Ganz entsprechend der allgemeinen Erwartung drehte die US-Notenbank am vergangenen Mittwoch nicht weiter an der Zinschraube - das erste Mal, seit die Fed im März vergangenen Jahres mit ihrem geldpolitischen Straffungszyklus begonnen hatte. Allerdings geht die große Mehrheit der Notenbankbeamten davon aus, dass der Leitzins noch bis Ende diesen Jahres einen Satz von 5,6 % erreichen wird, was die gleichzeitige Veröffentlichung der sogenannten Dot-Plots zeigt. Diese Daten spiegeln die Erwartungshaltung jedes Notenbankers bezüglich des zukünftigen Zinsniveaus wider. Im Vergleich zur letzten Veröffentlichung vor drei Monaten stiegen deren Prognosen um 0,5 Prozentpunkte an, was zwei weiteren Zinserhöhungen um jeweils 25 Basispunkten entspricht. Auch wenn die Zentralbanker also jetzt auf eine Zinserhöhung verzichten, so werden sie gemäß dieser Daten zwei weitere Zinserhöhungen mehr vornehmen müssen, als sie noch im März erwartet hatten. Dies war eine eindeutig „hawkishe“ Überraschung.
Daraus ergibt sich unmittelbar die Frage, warum die Fed die Gelegenheit auslässt, die Zinsen jetzt zu erhöhen, wenn sie doch so sehr davon überzeugt ist, dass die Zinssätze für längere Zeit höher sein müssen und sie diese später ohnehin erhöhen wird? Vor allem war die Fed hier wohl Opfer ihrer eigenen Kommunikation, man hat sich früh entsprechend der erfolgten Entscheidung positioniert und dann entschieden, dem Markt keine böse Überraschung zu bieten. Auch der jüngste Streit um die Schuldenobergrenze sowie die fragile Lage im US-Regionalbankensektor könnte sich ausgewirkt haben. Zwar konnte eine größere Krise bislang abgewendet werden. Jedoch bleibt das Risiko einer erheblichen Verschärfung der Kreditstandards, die sich auf die Wirtschaftstätigkeit der Banken auswirken könnte, bestehen. Dennoch, wenn man sich heute Sorgen um die Inflation macht, und eben diese Sorge äußerte Fed-Chef Jerome Powell während seiner auf die Verlautbarung der Entscheidung folgenden Pressekonferenz, sollte man die Zinsen auch heute erhöhen. Es erscheint schon etwas seltsam, in diesem Moment eine Pause einzulegen.
Rezessionsgefahr gebannt?
Jerome Powell deutete an, dass sich der laufende Straffungszyklus möglicherweise bereits im Juli fortsetzen könnte. Die Entscheidungsträger würden sich alle Optionen offen halten, um zu bewerten, wie sich die bisherigen Maßnahmen auf die Wirtschaft auswirken. Er fügte hinzu, dass Zinssenkungen "erst in einigen Jahren" möglich seien. Nun ja, man wird sehen, denn wenn auch kein US-Notenbanker mehr von Rezessionsgefahr spricht, andere tun es sehr wohl, beziehungsweise handeln buchstäblich entsprechend: so steigen die Renditen von Staatsanleihen über die gesamte Kurve hinweg an, am steilsten aber am kurzen Ende. Die Renditen 10-jähriger US-amerikanischer Anleihen liegen deutlich unter dem Zinssatz für zweijährige Papiere, was eben jene Rezessionsängste widerspiegelt. Die Inversion der Renditekurve vertiefte sich am Freitag auf ein Niveau, das kurz vor der regionalen Bankenkrise erreicht wurde. Die Märkte scheinen zu befürchten, dass der Eifer der Zentralbanker, die Inflation einzudämmen, das Wirtschaftswachstum bremsen wird. Verschiedene US-Daten vom Donnerstag deuten zudem darauf hin, dass sich die Wirtschaft zwar behauptet, aber an Schwung verliert.
Bremsschuh China
China verliert zusehends seinen Ruf als Wirtschaftslokomotive. Die noch vor Kurzem sicher geglaubte Erholung blieb aus, und die chinesische Regierung wird die schwächelnde Wirtschaft weiter ankurbeln müssen, nachdem die Zentralbank bereits in der vergangenen Woche Lockerungen vorgenommen hat. Nicht wenige chinesische Wirtschaftsdaten deuten auf Ungemach hin: nicht nur, dass der Privatsektor geradezu am Boden liegt und eine rückläufige Investitionstätigkeit verzeichnet (wo sich gerade dieser Bereich nach Beendigung der Covid-Abwehrmaßnahmen deutlich erholen sollte), auch das Verbrauchervertrauen liegt weit unter dem Niveau von vor Corona, und Hauskäufer reagieren nicht auf die seit zehn Jahren niedrigen Hypothekenzinsen.
Die Tatsache, dass chinesische Beamte in den letzten Wochen in einer Reihe von ungewöhnlich dringenden Sitzungen Ratschläge von Wirtschaftsführern und Ökonomen eingeholt hatten, deutet auf große Besorgnis seitens der politischen Entscheidungsträger hin. Zwar hat Peking sein Wachstumsziel für dieses Jahr nicht gesenkt, andere, sowohl Investmentbanken als auch davon unabhängige Ökonomen, jedoch teilweise deutlich. Goldman Sachs geht von nur noch 5,6 % Wachstum aus, nach zuvor 6 %, und dämpft zugleich die Erwartungen an eine Stimulierung des schwächelnden Aufschwungs.
Andere Teile der Welt bleiben ihrem bisherigen Kurs treu. Von Kanada über Großbritannien, Norwegen, der Schweiz bis zur Türkei stehen weitere Zinserhöhungen unmittelbar bevor. Im Land am Bosporus geht man auf Grund der dort immer noch extremen Inflationsrate (39,6 % im Mai) von einem 15-Prozent-Schritt aus! Übrigens: Neuseeland, welches hinsichtlich der weltweiten geldpolitischen Straffungswelle stets mit großen Schritten voran eilte, ist just in die Rezession gerutscht – möglicherweise ein Vorbote dessen, was auch anderswo passieren könnte.
Rohstoffmärkte zeigen gemischtes Bild
Die Erwartung und schließlich auch das tatsächliche Ausbleiben einer weiteren US- Zinserhöhung im Juni lastete insbesondere auf dem Dollar, der bis Ende Mai einen regelrechten Höhenflug vollführt und insbesondere die darauf besonders sensibel reagierenden Edelmetalle stark belastet hatte. Der seit dem im Dollar-Index (DXY) laufende bemerkenswerte Rücksetzer des Greenbacks hilft Gold & Co. derzeit allerdings nur wenig. Die am kurzen Ende vergleichsweise hohen Anleiherenditen bleiben ernstzunehmende Konkurrenz, zudem deutet der Verlauf der Zinsstrukturkurve, trotz der hoffnungsvollen Worte seitens US-Zentralbankoffizieller, auf eine bevorstehende Rezession hin. Und falls dieser Nachfragedämpfer ausbliebe, lägen weitere Zinserhöhungen auf dem Tisch. Allerdings scheinen die Märkte nicht an ein China-Desaster zu glauben. Die gut elfprozentige Kupfer- Rally seit Ende Mai wird sicher vom nachgebenden Dollar unterstützt, in Erwartung eines bevorstehenden Kollaps des weltgrößten Kupferverbrauchers wäre an dieser Stelle jedoch weit weniger Euphorie zu spüren. Bliebe dieses Szenario aus, bekäme auch das Inflationsthema wieder gehörig Futter.