine schrittweise Einführung der Rückverfolgbarkeit in diesem Sektor. Dies wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, jetzt zu handeln", so De Croo.
Die belgischen Branchenvertreter befürchten, dass der Handel einfach auf andere Drehkreuze wie Dubai umgeleitet wird, ohne dass russische Diamanten dadurch identifiziert werden könnten. Laut einem europäischen Beamten will man ein System entwickeln, das es ermöglicht, die gesamte Wertschöpfungskette in den Griff zu bekommen, "sodass wir ein direktes und indirektes Verbot aussprechen können und das Tor zur Umgehung von vornherein geschlossen ist". Doch Papiere zur Herkunft von Diamanten können leicht gefälscht werden.
Technische Lösungen zur Bestimmung der Herkunft unausgereift
Zu den Ideen gehören Maschinen, die die wahrscheinliche geografische Herkunft eines Diamanten analysieren können, indem sie seine Spurenelemente aufspüren und analysieren, und sogenannte Nanomarker, die in Diamanten eingraviert werden und beim Schleifen und Polieren erhalten bleiben. Doch der technische Plan ist noch nicht für den Masseneinsatz geeignet. Pavlo Protopapa, Geschäftsführer von Spacecode, einem Unternehmen, das eine Technologie zur Analyse der Herkunft von Diamanten entwickelt hat, sagt, dass Prototypen seiner Maschinen nicht vor Ende des Jahres oder Anfang 2024 auf den Markt kommen werden. Einige Branchenvertreter befürworten stattdessen eine Stärkung des bestehenden Systems der schriftlichen Lieferantenerklärungen.
In jedem Fall würde ein System zur Rückverfolgung von Diamanten einen Umbruch bedeuten. Die Kosten würden steigen. Ein leitender Angestellter der Diamantenindustrie befürchtet, dass die G7-Initiative die Nachfrage nach natürlichen Edelsteinen insgesamt beeinträchtigen und das Angebot aus dem informellen Sektor am härtesten treffen könnte. Paul Zimnisky, ein Analyst für den Diamantenmarkt mit Sitz in New York, erwartet eine Aufsplitterung der Handelsströme. Er prognostiziert, dass es Verarbeiter und Händler künftig getrennte Einrichtungen für russische und nicht-russische Diamanten unterhalten müssen.
Der Erfolg des G7-Programms ist stark abhängig von der Zusammenarbeit mit den Ländern des südlichen Afrikas, woher viele Rohdiamanten stammen, und mit Indien. Für die indische Diamantenbranche ist entscheidend, was die Abnehmer in den USA verlangen. Das in New York börsennotierte Unternehmen Signet Jewelers, das sich selbst als größten Diamantenhändler der Welt bezeichnet, hat im vergangenen Jahr bereits damit begonnen, russische Metalle und Diamanten aus seiner Lieferkette zu verbannen. Tiffany hat seine Zulieferer angewiesen, keine russischen Rohdiamanten mehr zu kaufen und bei den winzigen Diamanten, die für Verzierungen verwendet werden und eine der Spezialitäten von Surat sind, russische und nicht-russische Steine voneinander zu trennen.
Die indische Diamantenbranche hat sich dafür eingesetzt, dass die G7 ihr Track-and-Trace-Programm zunächst auf größere Diamanten ab einem Karat anwendet, die bereits zertifiziert sind, bevor sie zu den kleineren Steinen übergeht, auf die ihre kleinen Hersteller angewiesen sind. Savaliya sagt, dass die Preise für Rohdiamanten steigen, während die Preise für geschliffene Diamanten niedrig bleiben. Daher hat seine Einraumfabrik in den letzten sechs Monaten erstmals rote Zahlen geschrieben. Savaliya wird Wege finden, um die neuen Vorschriften der G7 zu befolgen und die russischen Edelsteine getrennt zu halten, sagt er. "Aber die Kosten werden zwangsläufig steigen."