Die Traktoren rollen wieder auf den Feldern. In vielen Dörfern köchelt aber noch Frust über die Agrarpolitik in Berlin. Nach wochenlangen Bauernprotesten gegen das Aus für langjährige Diesel-Vergünstigungen bemüht sich die Koalition, der Branche mit anderen Entlastungen entgegenzukommen. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) schaltet sich ein und kam mit der Regierungskommission zur Zukunft der Landwirtschaft zusammen. Im Blick stehen mehrere Erleichterungen und auch die lange ungelöste Frage, wie eine gesicherte Finanzierung für einen Umbau der Tierhaltung aussehen soll - mit möglichen Folgen für Preise im Supermarkt.
Wirtschaftsrunden im Kanzleramt kommen sonst eher zusammen, wenn es etwa um die Autoindustrie geht. Jetzt lud Scholz die noch von Vorgängerin Angela Merkel eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft zum Austausch ein, die aber keine reine Interessenvertretung der Branche ist. Vertreten sind Bauern und Ernährungswirtschaft, Natur- und Verbraucherschützer, Handel und Wissenschaft. Das breit besetzte Gremium brachte 2021 mit Empfehlungen für einen Umbau des Ernährungssystems eine Art Agrarfrieden zustande. Das ist nun wieder aktuell.
Ampel versucht Landwirte zu besänftigen
Wirbel gab es schon vor dem Treffen um einen zentralen Punkt, bei dem die Politik seit Jahren nicht vorankommt: Auf Mehrkosten beim Umbau der Tierhaltung hin zu besseren Bedingungen sollen Bauern nicht alleine sitzen bleiben. Als Anschub hat die Ampel eine Milliarde Euro für Schweinehalter reserviert. Gesucht wird aber ein Dauermodell für die gesamte Tierhaltung. Schon seit 2020 liegt ein Konzept einer anderen Kommission um Ex-Agrarminister Jochen Borchert vor, das eine höhere Mehrwertsteuer oder eine Tierwohlabgabe auf tierische Produkte vorschlägt.
Das Modell einer schrittweisen Anhebung der Mehrwertsteuer von ermäßigten sieben Prozent bis zum Regelsatz von 19 Prozent ist auch in einem Entwurfspapier der Zukunftskommission genannt. Agrarminister Cem Özdemir von den Grünen begrüßte die Idee umgehend. Denn er habe immer betont, auch für andere Finanzierungswege offen zu sein. Inmitten der Bauernproteste warb der Politiker offensiv für einen „Tierwohl-Cent", der zunächst auch kleiner ausfallen könnte als die von der Borchert-Kommission ins Spiel gebrachte Tierwohlabgabe mit einem denkbaren Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch.
In der Koalition prallte die Idee vorerst ab, da das FDP-geführte Finanzressort den Ball nicht aufnahm. Kommt nun über die breit anerkannte Zukunftskommission eine neue Dynamik in Gang? Der Bauernverband signalisierte Ablehnung gegen eine Mehrwertsteuer-Anhebung gleich auf 19 Prozent, trägt das Borchert-Konzept aber prinzipiell mit. Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte: „Mehrwertsteuer auf Fleisch hoch, auf Obst und Gemüse auf null: Das wäre eine sofort umsetzbare Maßnahme, die hilft, das Klima zu schützen und gesunde Ernährung zu fördern."
Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft sieht eine höhere Mehrwertsteuer etwa auf Fleisch, Wurst oder Milch nicht als idealen Weg. Dies wäre wegen eines geringen Verwaltungsaufwands aber zumindest am ehesten umsetzbar. Damit verbundene Nachteile für Bio-Betriebe, deren Produkte dadurch überdurchschnittlich verteuert würden, müssten bei der Berechnung von Prämien für Höfe ausgeglichen werden.
Die Regierungskommission kündigte nach der Kanzlerrunde ein baldiges Gesamtpaket mit Vorschlägen an, die von allen Mitgliedern getragen würden. Das Gremium stehe für den fairen Ausgleich von Interessen und scheue sich nicht, auch für heiße Eisen wie den Umbau der Tierhaltung und dessen Finanzierung im Konsens Lösungen zu erarbeiten, machten die Agrarwissenschaftlerin Regina Birner und der Agrarökonom Achim Spiller als Sprecherteam deutlich.
Von der Regierung hieß es, das Gespräch habe in vertrauensvoller Atmosphäre stattgefunden. Die Erwartungen der Branche bleiben hoch, dass nun auch bei anderen Aspekten konkrete Schritte für eine Umsetzung folgen. Zugesichert hat die Ampel-Koalition Beschlüsse noch vor dem Sommer.
Hier ein Überblick über den Katalog:
Flächen: Eine gelockerte EU-Umweltauflage setzt Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) um. Demnach entfällt für die Höfe 2024 die Vorgabe, vier Prozent des Ackerlandes brachliegen zu lassen oder unproduktiv zu nutzen. Die Regierung setzt sich dafür ein, dass das auch in den nächsten Jahren zunächst so bleibt und nicht jährlich neu entschieden werden muss.
Steuern: Angepeilt sind Erleichterungen dafür, dass Bauern etwa wegen des Wetters in einem Jahr hohe Gewinne machen und im nächsten nicht. Dadurch zahlen sie in guten Jahren hohe Steuern und steigen prozentual in der Progressionskurve, wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) erläuterte. Dies soll über mehrere Jahre „geglättet" werden können.
Marktstellung: Es soll bald Regelungen geben, die die Position der Landwirte in der Handelskette bis hin zu den großen Supermärkten stärken. Angedacht ist unter anderem eine bessere Markt- und Preisbeobachtung als Grundlage für Verkaufsentscheidungen von Bauern.
Technologien: Die Regierung will prüfen, wie der Einsatz alternativer Antriebe in der Landwirtschaft vorankommen kann - auch durch Steuererleichterungen für Kraftstoffe.
Bürokratie: Im Blick steht eine Palette von Erleichterungen bei Auflagen und Vorgaben, etwa bei Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten für Tierhalter oder bei Düngeregeln.
Tierhaltung: Das beschlossene neue Tierhaltungslogo für Schweinefleisch im Supermarkt soll wie angekündigt auf die Gastronomie ausgedehnt werden. Dazu stellt die Regierung eine «Prüfung» in Aussicht, wie eine dauerhaft verlässliche Finanzierung für einen Umbau der ganzen Tierhaltung zu höheren Standards sichergestellt werden kann. Mit einer Werbeoffensive für einen „Tierwohl-Cent" ist Özdemir in der Koalition vorerst abgeprallt.
Subventionen: Die Regierung will Vorschläge zur künftigen Ausrichtung der milliardenschweren EU-Agrarfinanzierung erarbeiten - der Abschlussbericht der „Zukunftskommission" sei dafür eine gute Grundlage. Das Gremium hatte unter anderem eine stärkere Bindung an Umweltvorgaben empfohlen. Geschätzt dürften insgesamt auch sieben Milliarden bis elf Milliarden Euro an Zusatzkosten pro Jahr fällig werden, hieß es im Bericht: etwa für mehr Ökolandbau, einen partiellen Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und zum Umbau von Ställen.