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Elektronische Patientenakte: Pflicht ab 2025 – Chancen und Herausforderungen

Lesezeit: 6 min
17.06.2024 06:12  Aktualisiert: 29.06.2030 16:00
Seit Januar 2021 können alle gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) nutzen. Ab 2025 wird sie verpflichtend. Kann die ePA das Gesundheitssystem effizienter und umweltfreundlicher gestalten und zum Klimaschutz beitragen?
Elektronische Patientenakte: Pflicht ab 2025 – Chancen und Herausforderungen
Die elektronische Patientenakte (ePA) zentralisiert medizinische Daten. Sie soll die Behandlungsqualität verbessern und Doppeluntersuchungen reduzierten. (Foto: dpa)

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Seit Januar 2021 haben alle gesetzlich Versicherten die Möglichkeit, eine elektronische Patientenakte (ePA) direkt von ihrer Krankenkasse anzufordern. Diese Akte speichert umfassend medizinische Befunde und Informationen aus früheren Untersuchungen und Behandlungen. Die Einführung der ePA ist ein wichtiger Bestandteil der Digital- und Gesundheitspolitik der Bundesregierung gewesen.

Das am 14. Dezember 2023 verabschiedete Digital-Gesetz macht die Nutzung der ePA ab 2025 für alle gesetzlich Versicherten verpflichtend. Ziel ist es, den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten zu verbessern und digitale Prozesse wie den Medikationsplan zu unterstützen. Wer die ePA nicht nutzen möchte, kann dies aktiv ablehnen und seine Krankenkasse informieren, was als Opt-out bezeichnet wird – alle, die sich näher mit dem Datenschutz befassen, kennen das Prozedere. Dies bedeutet, dass man sich bewusst gegen die Nutzung entscheidet und somit von der Teilnahme ausgeschlossen wird.

Die verbesserte Datenverfügbarkeit, die durch die ePA entsteht, soll Ärzten ermöglichen, sich mehr auf die Behandlung zu konzentrieren und Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Dies entlastet sowohl Patienten als auch Mediziner – so zumindest die Theorie. Die DWN haben da einmal nachgehakt.

Die Einführung der ePA in Deutschland war das Ergebnis von wissenschaftlichen Untersuchungen, praktischen Empfehlungen und politischen Diskussionen. Experten wie Peter Haas, Professor für Medizinische Informatik an der Fachhochschule Dortmund, sowie Organisationen wie die Bertelsmann Stiftung spielten eine bedeutende Rolle bei ihrer Konzeption und Förderung.

Überwachung und Verwaltung

Patienten haben die Kontrolle über die ePA und die gespeicherten Daten. Sie entscheiden, welche Informationen gespeichert oder gelöscht werden und wer Zugriff erhält. Seit 2021 bieten Krankenkassen eine App zur Verwaltung der ePA über Smartphone oder Tablet an. Die Testphase mit ausgewählten Arztpraxen begann zeitgleich. Bis zum 1. Juli 2021 mussten alle Dienstleister die ePA einrichten, um eine flächendeckende Nutzung ab dem dritten Quartal 2021 zu ermöglichen.

Ärzte und Patienten können Dokumente, Arztbriefe und Befunde in die ePA einfügen. Wer keine digitalen Dokumente hat, kann diese per Smartphone oder andere Geräte einscannen. Ärzte sollen bei der Befüllung der ePA helfen und wichtige Informationen schnell bereitstellen.

Technische Herausforderungen und Lösungen

Die Implementierung der ePA erfordert umfangreiche technische Anpassungen in Arztpraxen und Krankenhäusern. Dies umfasst die Schulung des Personals, die Sicherstellung der technischen Infrastruktur und die Integration der ePA in bestehende IT-Systeme. Standardisierte Schnittstellen und regelmäßige Updates sollen helfen, diese Herausforderungen zu meistern.

Die Einführung der ePA wird durch staatliche Fördermittel unterstützt. Diese umfassen Investitionen in die IT-Infrastruktur, Schulungen und Informationskampagnen. Die langfristigen Kosteneinsparungen durch effizientere Prozesse und vermiedene Doppeluntersuchungen könnten diese Investitionen rechtfertigen.

Zugriffsmöglichkeit und Datensicherheit

Der Zugriff auf die ePA erfordert die elektronische Gesundheitskarte und die persönliche Identifikationsnummer (PIN) des Patienten sowie den Heilberufsausweis und eine PIN der Ärzte. Der Zugang erfolgt über ein sicheres Netzwerk, die Telematikinfrastruktur.

