Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen, urteilten die Richter und gaben damit zwei Klagen der Deutschen Umwelthilfe statt (Aktenzeichen OVG 11 A 22/21 und OVG 11 A 31/22).
Nach Ansicht der Vorsitzenden Richterin Ariane Holle erfüllt das im letzten Oktober beschlossene Programm nicht vollständig die gesetzlichen Anforderungen. Es sei bereits absehbar, dass von 2024 bis 2030 viele Sektoren die zulässigen Mengen an Treibhausgasen überschreiten würden, voraussichtlich mit Ausnahme der Landwirtschaft.
"Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass alle Klimaschutz-Maßnahmen des Programms geeignet sind, die Klimaziele zu erreichen und die jährlichen Emissionsmengen einzuhalten", betonte Holle. Dies müsse "methodisch einwandfrei" und gut begründet sein und dürfe nicht auf falschen Prognosen beruhen. Die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele seien verbindlich.
Mit den bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung klaffe bis 2030 eine Gesamtlücke von circa 200 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten. Das entspricht der Menge an Treibhausgasen, die Deutschland zusätzlich einsparen müsste, um die Klimaziele zu erreichen.
Die Klagen der DUH basierten auf den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes für verschiedene Sektoren zur Minderung des Treibhausgasausstoßes von 2024 bis 2030. Das Ziel des Gesetzes ist es, die Emissionen bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent zu senken. Bis 2023 hatte Deutschland rund 46 Prozent Minderung erreicht.
Das Urteil könnte weitreichende Folgen für die Politik der Ampel-Regierung haben - sofern es umgesetzt werden muss. Denn die Bundesregierung kann noch in Revision gehen. Dann wäre das Bundesverwaltungsgericht erneut am Zug.
Die Deutsche Umwelthilfe begrüßte das Urteil als Erfolg. "Dieses Urteil ist eine verdiente Ohrfeige für die Pseudo-Klimaschutzpolitik der Bundesregierung", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Die Bundesregierung müsse nun rasch handeln und kurzfristig nachbessern. Eine wesentliche Forderung seines Vereins sei ein Tempolimit auf Autobahnen. Auch klimaschädliche Subventionen wie etwa steuerliche Vorteile für Dienstwagenbesitzer sollten abgeschafft werden.
Die Organisation hatte bereits im November 2023 juristisch gegen die Klimapolitik der Bundesregierung interveniert und einen Sieg errungen. Damals hatte das OVG Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Regierung ein Klima-Sofortprogramm für die Sektoren Verkehr und Gebäude auflegen muss. Die Revision läuft beim Bundesverwaltungsgericht. Beide Sektoren gelten seit Langem als problematisch. Nach den jüngsten Zahlen des Umweltbundesamtes wurden die Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen hier im Jahr 2023 erneut verfehlt. Besonders der Verkehrssektor hat bisher deutlich versagt, seinen Beitrag zu leisten.
Das bemängelte Klimaschutzprogramm ist ein Gesamtplan der Bundesregierung, um die Ziele zu erreichen. Es listet zahlreiche Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Energie, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft auf.
Dazu gehören konkrete, teils schon umgesetzte Maßnahmen wie die Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes, das 49-Euro-Deutschland-Ticket oder die CO2-abhängige Lkw-Maut. Es finden sich aber auch allgemeinere Vorhaben, wie die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) oder eine beschleunigte Ausweisung von Flächen für den Ausbau erneuerbarer Energien.
In der mündlichen Verhandlung wurde von einem Anwalt der DUH argumentiert, dass vieles auf der Liste zu vage formuliert sei und nicht klar sei, welche konkreten Auswirkungen dies auf die Reduktion der Treibhausgase habe. Prozessvertreter der Bundesregierung argumentierten dagegen, dass es sich beim Klimaschutzprogramm eher um ein politisches Programm als um einen konkreten Plan handle.
Das aktuelle Klimaschutzgesetz legt für jeden Sektor jährliche Ziele zur Senkung der schädlichen Treibhausgase fest. Werden diese in einzelnen Sektoren in einem Jahr verfehlt, wie im Verkehr- und Gebäudesektor geschehen, muss das jeweils zuständige Ministerium mit einem Sofortprogramm gegensteuern.
Diese Systematik dürfte sich allerdings bald ändern. Ende April beschloss der Bundestag eine umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes, vor allem auf Betreiben des Koalitionspartners FDP. Die Einhaltung der Klimaziele soll demnach nicht mehr rückwirkend nach Sektoren kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Klimaschützer sehen darin eine Aufweichung der Ziele - da einzelne Sektoren dadurch nicht mehr so wie bisher in die Pflicht genommen würden.
Entscheidend ist der Neuerung zufolge, dass die Klimaziele insgesamt erreicht werden. Das neue Gesetz ist noch nicht in Kraft, am Freitag berät der Bundesrat darüber.
Das nun ergangene Urteil könnte den Ausgang der dortigen Beratungen beeinflussen. Der Bundesrat hätte die Möglichkeit, das Gesetz nicht zu billigen und stattdessen den Vermittlungsausschuss anzurufen. Klar ist: Innerhalb der Bundesregierung dürfte das Urteil auch so schon für sehr viel Unruhe sorgen