Die Inflation im Euroraum schwächt sich im Zuge der Serie von zehn Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) immer deutlicher ab. Die Verbraucherpreise stiegen im Oktober nur noch um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistikamt Eurostat am Dienstag in einer ersten Schätzung mitteilte. Volkswirte hatten hingegen mit einer Rate von 3,1 Prozent gerechnet. Das ist das niedrigste Inflationsniveau seit Juli 2021. Im September hatte die Teuerung noch bei 4,3 Prozent gelegen. Die Kerninflation, in der die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise sowie Alkohol und Tabak ausgeklammert bleiben, nahm im Oktober auf 4,2 Prozent ab nach 4,5 Prozent im September.
Mit den jüngsten Inflationszahlen rückt das Ziel der EZB von zwei Prozent Teuerung immer näher. Die Währungshüter hatten auf ihrem jüngsten Zinstreffen am vergangenen Donnerstag angesichts einer schwächelnden Konjunktur und rückläufigen Inflationszahlen beschlossen, ihre Serie von Zinserhöhungen vorerst zu stoppen. Zudem wies EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Idee schneller Zinssenkungen zurück. Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank bekommen, liegt damit weiterhin bei 4,00 Prozent - das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999.
Die Energiepreise gingen im Oktober gegenüber dem Vorjahresmonat kräftig um 11,1 Prozent zurück. Im September war der Rückgang mit 4,6 Prozent schwächer ausgefallen. Lebensmittel, Alkohol und Tabak verteuerten sich dagegen um 7,5 Prozent nach einem Preisplus von 8,8 Prozent im September. Die Preise für Industriegüter ohne Energie zogen um 3,5 Prozent an nach einem Anstieg von 4,1 Prozent im September. Dienstleistungen verteuerten sich um 4,6 Prozent nach zuvor 4,7 im September.
Wirtschaft in Euro-Zone schrumpft
Zudem wurden heute weitere Zahlen veröffentlicht: Die Wirtschaft der Euro-Zone ist im Sommer überraschend geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank von Juli bis September um 0,1 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat am Dienstag in einer Schnellschätzung mitteilte. Von Reuters befragte Experten hatten mit einer Stagnation gerechnet, nach einem BIP-Zuwachs von 0,2 Prozent im Frühjahr.
Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde bleibt die Wirtschaft im Euroraum wahrscheinlich für den Rest des Jahres schwach. Mit weiter zurückgehender Inflation und anziehender Auslandsnachfrage dürfte die Konjunktur demnach in den kommenden Jahren jedoch an Stärke gewinnen.
Im laufenden vierten Quartal stehen die Zeichen jedoch noch auf Abschwung: Im Oktober beschleunigte die Wirtschaft im Euroraum ihre Talfahrt. Der monatlich erhobene S&P-Einkaufsmanagerindex sank auf 46,5 Zähler und entfernte sich damit noch weiter von der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Das Barometer fiel auf den tiefsten Stand seit rund drei Jahren.
Hier erste Reaktionen von Volkswirten auf die neuen Daten aus dem Euroraum:
Zur Inflation
Christoph Weil, Commerzbank: Eine Mehrheit der Ratsmitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte die Daten mit Freude zur Kenntnis nehmen. Vermutlich wird die EZB ihre Zinsen nicht weiter erhöhen. Dies gilt umso mehr, als die Wirtschaft im dritten Vierteljahr leicht geschrumpft ist. Insgesamt wird die Inflationsrate in den nächsten Monaten wohl nicht weiter zurückgehen. Denn die dämpfenden Effekte werden durch voraussichtlich weniger rückläufige Energiepreise weitgehend ausgeglichen. Hier ist die Korrektur weitgehend abgeschlossen.
Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank: Die Teuerungsrate geht im Oktober deutlicher als erwartet zurück. Im Vorjahresmonat kletterten die Energiepreise nach oben, so dass es jetzt zu einem entsprechend deutlichen Basiseffekt kommt. Zwar tragen die Lebensmittelpreise immer noch maßgeblich zur Inflation bei, doch weniger stark, als dies noch vor einigen Monate der Fall war. Der Preisauftrieb bei Lebensmittelpreisen wird in den kommenden Monaten sukzessive nachlassen. Und auch die merklich fallenden Erzeugerpreise hinterlassen ihre positive Spuren bei den Konsumentenpreisen. Der Preisdruck bei vielen Gütern lässt merklich nach. Die Kerninflationsrate fällt von 4,5 Prozent auf 4,2 Prozent. Gerade die fallende Inflationsrate ist auch der Schlüssel für ein zukünftig wieder höheres Wachstum. Eine sich normalisierende Teuerungsentwicklung ist eine notwendige Bedingung für einen konjunkturellen Trendwechsel.
