Politik

Henry Kissinger: Zum Tode des Jahrhundertmanns

Der frühere Sicherheitsberater und Außenminister der Vereinigten Staaten, Henry Kissinger, ist gestorben. Noch im Mai feierte der Großmeister der Realpolitik seinen 100. Geburtstag. In einer Zeit, in der sich zunehmend Amateure auf dem Feld der Außenpolitik tummeln, wird das Urteil dieses Jahrhundertmanns ganz besonders fehlen. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten veröffentlichen aus diesem Anlass leicht verändert die Würdigung, die damals zu seinem 100. Geburtstag erschien.
Autor
30.11.2023 11:00
Aktualisiert: 30.12.2023 11:00
Lesezeit: 4 min
Henry Kissinger: Zum Tode des Jahrhundertmanns
Henry Kissinger bei den Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag. Das Urteil des Realpolitikers wird in einer Zeit der außenpolitischen Amateure besonders fehlen. (Foto: dpa) Foto: Daniel Vogl

Ende April dieses Jahres, hatten sich leitende Redakteure des renommierten britischen Magazins „Economist“ bei Henry Kissinger eingefunden, um von ihm zu wissen, wie er die internationale Lage sehe. Sie waren gleichermaßen verblüfft und fasziniert, wie der damals kurz vor seinem 100. Geburtstag Stehende „mit nadelgenauer Präzision“ das Geschehen auf der Weltbühne sezierte - die Lage in China und Taiwan, den Krieg in der Ukraine, die Situation in Russland.

Kissinger stellte in dem Gespräch mit dem „Economist“ klar, dass seiner Meinung nach, die Forderung, Putin vor dem Internationalen Gerichtshof anzuklagen, nur dazu führen werde, den Krieg in der Ukraine zu verlängern. Denn: Es werde „unmöglich sein, einen Krieg zu begrenzen, wenn man den Ausgang des Krieges mit dem persönlichen Schicksal eines Führers verknüpft“. Scharf kritisierte er den Westen, vor dem Krieg öffentlich über die Möglichkeit einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine fabuliert zu haben, ohne die Möglichkeit, diese militärisch zu schützen. Dies ändere, so Kissinger nichts daran, dass das Verhalten Putins unentschuldbar sein, doch ein Fehler des Westens bleibe es. Genau legte er in dem Gespräch die Motive Chinas zur Unterstützung Russlands dar. Für China sei es keine Herzensangelegenheit, doch befürchte es ein Machtvakuum in Zentralasien und möglicherweise daraus resultierende Bürgerkriege. Den USA gab er mit auf dem Weg, dass es Wege finden müsse, mit China zu leben, ohne der Gegenseite den Eindruck zu vermitteln, dass man an einem „Regime Change“ arbeite.

In diesem langen Interview wurde deutlich, dass da jemand spracht, der sein Handwerk verstand; jemand, der die Geschichte der Völker studiert hatte und deshalb auch um ihre Interessen und Befindlichkeiten wusste. Das hatte nicht zuletzt mit dem Lebensweg jenes Mannes zu tun, der am 27. Mai 1923 als Heinz Alfred Kissinger im fränkischen Fürth als Sohn eines Geschichtslehrers geboren wurde. 15-Jährig musste er mit seiner jüdischen Familie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten nach New York fliehen. Nach Deutschland kam er sechs Jahre später zurück – als Soldat der US-Armee. 1947 kehrte er in die USA zurück, studierte in Harvard Politik und Geschichte. Schon seine Doktorarbeit ließ nicht nur akademisch aufhorchen – sie wies auch den weiteren Weg jenes Mannes, der immer sowohl Wissenschaftler als auch aktiver politischer Gestalter war. In seiner Arbeit, „A World Restored: Metternich, Castlereagh and the Problems of Peace 1812-1822“, die heute längst ein anerkanntes Werk der Geschichtsschreibung ist, beschreibt Kissinger die Neuordnung Europas nach den napoleonischen Kriegen.

Der große Sprung auf die Bühne des Weltgeschehens erfolgte 1969 als er Sicherheitsberater des neugewählten Präsidenten Richard Nixon wurde. Zwar gab es auch einen Außenminister, William Rodgers hieß dieser, aber der spielte von Anfang an keine wirkliche Rolle. Nixon, der sich selbst für Außenpolitik interessierte, wollte Außenpolitik aus dem Weißen Haus heraus gestalten – mit Kissinger an seiner Seite.

Die außenpolitischen Aufgaben, vor denen die neue Nixon-Regierung stand, waren gewaltig. Zum einen musste das Riesen-Schlamassel eines Vietnamkrieges, das Nixon von seinen demokratischen Vorgängern geerbt hatte, irgendwie beendet werden. Die Bevölkerung Amerikas war über den Krieg tief gespalten, das Land kriegsmüde – und zunehmend spürte selbst die größte Volkswirtschaft der Welt die ökonomische Last des Krieges. Praktisch am amerikanischen Außenministerium vorbei führte Kissinger auf amerikanischer Seite im Auftrag seines Präsidenten die Friedensverhandlungen in Paris zum Erfolg. Am Ende stand ein wackliger Friede. Er bekam, wie sein nordvietnamesischer Verhandlungspartner, dafür den Friedensnobelpreis zugesprochen. Doch es war ein wackliger Frieden zulasten Südvietnams, der es aber Amerika erlaubte, sich einigermaßen gesichtswahrend zurückzuziehen. Und nur darum ging es Nixon wie auch Kissinger

