Die deutsche Handelsschifffahrt sieht sich durch Kriege und Konflikte immer größeren Gefahren auf den Weltmeeren ausgesetzt. „Seit über vier Monaten werden Handelsschiffe im Roten Meer ganz bewusst angegriffen“, sagte die Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder (VDR), Gaby Bornheim, am Dienstag in Hamburg mit Blick auf den Nahostkonflikt. Mehr als 60 Schiffe seien dort inzwischen von der jemenitischen Huthi-Miliz attackiert worden, in der vergangenen Woche habe es beim Angriff auf den Frachter „True Confidence“ erstmals Tote gegeben. Hinzu kämen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit Auswirkungen auf das Schwarze Meer sowie die anhaltenden Spannungen zwischen China und Taiwan im südchinesischen Meer.
6000 Kilometer Umweg wegen Angriffe der Huthi-Miliz
Wegen der Angriffe mit Raketen und Drohnen aus dem Jemen meiden die meisten großen Containerreedereien inzwischen das Rote Meer, können damit den Suezkanal nicht mehr nutzen und müssen auf ihrem Weg von Asien nach Europa einen rund 6000 Kilometer langen Umweg um das südafrikanische Kap der Guten Hoffnung nehmen. Das dauere knapp zwei Wochen länger, führe zu höheren Emissionen und bedeute auch Mehrkosten von rund 1,5 Millionen Dollar pro einfache Fahrt, sagte Bornheim.
Finanziell dürfte die Handelsschifffahrt durch die Umwege aber keine Verluste erleiden. Denn nachdem die Frachtraten für den Transport eines Standardcontainers von China nach Nordeuropa nach dem Boom während der Corona-Pandemie wieder auf rund 1500 Euro gefallen waren, liegt der Spotpreis nun bei rund 4100 Euro, wie das Kiel Institut für Weltwirtschaft zuletzt mitgeteilt hatte. Auch ermöglichten die Umwege es den Reedereien mehr Schiffe einzusetzen und somit ihre Flotte besser auszulasten.
Folgen für Kunden groß - teilweise Werkschließungen
Groß sind die Folgen vor allem für die Kundschaft. „Tesla musste das Werk zwei Wochen lang schließen, Volvo musste sein Werk in Gent in Belgien zwei Wochen schließen, weil die Teile nicht rechtzeitig angekommen sind“, sagte VDR-Hauptgeschäftsführer Martin Kröger. Insgesamt seien die deutschen Im- und Exporte wegen der Schwierigkeiten im Roten Meer um rund zwei Prozent gesunken. Auf europäischer Ebene seien die Importe um 3,1 Prozent und die Exporte um zwei Prozent gefallen. Besonders deutlich seien die Probleme jedoch im Energiesektor. „Ungefähr ein Viertel der Energieimporte nach Europa kommen durch diese Meerenge“, sagte Kröger.
Trotz all der Erschwernisse ist Deutschland weiter Nummer eins bei der Containerschifffahrt. „Wir bereedern aus Deutschland immer noch die weltgrößte Containerschiffsflotte“, sagte Kröger. Der deutsche Anteil an der weltweiten Containerflotte liege bei 11,6 Prozent - nach 10,7 Prozent im Jahr zuvor. Nach Deutschland folge mit knappem Abstand China.
80 Prozent der deutschen Reeder haben weniger als zehn Schiffe
In Bezug auf die gesamte Handelsflotte inklusive Massengutschiffen oder Tankern liegt Deutschland weltweit auf Platz sieben. Insgesamt verfügte die Flotte laut VDR Ende 2023 über 1800 Schiffe. Das seien zwar knapp 40 Schiffe weniger als 2022. Das sei aber relativ normal, weil die Schiffe immer größer würden, sagte Kröger. Die weltgrößten Schifffahrtsnationen seien Griechenland, China und Japan.
Die Mehrzahl der deutschen Reedereien sei mittelständisch geprägt. So haben den Angaben zufolge 80 Prozent der Unternehmen weniger als zehn Schiffe. Fast 900 der rund 1800 Schiffe tragen die Flagge eines EU-Landes am Heck, darunter 259 die deutsche Flagge, 386 Schiffe die Flagge Portugals und 135 Schiffe die Flagge Zyperns. Ebenfalls viel genutzt würden die Flaggenstaaten Antigua und Barbuda mit 429 sowie Liberia mit 400 Schiffen. Kröger betonte, dass alle genannte Flaggenstaaten im Qualitäts- und Sicherheitsranking vor Deutschland lägen.
Deutsche Flagge zählt nicht zu den Besten
„Die deutsche Flagge wird im Moment in der Hafenstaatenkontrolle auf Platz 34 geführt von 39“, sagte Kröger. Ab Platz 40 beginne die graue Liste jener Staaten, die keine Qualitätsflaggen anböten. Bornheim wies darauf hin, dass es beispielsweise unter der deutschen Flagge fast sechs Wochen dauere, bis Genehmigungen für bewaffnete Sicherheitskräfte auf Handelsschiffen erteilt werden. „Bei anderen Flaggen geht das quasi innerhalb eines Tages - und das heißt, da muss sich die deutsche Politik ins Zeug legen, um dort unseren Anforderungen besser Genüge zu tun.“ (dpa)