Fritzi Köhler-Geib, KFW-Chefökonom: Der rapide Rückgang der Inflationsrate spiegelt vor allem die Entspannung an den Energiemärkten seit dem vergangenen Sommer wider. Auch wenn der Verbraucherpreisanstieg jetzt sogar unter drei Prozent liegt, ist es für eine Entwarnung noch zu früh. Mit der Kerninflation, die Energie- und Lebensmittelpreise unberücksichtigt lässt, geht es nur langsamer abwärts. Um einer Verfestigung der Inflation über dem Zielwert von zwei Prozent entgegenzuwirken, ist es insbesondere wichtig, dass die Unternehmen höhere Lohnkosten nur teilweise an die Verbraucher weitergeben. Dafür braucht es eine Geldpolitik, die die Zügel noch einige Zeit stramm hält. Der Nahost-Konflikt hat darüber hinaus die Aufwärtsrisiken für die Inflation erhöht. Bisher sind die Effekte auf die Energiepreise allerdings zu gering, um den Abwärtstrend der europäischen Inflation zu gefährden.
Jörg Krämer, Chefökonom Commerzbank: Jetzt liegt die Inflation im Euroraum sogar unter drei Prozent! Das liegt vor allem daran, dass die Teuerungswellen bei Energie, Nahrungsmitteln und Industriegütern abebben. Aber die EZB sollte bedenken, dass die Löhne mittlerweile deutlich stärker steigen. Das dürfte die Inflation vor allem bei den arbeitsintensiven Dienstleistungen hochhalten. Die Inflation sollte sich im kommenden Jahr merklich oberhalb der Marke von zwei Prozent einpendeln, zumal die Inflationserwartungen der Konsumenten höher sind als vor Ausbruch von Corona. Das Inflationsproblem dürfte sich am Ende als hartnäckiger erweisen als von vielen erwartet.
Alexander Krüger, Chefvolkswirt Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank: Dank eines dicken Basiseffekts ist die Inflationsrate regelrecht abgeschmiert. Weiterer Abwärtsschub besteht vorerst aber nicht. Vielmehr dürfte die Inflationsrate um den Jahreswechsel wieder etwas steigen. Die EZB wird leitzinsseitig daher auf dem Sprung bleiben. Letztlich wird die Inflationsrate die Geduld der EZB aber wohl nicht überstrapazieren.
Zum BIP
Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank: Die Euro-Zone schrumpft. Dies dürfte der Auftakt für eine beginnende Rezession sein. Die Wachstumsunterschiede bleiben erheblich. Einige Länder können sogar ein in Anbetracht der Umstände solides Wachstum verbuchen. Dazu gehört insbesondere Spanien. Das deutsche BIP schrumpft geringfügig um 0,1 Prozent. Österreich kommt derweil kräftig unter die Räder. Das konjunkturelle Bild der Euro-Zone sieht alles andere als erbaulich aus. Während in den südeuropäischen Ländern die gutlaufende Tourismussaison dem Schwächesog etwas entgegensetzten konnte, sieht es in anderen Teilen des Währungsraums düster aus. Nach Auslaufen der Tourismussaison ist nun allerdings zu befürchten, dass im vierten Quartal die gesamte Euro-Zone schwächeln wird. Wir rechnen deshalb damit, dass die Euro-Zone auch im Schlussquartal schrumpfen wird.
Alexander Krüger, Chefvolkswirt Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank: Die Wirtschaft dümpelt dahin. Zahlreiche Belastungsfaktoren sprechen für ein schwaches Winterhalbjahr. Neben der schwachen Weltwirtschaft zählen hohe Energiepreise und Zinsen dazu. Ein Konjunkturabsturz zeichnet sich weiterhin nicht ab. (Reuters)