Auch eine dritte Person, etwa ein Familienmitglied, kann mit der Verwaltung der ePA beauftragt werden. Es gibt keine Altersbeschränkungen. Eltern sind Vertreter ihrer minderjährigen Kinder, aber einwilligungsfähige Minderjährige ab 15 Jahren können die ePA eigenständig nutzen. Über die App der Krankenkassen können Versicherte ihre ePA eigenständig verwalten.

Mit der ePA müssen Patienten nicht mehr alle ihre medizinischen Unterlagen mitbringen oder ihre Krankengeschichte mehrfach erklären. Sie können dadurch sofort den aktuellen Medikationsplan beim Arzt vorlegen. Das spart Zeit und erleichtert die Behandlung. Gleichzeitig erfordert die Einführung der ePA eine höhere Sensibilität und Schulung in Datenschutz und IT-Sicherheit, um die Einhaltung der Datenschutzvorschriften sicherzustellen.

Kritik und Datenschutzbedenken

Die Einführung der ePA in Deutschland ist mehrfach kritisiert worden. Datenschutzbedenken sind weitverbreitet. Kritiker sagen, dass Forschungsinstitute auf die Gesundheitsdaten zugreifen könnten. Obwohl dies zu medizinischen Fortschritten führen kann, besteht die Sorge, dass die Daten missbraucht werden könnten.

Gleichzeitig macht die strikte Datenschutz-Grundverordnung die Nutzung der Patientendaten kompliziert. Sie erfordert komplexe Sicherheitsmaßnahmen, die den einfachen Zugriff erschweren. Ein detaillierter Rechtsrahmen stellt sicher, dass die Nutzung der ePA im Einklang mit den Datenschutzgesetzen steht. Strenge Zugriffsregelungen und regelmäßige Audits sollen die Sicherheit der Daten gewährleisten und das Vertrauen der Nutzer stärken.

Manche Experten schlagen vor, die digitale Infrastruktur zu verbessern und die Verantwortung für die Bereitstellung und Wartung der ePA-Apps von den Krankenkassen auf eine zentralisierte, unabhängige Stelle zu übertragen. Zudem sollte der Zugang zur ePA im Notfall einfacher gestaltet werden, um sicherzustellen, dass lebenswichtige Informationen immer verfügbar sind.

Kontroversen um das Opt-out-Modell

Das Opt-out-Modell, bei dem Patienten aktiv widersprechen können, wird ebenfalls kontrovers gesehen. Experten halten die Frist bis 2025 für knapp bemessen, da Patienten umfassend informiert und die Praxissoftware angepasst werden muss. Kritiker befürchten, dass viele Patienten nicht ausreichend informiert sind oder die Frist verpassen könnten, um ihre Ablehnung auszudrücken. Dies könnte eine unfreiwillige Teilnahme zur Folge haben. Zudem gibt es Sorgen, dass nicht alle Patienten die technischen Mittel oder das Wissen haben, um ihre Präferenzen klar mitzuteilen. Forscher der Ruhr-Universität Bochum, der Leibniz-Universität Hannover und des CISPA – Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit haben in einer Studie herausgefunden, dass viele Versicherte die digitale Infrastruktur der ePA nicht vollständig verstehen. Eine weitverbreitete Sorge betrifft die Rolle der Krankenkassen, die die Apps zur Verwaltung der ePA bereitstellen. Viele Nutzer befürchten, dass die Krankenkassen mehr Daten einsehen können als gesetzlich erlaubt, was das Vertrauen in das System untergräbt. Die Forscher empfehlen die Einführung einer einheitlichen Open-Source-App, um die Sicherheit zu erhöhen und das Vertrauen der Nutzer zu stärken.

Die ePA wird auch als überreguliert und zu sicherheitsfokussiert kritisiert. Viele bemängeln, dass die ePA trotz der hohen Sicherheit im praktischen Alltag ineffizient ist und die versprochenen Effizienzgewinne nicht ausreichend liefert. Laut einer gemeinsamen Erklärung der Heilberufe warnen auch Ärzte vor der mangelnden Nutzbarkeit der ePA. Sie kritisieren, dass die ePA schwer zu bedienen sei und keine Funktion für die einfache Suche nach bestimmten Begriffen oder Informationen biete. Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen warnt, dass die Umsetzung in der vorgesehenen Frist ambitioniert ist und eine umfassende Anpassung der Praxisverwaltungssysteme voraussetzt.

Bürgerbeteiligung, öffentliche Meinung und Vorteile

Um die Akzeptanz der ePA zu erhöhen, plant die Regierung Informationskampagnen und öffentliche Diskussionsforen. Diese sollen den Bürgern die Vorteile der ePA näherbringen und deren Bedenken adressieren.

