Politik

Machtwechsel in Argentinien verpufft: Dollarisierung ist vorerst nicht umsetzbar

Lesezeit: 6 min
26.11.2023 10:28  Aktualisiert: 26.11.2023 10:28
Javier Milei ist mit radikalen libertären Forderungen neuer Präsident Argentiniens geworden. Ein zentrales Thema seines Wahlkampfs war die Abschaffung der nationalen Zentralbank und Einführung des US-Dollars. Nun sieht es jedoch danach aus, als ob Milei von der politischen Realität eingeholt wird.
Machtwechsel in Argentinien verpufft: Dollarisierung ist vorerst nicht umsetzbar
Die Abschaffung des Peso und Einführung des US-Dollars würde Argentiniens Inflationsproblem beseitigen. (Foto: dpa)
Foto: Maximiliano Ramos

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Nach dem Machtwechsel in Argentinien tun sich große Fragen auf. Der neue Präsident und libertäre Ökonom Javier Milei hat nicht mit großspurigen Ankündigungen gespart. Im Wahlkampf präsentierte Milei eine wirtschaftliche Schocktherapie für das mit dreistelligen Inflationsraten, Konjunkturflaute und zunehmender Armut kämpfende südamerikanische Land.

Das zentrale und vermutlich wahlentscheidende Thema war das Versprechen, die nationale Zentralbank abzuschaffen und den US-Dollar einzuführen, um die Inflation zu beenden und den Staatshaushalt zu sanieren. In einem Interview im Oktober sagte Milei der Peso sei „weniger wert als Exkremente“ und die Notenbank müsste man „sprengen“. Außerdem kündigte er eine Abschaffung der Preiskontrollen und umfassende Privatisierungen an.

Doch bereits wenige Tage nach der Wahlentscheidung droht die geplante Dollarisierung zu scheitern. Der in Mileis Plänen vorgesehene Zentralbankchef Emilio Ocampo hat den Job offenbar wegen politischer Differenzen abgelehnt. Ocampo ist Professor für Wirtschaftsgeschichte und ehemaliger Investmentbanker an der Wall Street. Unter Mileis Beratern war er der wichtigste Befürworter der Abschaffung des argentinischen Peso zugunsten der US-Währung. Ocampo hatte an einem Dollarisierungs-Plan gearbeitet, der am 10. Dezember umgesetzt werden sollte. Dann nämlich übernimmt die neue Regierung die Amtsgeschäfte.

Milei sagte in einem Interview am Mittwochabend, dass ihm Ocampos Plan zwar gefalle, aber man abwarten müsse, „ob die Marktsituation eine Lösung wie die von Emilio vorgeschlagene zulässt, und ob er bereit ist, einen Plan umzusetzen, der nicht dem entspricht, den er ursprünglich geplant hatte“.

Eine Ocampo nahestehende Person bestätigte am nächste Tag gegenüber der Financial Times lokale Nachrichtenberichte, wonach er den Posten nicht mehr annehmen werde. „Der einzige Grund für Ocampo, bei der [Zentralbank] zu sein, war die Dollarisierung“, sagte die Person. „Er wäre nie zur Zentralbank gegangen, um den Plan eines anderen umzusetzen, mit dem er nicht einverstanden ist.“ Die Aussagen deuten darauf hin, dass die Einführung des Dollars wohl nicht so schnell passieren wird. Ganz vom Tisch muss die Maßnahme aber nicht sein, denn vielleicht war Ocampo ja nur mit der von Milei angedachten Art der Umsetzung nicht einverstanden.

Mileis Büro erklärte am Freitag auf Twitter, dass die Schließung der Zentralbank trotz „falscher Gerüchte, die verbreitet wurden“ eine „nicht verhandelbare Angelegenheit“ sei, ohne dabei die Dollarisierung zu erwähnen. Offizielle Stellungnahmen vonseiten Mileis oder Ocampos blieben bislang aus. Der neue Präsident hat auch noch keine alternativen Kandidaten für die Leitung der Notenbank bestätigt.

