Politik

Schweden tritt der Nato bei - eine Analyse

Schweden als Mitglied der Nato? Noch Anfang 2022 wäre ein solches Szenario selbst von Fans der Verteidigungsallianz als abwegig abgetan worden. Doch Russlands Politik hat die Welt verändert und macht den historischen Schritt in Kriegszeiten möglich.
10.03.2024 14:55
Aktualisiert: 10.03.2024 16:14
Lesezeit: 2 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

"Alle für einen, einer für alle": Die Nato hat ab sofort 32 Mitglieder - und damit doppelt so viele wie noch zu Ende des Kalten Krieges. Mit der Aufnahme Schwedens beendete das Verteidigungsbündnis am Donnerstag die jüngste Erweiterungsrunde. Sie war bereits im vergangenen Jahr gestartet worden, als Finnland Mitglied wurde.

Was bedeutet dies für das Bündnis und was für Russland, das vor zwei Jahren den Nachbarstaat Ukraine überfallen hat? Fragen und Antworten dazu:

Schweden hatte sich in den vergangenen 200 Jahren der Neutralität und militärischen Bündnisfreiheit verschrieben. Warum tritt es jetzt der Nato bei?

Auslöser der Entscheidung war wie bei Finnland der russische Einmarsch in die Ukraine im Frühjahr 2022. Viele Menschen, die früher gegen eine Nato-Mitgliedschaft gewesen waren, änderten infolge der Ereignisse ihre Meinung - auch die damals regierenden Sozialdemokraten. Im Mai 2022 beantragten Schweden und Finnland gemeinsam, in das Verteidigungsbündnis aufgenommen zu werden.

Schweden hatte eigentlich gehofft, bereits im Sommer 2022 Bündnismitglied werden zu können. Warum hat der Aufnahmeprozess so lange gedauert?

Verantwortlich für die Verzögerung waren die politischen Anführer der beiden Nato-Staaten Türkei und Ungarn. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ungarns Regierungschef Viktor Orban nutzten ihr Veto-Recht bei Entscheidungen über eine Bündniserweiterung, um Forderungen gegen Schweden und andere Alliierte durchzusetzen. So gab es die Zustimmung Ungarns erst Ende Februar nach einem Besuch des schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson bei Orban. Dort wurden mehrere Vereinbarungen zur Rüstungszusammenarbeit verkündet. Sie sehen unter anderem vor, dass Ungarn vier neue Kampfjets aus Schweden kaufen kann.

Und worum ging es der Türkei?

Die Türkei billigte den Nato-Beitritt Schwedens, nachdem die Regierung in Stockholm stärkere Anstrengungen im Kampf gegen extremistische Gruppen zugesagt hatte. Ankara ging es dabei vor allem um die auch von der EU als Terrororganisation eingestufte kurdische Arbeiterpartei PKK. Zudem trieb die US-Regierung ein Verfahren zum Verkauf von F-16-Kampfjets an die Türkei voran.

Was bringt Schweden in die Nato mit?

Die langjährige Bündnisfreiheit hat dafür gesorgt, dass sich Schweden ebenso wie sein Nachbar Finnland auf seine eigenen militärischen Kapazitäten verlassen musste. Gleichzeitig beteiligten sich die beiden Nordländer bereits an Übungen mit dem Verteidigungsbündnis - sie wissen also, wie die Zusammenarbeit innerhalb der Allianz läuft. Das schwedische Militär verfügt unter anderem über rund 120 Leopard-2-Panzer, die in dem skandinavischen Land Stridsvagn 122 heißen. In der Luft setzt es unter anderem auf Kampfjets vom schwedischen Typ Jas 39 Gripen.