Langfristig soll die ePA ein integraler Bestandteil eines vernetzten Gesundheitssystems werden, das den Austausch von Gesundheitsdaten nicht nur national, sondern auch international ermöglicht. Dies könnte den Zugang zu Gesundheitsdiensten weltweit verbessern und die globale Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung stärken.

Die ePA bietet auch Potenzial für die medizinische Forschung, indem anonymisierte Daten für Studien genutzt werden können. Dies kann zur Entwicklung neuer Therapien und Medikamente beitragen und das Gesundheitssystem insgesamt verbessern.

Mögliche Auswirkungen auf Familien und Unternehmen

Die Einführung der ePA bringt auch positive Aspekte mit sich. Die Digitalisierung der Gesundheitsdokumente kann Familien unterstützen. Durch die ePA wird die Verwaltung medizinischer Dokumente vereinfacht und der administrative Aufwand reduziert. Dies ist besonders nützlich für diejenigen Familienmitglieder, die häufig gesundheitliche und familiäre Aufgaben koordinieren.

Zudem speichert die ePA zentral alle medizinischen Daten, die Ärzte während Telemedizin-Sitzungen und Videocalls einsehen können. Dies kann den Bedarf an physischen Arztbesuchen reduzieren, was vor allem berufstätigen Müttern zugutekommt. So könnte die ePA die Belastung für Frauen im Gesundheitswesen verringern und ihre Lebensqualität verbessern.

Auch für Unternehmen kann die erleichterte Gesundheitsversorgung Vorteile bieten. Die ePA kann dazu beitragen, dass kranke Mitarbeiter schneller an den Arbeitsplatz zurückkehren, indem sie Doppeluntersuchungen vermeiden und optimierte Behandlungsabläufe nutzen. Kürzere Krankheitsausfälle könnten somit Fehlzeiten reduzieren und die Effizienz und Wirtschaftlichkeit in Unternehmen fördern. Das ist jedoch noch etwas hochgegriffen, denn in erster Linie sollen Ärzten, Apothekern und vor allem Patienten der Arztbesuch erleichtert werden.

Umweltvorteile der elektronischen Patientenakte

Eine Studie der BSR (Business for Social Responsibility), einer in der amerikanischen Stadt San Francisco ansässigen Organisation, in Zusammenarbeit mit Kaiser Permanente zeigt, dass elektronische Gesundheitsakten (EHR) erhebliche Umweltvorteile bieten können. Kaiser Permanente, eines der größten integrierten Gesundheitsdienstleister- und Versicherungsunternehmen in den USA, hat durch die Einführung von EHR den Papierverbrauch reduziert, weniger Patiententransporte ermöglicht und die Nutzung von Chemikalien und Plastik verringert.

Trotz eines erhöhten Energieverbrauchs durch die Nutzung elektronischer Systeme überwiegen die positiven ökologischen Effekte. Zusätzlich führen weniger Fahrten zu Arztterminen zu einer signifikanten Reduzierung der Fahrzeugemissionen, was dem Klimaschutz zugutekommt.

Digitalisierung als Schicksal – Flexibilität und Bewusstsein sind nötig

Die Digitalisierung – auch im Gesundheitswesen – verändert das Verhältnis der Bürger zur Gesellschaft, indem sie neue Formen der Interaktion und Teilhabe ermöglicht. Diese Veränderungen erfordern eine hohe Flexibilität und ein Bewusstsein der Beteiligten.

Digitale Lösungen wie die ePA können den Zugang zu Gesundheitsdiensten erheblich erleichtern und die Effizienz des Gesundheitssystems steigern. Gleichzeitig bringen sie jedoch Risiken für die Datensicherheit und den Datenschutz mit sich. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Beteiligten sich nicht nur mit diesen neuen Technologien auskennen, sondern auch wachsam gegenüber potenziellen Gefahren bleiben.

Der Schutz persönlicher Informationen muss gewährleistet sein, um das Vertrauen der Bürger in digitale Systeme zu erhalten und die Vorteile der Digitalisierung voll auszuschöpfen. Eine ausgewogene Balance zwischen Innovation und Sicherheit sowie das Bewusstsein über die Digitalisierung als Schicksal sind hierbei unerlässlich. Denn am Ende wird beides vermutlich nicht miteinander vereinbar sein.

Zum Autor:

Farhad Salmanian arbeitet bei den DWN als Online-Redakteur. Er widmet sich den Ressorts Politik und Wirtschaft Deutschlands sowie der EU. Er war bereits unter anderem für die Sender BBC und Radio Free Europe tätig und bringt mehrsprachige Rundfunkexpertise sowie vertiefte Kenntnisse in Analyse, Medienbeobachtung und Recherche mit.


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