Politische Hindernisse

Javier Milei hat es nicht leicht. Seine erst vor zwei Jahren gegründete Partei stellt keinen einzigen der 23 mächtigen Provinz-Gouverneure, hat nur eine Stimmmacht von knapp 15 Prozent im Unterhaus und vereint nur sieben von 72 Senatorenposten auf sich. Auch mit Unterstützung der rechten Parteien würde keine parlamentarische Mehrheit zustande kommen.

Das torpediert viele von Mileis Ideen. Ein Dollarisierungsgesetz käme nur durch eine Mehrheit im Parlament zustande. Auch für die Übertragung von Anteilen an der staatlichen Airline in private Hände ist eine Mehrheit erforderlich, während für die Privatisierung der nationalen Ölgesellschaft YPF eine Zweidrittelmehrheit nötig wäre. Und das ist nicht das einzige Problem mit den Privatisierungs-Plänen. Der öffentliche Sektor ist der bedeutendste Arbeitgeber in Argentinien. Mileis Vorhaben stoßen auf starken Widerstand der mächtigen Gewerkschaften, die zu einem Großteil von der peronistischen Partei kontrolliert werden, welche die alte Regierung stellen.

Immerhin kann der frisch gewählte Präsident auf die Unterstützung der Agrar-Lobby hoffen, die sich einen radikalen Wandel erhofft. Argentinien ist einer der weltweit größten Exporteure von Weizen, Rindfleisch, Mais und Soja. 40 Prozent der Ausfuhren sind landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das Land ist zudem reich an Öl, Gas und Lithium. Die Getreide- und Viehproduzenten fordern seit Jahren die Abschaffung von Steuern und Obergrenzen, die sie für die Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Erträge verantwortlich machen. Mit Milei rückt eine Deregulierung in greifbare Nähe.

Ein weiteres Problem ist der ausufernde Schuldenberg der Regierung bei lokalen Gläubigern. Der monatliche Zinsdienst vergrößert laufend das Haushaltsloch. Massa bezahlte die Rechnungen, indem er über die Notenbank neues Geld druckte – eine Maßnahme, die der neue Präsident ausgeschlossen hat.

Mileis Team hat erklärt, dass initial etwa 40 Milliarden Dollar nötig wären, um die Wirtschaft zu dollarisieren. Argentiniens Hartwährungsreserven sind jedoch gering und das Land hat nach dem vielbeachteten Zahlungsausfall inklusive Umschuldung und Schuldenerlass im Sommer 2020 (der neunte Staatsbankrott in Argentiniens Geschichte) kaum Zugang zu internationalen Krediten.

Es sieht so aus, als ob die Idee der Dollarisierung zumindest aufgeschoben wird und Milei sich vorerst auf einen traditionelleren Stabilisierungsplan konzentrieren wird“, meint Amilcar Collante, Wirtschaftswissenschaftler an der Nationalen Universität La Plata. „Das bedeutet, dass man versuchen wird, den Wechselkurs zu vereinheitlichen.“

Akute Währungskrise

In Argentinien herrscht zurzeit eine massive Diskrepanz zwischen dem offiziellen Wechselkurs (aktuell 360:1, also 360 Peso-je-Dollar) und den Kursen am Schwarzmarkt (1000:1). Analysten glauben, dass eine starke Abwertung des offiziellen Kurses unvermeidlich ist, aber Milei zufolge sei eine sofortige Abschaffung der Devisenkontrollen unmöglich, bevor man sich um die Schuldentilgung gekümmert, weil es sonst zu einer Hyperinflation kommen würde. Nach dieser Argumentation ist davon auszugehen, dass auch die Preiskontrollen vorerst in Kraft bleiben werden.

Wir haben einen sehr klaren Plan, wie wir das Problem lösen können“, erklärte der Präsident, ohne dabei Einzelheiten zu nennen. Die politischen Realitäten und wirtschaftlichen Brandherde haben Mileis Ambitionen schon nach wenigen Tagen eingeholt.