Kurz darauf erfolgte Kissingers Meisterstreich. Was später unter dem Begriff „Ping-Pong-Diplomatie“ in die Geschichtsbücher einging, veränderte die Tektonik der Großmächte grundlegend. In zwei geheimen Reisen reiste Kissinger in das maoistische bis dahin weitgehend abgeschottete China. Kissinger war nicht entgangen, dass sich im kommunistischen Block Risse auftaten, China nicht mehr felsenfest an der Seite der UdSSR stand. Mit dem darauffolgenden Besuch Nixons in Peking war der kommunistische Block geschwächt. Kissinger war fortan in der Lage, ähnlich wie Bismarck, auf der Weltbühne mit mehreren Bällen zugleich zu jonglieren. Gleichzeitig erlaubte ihm die Verschiebung der Tektonik den Druck auf die Sowjetunion zu erhöhen und diese zu Konzessionen bei den Verhandlungen zur Rüstungsbegrenzung zu bewegen. Ein Jahr später vermittelte er den Waffenstillstand im nahöstlichen Jom-Kippur-Krieg 1973, was eine wesentliche Vorstufe zur Einleitung des Friedensprozesses war.

Im selben Jahr hingegen – das sollte nicht verschwiegen werden – hatte Kissinger, der inzwischen Außenminister geworden ist, den gewaltsamen Putsch in Chile mit in die Wege geleitet. Kissinger war immer ein Pragmatiker der Macht, der, wenn nötig, auch wenig zimperlich die Interessen der USA verfolgte.

In den Jahren des Übergangs diente er bis zu dessen Abwahl dem Präsidenten Gerald Ford. Alles in allem war es Kissinger in diesen Jahren gelungen, Amerikas politische Vormachtstellung zu erhalten – obwohl das Land durch den Vietnamkrieg sowie durch innenpolitische und ökonomische Krisen erheblich geschwächt war.

In den Jahren nach 1977 verlegte sich Kissinger, der – eine seltene Mischung – immer ein Pragmatiker der Macht wie auch ein Intellektueller war auf das Schreiben. Großartige Werke über gegenwärtige Fragen wie über Geschichte entstanden. Kissinger hatte etwas zu sagen – und von Sprache verstand er auch noch einiges. Er schrieb über China, das Gleichgewicht der Großmächte, über die Lektionen der Staatskunst. Dazwischen seine monumentalen dreibändigen Erinnerungen als aktiver Außenpolitiker. In all seinen Werken kam eine durch profunde historische Kenntnis gewonnene Einsicht zum Tragen, dass lautstarkes und auftrumpfendes Moralisieren weder der Verfolgung der eigenen Interessen dient noch den Ausgleich schafft, ohne den ein Zusammenleben der Völker auf Dauer nicht möglich ist. Ganz nebenbei hatte die im wahrsten Sinne des Wortes Jahrhundertfigur Henry Kissinger ein Standardwerk über die Geschichte und das Wesen der Außenpolitik geschrieben - „Die Vernunft der Nationen“. All jenen hierzulande, die aus irgendwelchen Gründen meinen, sich auf dem Feld der Außenpolitik tummeln zu müssen, sei es zur Lektüre dringend empfohlen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzielles Notfallpaket: So sichern Sie Ihr Vermögen in Krisenzeiten
15.11.2025

In Zeiten wachsender Unsicherheiten rückt neben Notvorräten und Fluchtplänen auch die finanzielle Absicherung in den Fokus. Marek...

DWN
Politik
Politik Für einen Kampfjet braucht es 400 Kilogramm seltene Erden: Europa im Wettbewerb mit China und den USA
15.11.2025

Seltene Erden sind zu einem entscheidenden Faktor in globalen Machtspielen geworden und beeinflussen Industrie, Verteidigung und Hightech....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Klassengesellschaft 2.0 – Warum Demokratie ohne soziale Gleichheit zerbricht
15.11.2025

In Deutschland redet kaum jemand über Klassen – als wäre soziale Herkunft heute keine Machtfrage mehr. Doch die Soziologin Prof. Nicole...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzblasen 2025: Wo der nächste große Crash drohen könnte
15.11.2025

An den Finanzmärkten steigt die Nervosität. Künstliche Intelligenz treibt Bewertungen auf Rekordhöhen, Staaten verschulden sich wie nie...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienpreise: Boom zu Neuverträgen – eine Prognose
15.11.2025

Laut ifo sind Neuverträge in Großstädten um 48 Prozent teurer als Bestandsverträge. Das, so Experten, ist nicht nur ein Problem für...

DWN
Finanzen
Finanzen So profitiert Trumps Familie im Kryptosektor: CZ-Deals bringen Milliarden
14.11.2025

Der Fall um Čangpeng Žao und die Trump Familie wirft ein Schlaglicht auf die Verknüpfung von Kryptowährungen, Finanzströmen und...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Brauanlagen-Hersteller Kaspar Schulz: „Made in Germany ist Teil unserer Markenidentität“
14.11.2025

Kaspar Schulz ist der älteste Braumaschinen-Hersteller der Welt. Seit 1677 produziert der Traditionsbetrieb in Bamberg. Johannes...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Google investiert: 6,41 Milliarden Dollar für Deutschlands Cloud-Infrastruktur
14.11.2025

Google plant eine milliardenschwere Expansion seiner Cloud-Infrastruktur in Deutschland, um seine Rechenzentren auszubauen und die Präsenz...