David Ricks und seine Forscher beim Pharmahersteller Eli Lilly haben ein Wundermittel entwickelt - die Abnehm-Spritze gegen Adipositas und krankhaftes Übergewicht. Im Schnitt nehmen Patienten dadurch gut 800 Kalorien weniger zu sich am Tag. Experten glauben, das Produkt könnte bei Arzneimitteln zu einem Game Changer werden wie einst Penicillin, Insulin, Aspirin und zuletzt wohl auch Viagra. Es läuft bei Eli Lilly. Und selbst die Wettbewerber von Novo Nordisk, die in Dänemark einen ähnlichen Stoff entwickelt haben, zieht es nach Deutschland. Sie haben Ende März angekündigt, für eine Milliarde Euro in Hannover die Bio-Tech-Firma Cardior zu übernehmen. Sie verfügt über ein vielversprechendes Medikament gegen Herzinsuffizienz.
USA, China und Deutschland bilden Pharma-Spitze
Der Markt wächst, das kommt den führenden Herstellern gleichermaßen zugute. Und auch den großen Forschungsstätten in Europa und den USA. Während in Indien Arzneimittel auf Masse produziert werden, spielt auch Deutschland weiterhin in der Spitzengruppe der forschenden Pharma-Hersteller mit. Selbst internationale Firmengrößen sind vom Pharma-Standort Deutschland überzeugt und stecken Milliarden in neue Produktionsanlagen und neue Forschungslabore.
Ricks persönlich ist vor wenigen Tagen persönlich nach Alzey in Rheinland-Pfalz gekommen, um beim ersten Spatenstich für ein neues Arzneimittelwerk dabei zu sein und sein Deutsch zu üben. Er feierte die Region „als Wiege der pharmazeutischen Innovation", immerhin hat Biontech gleich um die Ecke maßgeblich den Stand der genetischen Messenger-Erforschung (mRNA) beeinflusst und baut für 40 Millionen Euro ein zusätzliches Werk in Marburg. Boehringer Ingelheim mit gut 17.000 Angestellten sitzen gleich ums Eck und bauen für 350 Millionen Euro ein Biotechnologiezentrum in Biberach.
Vor allem dem Bundeskanzler gefällt es natürlich, dass die deutsche Pharma-Erfolgsgeschichte des vergangenen Jahrhunderts fortgeschrieben wird. Olaf Scholz (SPD) war im vergangenen Monat gleich mehrfach zugegen, um bei Grundsteinlegungen und ersten Spatenstichen die Investitionsfreude der Pharma-Branche in Deutschland zu feiern. Bei Merck in Darmstadt. Und auch mit Bundesgesundheitsminister und Parteifreund Karl Lauterbach in Alzey. 2,3 Milliarden Euro lässt sich Eli Lilly dort die neue Produktionsstätte kosten. „Wir bitten normalerweise nicht um Subventionen", erinnerte Ricks später in einem Interview daran, dass es den Amerikanern keineswegs auf Geld des deutschen Steuerzahlers angekommen sei. Warum auch, Eli Lilly ist gut 700 Milliarden Dollar schwer in Sachen Marktkapitalisierung - die Appetitzügler Mounjaro hat an der Börse die Phantasie geradezu beflügelt. Eli Lilly wie auch Novo Nordisk mit den Abnehmmitteln Wegovy und Ozempic kommen beide mit ihrer Produktion kaum noch der gewaltigen Nachfrage hinterher.
Scholz lobt „Bekenntnis zu Deutschland"
Vor wenigen Tagen war der Kanzler dann in Darmstadt mit Schaufel bei Merck Pharma im Einsatz. Bis 2027 entsteht dort für 300 Millionen Euro ein neues Forschungszentrum für 550 Beschäftigte. Insgesamt geht es sogar um ein Programm von 1,5 Milliarden Euro bis 2025, um den Standort Darmstadt zu stärken Scholz lobte die Investitionen als „Bekenntnis zu Deutschland" - es gebe ganz offenkundig keinen Grund in die Schweiz oder auch sonst wohin abzuwandern. Man könnte behaupten, dass die Bundesregierung die forschenden Pharma-Hersteller als Vorbild und Blaupause für die neuen Industrie-Arbeitsplätze in Deutschland wertschätzt. Das passt im übrigen genau rein in die (als Folge der Corona-Pandemie) beschlossene Pharma-Strategie, mit der Produktion, Verfügbarkeit und Lagerung von Arzneimitteln wieder nach Deutschland und in die EU rückgeholt werden sollen. Die Lieferketten aus Fernost waren auf dem Höhepunkt der Versorgungkrise 2021 als verletztliche Achillesferse erkannt worden. Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit sind die neuen Zauberworte dieses Industriezweiges, nicht mehr Konzentration und besonders günstige Herstellungskosten in Indien oder China.
Wobei es nicht allein um Fördertöpfe gehen soll, in der Strategie des Triumvirats aus Kanzler, Wirtschafts-und Gesundheitsmister. So sollen auch klinische Studien und Prüfungen erleichtert werden - es geht um die Verwendung anonymisierter Gesundheitsdaten. Es soll möglichst nicht noch einmal passieren, dass Biontech als neuer Hoffnungsbringer der deutschen Pharma-Firmen extra nach Großbritannien ausweichen musste, um dort mit klinischen Studien für neue RNA-Impfstoffe gegen Krebserkrankungen weiterzukommen - ein Wettbewerb insbesondere mit den führenden US-Firmen, der international standortentscheidend werden könnte. Biontech-Gründer Ugur Sahin äußerte sich zuversichtlich, dass der Impfstoffe womöglich schon 2030 zum Behandlungsalltag werden könnten - so wie es mit den Corona-Impfstoffen geglückt ist. Im Kern geht es um die Baupläne körpereigener Eiweiße, auf die die gesamte Branche nun im Verbund setzt und in der die deutschen Pharma-Hersteller bestens positioniert sind.
Gut ausgebildetes Personal lockt Hersteller ins Land
Deutschland hat den klaren Vorteil, durch die lange Tradition als Pharma-Standort Investoren eine besonders „gut ausgebildete Belegschaft" in Aussicht stellen zu können, lobt Merck-Vorstandschefin Belén Garijo. Sogar Firmen wie Daiichi Sankyo aus Japan nutzen die vorzüglichen Rahmenbedingungen und stecken derzeit eine Milliarde in ihren Standort Pfaffenhofen in Bayern. Roche aus der Schweiz baut davon nicht weit entfernt ein Entwicklungszentrum für Gentherapie in Penzberg auf. Der einstige Platzhirsch Bayer ist aktuell dabei, in Berlin 130 Millionen in eine neure Produktionsanlage zu investieren.
Es scheint mit der Branche in Deutschland jedenfalls besser auszusehen, als die immer wieder vorgetragenen Warnungen und Kritikpunkte an die Adresse der Politik vermuten lassen würden. Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen äußerte die Befürchtung, dass sich die Kräfteverhältnisse weltweit zugunsten der USA und Chinas verschieben könnten. Europa verliere „immer stärker an Boden", hieß es unlängst in einer Meldung. Ursache seien vor allem die Unzulänglichkeiten in der digitalen Infrastruktur Deutschlands. Von Drohungen, aus der Heimat abzuwandern, ist zumindest in der Pharma-Branche derzeit freilich nichts zu hören. Eine Branche mit glänzenden Aussichten!