Argentinien steckt seit Jahren in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise und leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat. Rund 40 Prozent der Menschen in dem einstmals reichen Land leben unter der Armutsgrenze. Wenn man sich die Entwicklung der argentinischen Inflationsrate in den letzten 25 Jahren ansieht, wird deutlich, warum Javier Milei einen so drastischen Schritt wie die Abschaffung der Notenbank fordert.

Die Inflation ist im Oktober auf 143 Prozent zum Vorjahresmonat angestiegen. Die Landeswährung verliert kontinuierlich an Wert. Argentinische Staatsanleihen rentieren zwischen 40 und 50 Prozent. Die Handelsbilanz rutschte nach einem soliden Jahr 2022 bodenlos ins Negative und markierte im Sommer ein neues Rekordminus, stabilisierte sich zuletzt aber ein wenig. Die Gesamtwirtschaft wird nach dem desaströsen zweiten Quartal in diesem Jahr um rund 3 Prozent schrumpfen.

Eine hohe Auslandsverschuldung und wackelige Staatsfinanzen bescheren Argentinien einen wenig ruhmreichen Platz in den Top 10 der laut Bloomberg größten Pleitekandidaten der Welt („Sovereign Debt Vulnerability Ranking“). Das Land muss regelmäßig Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Anspruch nehmen, um seine Zahlungsfähigkeit sicherzustellen - zuletzt vor drei Monaten in Höhe von 7,5 Milliarden Dollar.

Eine Dollarisierung ist durchaus umsetzbar

Mit der Einführung des Dollars erhoffen sich die Länder Schutz vor Inflation, niedrigere Zinsen und besseren Zugang zum internationalen Finanzmarkt. Nicht umsonst haben viele Länder auf der Welt ihre Währung an den US-Dollar „gepegged“, lassen sie also nur in einem engen Währungsband gegenüber dem Dollar schwanken.

Der größte Nachteil ist der Verlust der geldpolitischen Autonomie. Man ist danach komplett von der amerikanischen Zentralbank abhängig und eben nur vor geld- und fiskalpolitischen Exzessen des eigenen Staates sicher. Außerdem kommt es tendenziell – zu einer Erhöhung des relativen Preisniveaus (nicht zu verwechseln mit der Inflationsrate) durch die starke US-Währung, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit hemmen kann – diesen Effekt sieht man in ähnlicher Form bei den neuen Euroländern. Die Stabilität, die der Dollar bietet, kann die negativen Effekte aber überwiegen und in der Theorie sollte es eigentlich egal sein, welche Währungseinheit man verwendet.

Die Dollarisierung Argentiniens ist zumindest aus rein ökonomischer Sicht keineswegs ein Hirngespinst, zumal der Greenback ebenso wie Bitcoin als Parallelwährung fungiert. Es gibt bereits Länder in Lateinamerika, die den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel nutzen – teilweise exklusiv wie in Equador, teilweise parallel zu einer schwächeren heimischen Währung wie in Panama. In zahlreichen weiteren Staaten wie Costa Rica, Nicaragua, Venezuela und auch Argentinien ist der Dollar als Schattenwährung in Umlauf, wird von Ladeninhabern und Händlern bevorzugt.

Die argentinische Bevölkerung hat sich bereits für den Dollar als bevorzugte Währung entschieden“, schrieb Milei-Berater Ocampo vor einem Monat in einem Artikel für das Independent Institute. „Die Argentinier haben mehr als 200 Milliarden US-Dollar in Dollarscheinen in Bankschließfächern oder zu Hause gebunkert. Im Vergleich dazu ist das Angebot an Pesos, gemessen an M3, weniger als 50 Milliarden US-Dollar wert. Niemand in Argentinien will Pesos halten.“

Zugleich weist der Wissenschaftler in einem Beitrag für ein lokales Wirtschaftsmagazin darauf hin, dass man von der Einführung des Greenback keine Wunder erwarten sollte. „Strukturelle Probleme erfordern strukturelle Lösungen. Wir müssen die öffentlichen Ausgaben senken, die Wirtschaft deregulieren und öffnen und die Arbeitsmärkte flexibler gestalten. Wir sollten nicht mehr von der Dollarisierung verlangen, als sie leisten kann.“

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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