Nach Angaben von Militärexperten ist der schwedische Beitritt insbesondere auch aus strategischen Gründen attraktiv, weil damit die gesamte Ostseeküste - mit Ausnahme der Küste Russlands und seiner Exklave Kaliningrad - Nato-Gebiet ist. So könnte etwa die Verteidigung des Baltikums im Fall eines russischen Angriffs erleichtert werden, weil Truppen und Ausrüstung künftig deutlich einfacher per Schiff über Schweden nach Estland, Lettland und Litauen gebracht werden könnten. Dabei spielt speziell die große schwedische Ostseeinsel Gotland eine Rolle. Als hilfreich gilt auch, dass mit Ericsson künftig ein weiteres weltweit wichtiges Mobilfunktechnik-Unternehmen unter dem Nato-Dach ist.

Wie sieht es bei Schweden mit dem Nato-Ziel aus, dass Bündnismitglieder mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung investieren sollen?

Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri zufolge flossen 2022 gerade einmal 1,3 Prozent des schwedischen BIPs ins Militär. Von der schwedischen Regierung hieß es zuletzt allerdings, dass das Nato-Ziel angesichts starker Budgeterhöhungen bereits in diesem Jahr erreicht werden könnte.

Was bedeutet die Nato-Norderweiterung für Russland?

Aus Sicht von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist die Aufnahme Finnlands und Schwedens ein klares Zeichen für das Scheitern der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin. Putin sei mit dem erklärten Ziel in den Krieg gegen die Ukraine gezogen, in Europa weniger Nato-Präsenz zu haben und eine weitere Bündniserweiterung zu verhindern, erklärte er wiederholt. Nun bekomme Putin genau das Gegenteil von dem, was er wollte.

Zugleich betont die Nato, dass es für Russland keinerlei Grund gebe, sich durch die Norderweiterung bedroht zu fühlen. So widerspricht die Allianz auch Darstellungen, das Bündnis wolle Russland regelrecht einkreisen. Nach Nato-Angaben sind von der mehr als 20.000 Kilometer langen russischen Landgrenze selbst nach der Erweiterung derzeit nur rund elf Prozent auch eine Nato-Grenze.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Deutschland mit stärkster Armee Europas? Ohne Chinas Rohstoffe bleibt es ein Trugbild
23.08.2025

Deutschland rüstet auf wie nie zuvor – doch ausgerechnet Peking hält den Schlüssel zu den nötigen Rohstoffen in der Hand. Die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Blase frisst IT-Jobs: Informatik-Absolventen geraten unter die Räder des Hypes um Künstliche Intelligenz
23.08.2025

Der Traum vom Programmierboom platzt: Während Konzerne Milliarden in Künstliche Intelligenz pumpen, stehen junge Informatik-Absolventen...

DWN
Technologie
Technologie HVO100: Studie kritisiert Klimabilanz der Diesel-Alternative
22.08.2025

HVO100 gilt als moderne Diesel-Alternative und soll den Klimaschutz vorantreiben. Doch eine aktuelle Studie der Deutschen Umwelthilfe wirft...

DWN
Finanzen
Finanzen Steigende Lebensmittelpreise: Diese fünf Produkte treiben die Kosten in die Höhe
22.08.2025

Die steigenden Lebensmittelpreise belasten Verbraucher spürbar. Während viele Haushalte auf günstigere Alternativen ausweichen, warnen...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Schau mir in die Augen, Kleiner! Wie das Start-up Navel Robotics den Pflegenotstand lösen könnte
22.08.2025

Das Münchener Start-up Navel Robotics entwickelt einen sozialen Roboter für Pflegeheime und Kliniken. Er spricht mit den Bewohnern über...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trumps Deal mit China: Wie es von den Zöllen profitiert
22.08.2025

Donald Trump hat seine Zollpolitik neu geordnet – doch anstatt China hart zu treffen, verschont er Peking weitgehend. Europa hingegen...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: Selenskyj kündigt weitere Gegenangriffe an
22.08.2025

Die Ukraine plant nach monatelanger Verteidigung neue Gegenangriffe, um den Ukraine-Krieg zu wenden. Präsident Selenskyj signalisiert...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Wirtschaft rutscht tiefer ins Minus
22.08.2025

Die Deutsche Wirtschaft kämpft mit Einbrüchen und neuen Belastungen. Frische Zahlen zeigen, wie stark sich Rezession, Zölle und schwache...