Politik

Kampf gegen unsichtbare Pandemie: Neue Wege im Kampf gegen häusliche Gewalt

155 getötete Frauen: Wieder mehr häusliche Gewalt in Deutschland! Im vergangenen Jahr verzeichnete Deutschland erneut einen besorgniserregenden Anstieg der häuslichen Gewalt. Die Bundesregierung hat ein Bundeslagebild vorgelegt und deutlich gemacht, was das alles für Konsequenzen hat.
09.06.2024 14:05
Lesezeit: 3 min

Es trifft vor allem Frauen, und zwar aus allen gesellschaftlichen Schichten: Die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Wie aus einem aktuellen Bericht zur polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht, waren insgesamt 256.276 Menschen im Jahr 2023 offiziell von häuslicher Gewalt betroffen - 6,5 Prozent mehr als 2022. Bereits im Jahr davor hatte es einen Anstieg um mehr als acht Prozent gegenüber 2021 gegeben. In beiden Jahren waren drei Viertel der Tatverdächtigen männlich.

„Jeden Tag werden in Deutschland im Durchschnitt über 700 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die am Freitag zusammen mit Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und der Vizepräsidentin des Bundeskriminalamts, Martina Link, das sogenannte Bundeslagebild zur häuslichen Gewalt in Deutschland vorstellte. „Die Opfer sind weit überwiegend Frauen“, betonte Faeser weiter. 70,5 Prozent, heißt es in der offiziellen Statistik. Doch die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen.

Häusliche Gewalt betrifft nicht immer die eigenen vier Wände

Von häuslicher Gewalt ist immer dann die Rede, wenn es sich um Personen handelt, die in einer partnerschaftlichen Beziehung zueinander sind oder waren oder wenn sich die Gewalt in der Familie abspielt, beziehungsweise eine familiäre Beziehung besteht. Es sei dabei unerheblich, ob sich die Gewalt innerhalb der eigenen vier Wände zutrage, erklärte BKA-Vizepräsidentin Martina Link.

Partnerschaftsgewalt besonders im Fokus

Besonders im Fokus steht dabei die Gewalt, die von Partnern oder Ex-Partnern verübt wird. Diese betrifft mit 65,5 Prozent die meisten Opfer häuslicher Gewalt. Hier gab es 2023 knapp 168.000 Fälle - 6,4 Prozent mehr als 2022. Mit 79,2 Prozent waren die Opfer von Partnerschaftsgewalt überwiegend Frauen. In den meisten Fällen handelte es sich dabei um vorsätzliche einfache Körperverletzung (59,1 Prozent), Bedrohung, Stalking oder Nötigung (24,6) sowie um gefährliche Körperverletzung (11,4).

Im vergangenen Jahr sind laut Statistik 155 Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner umgebracht worden - 22 mehr als im Vorjahr. Unter den Männern waren es 24.

Femizide dürften nicht als „Eifersuchtsdramen verharmlost werden“, mahnte Faeser. Familienministerin Paus betonte, dass Gewalt gegen Mütter auch Kinder ein Leben lang belasten könne. „Wenn Kinder sehen, dass ihre Mutter geschlagen wird, dann hat das weitreichende Folgen.“

Innerfamiliäre Gewalt trifft auch viele Kinder

Die restlichen Betroffenen, die in der Statistik registriert sind, haben innerfamiliäre Gewalt erlebt (34,5 Prozent). Die kann sich beispielsweise auch zwischen Großeltern und Enkelkindern oder anderen nahen Angehörigen abspielen.

Betroffen waren im vergangenen Jahr 88 411 Menschen – ebenfalls ein Anstieg um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Gegensatz zu den Opfern partnerschaftlicher Gewalt ist das Geschlechterverhältnis hier relativ ausgeglichen. Lediglich 54 Prozent der Opfer waren weiblich, ein Viertel von ihnen jünger als 14.

Erklärversuche für die Zunahme von häuslicher Gewalt

Laut BKA-Vizepräsidentin Link dürften die gesellschaftlichen Krisen eine Rolle bei der immer weiter steigenden Opferzahl spielen. Aber auch die Anzeigebereitschaft sei zuletzt gestiegen. Immer mehr Nachbarn oder Menschen aus dem näheren Umfeld trauten sich, Täter anzuzeigen.

Dieses Phänomen beobachtet auch Petra Söchting, die das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ leitet. Bei ihr seien im vergangenen Jahr mit 59.000 so viele Beratungsfälle angefallen wie noch nie, erklärte sie. Ein Anstieg um zwölf Prozent im Vergleich zu 2022.

Klar ist: Die Zahlen steigen Jahr für Jahr. Angebote für Betroffene gibt es zwar schon, doch sie reichen längst nicht aus, um den Bedarf zu decken. Die beiden Ministerinnen Faeser und Paus sehen sich zwar nach eigenen Worten in der Verantwortung, haben aber auf wichtige Fragen noch keine finalen Antworten.

Verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter

Der Opferschutz müsse früh ansetzen, betonte Faeser. Deshalb plane Deutschland ein Modell wie in Österreich: Dort müssten verurteilte Täter, denen verboten wurde, sich einer Frau zu nähern, verpflichtend an einem Anti-Gewalt-Training teilnehmen.

Eine solche Verpflichtung müsse es auch in Deutschland geben. Das Gewaltschutz-Gesetz soll laut Faeser entsprechend geändert werden. In diesem Zusammenhang sei auch eine verpflichtende elektronische Fußfessel für solche Gewalttäter im Gespräch, erklärte sie. So könne die Polizei im Ernstfall schneller eingreifen.

Eine weitere Maßnahme seien Schalter der Bundespolizei, die künftig an Bahnhöfen in Deutschland rund um die Uhr für betroffene Frauen erreichbar sein sollen. Noch in diesem Jahr würden entsprechende Pilotprojekte starten, kündigte Faeser an.

Zu wenig Plätze in Frauenhäusern

Auch Paus betonte, dass sie aktuell in Beratungen mit den Ländern für ein neues „Gewalthilfegesetz“ sei. Das solle „einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung“ sowie eine dauerhafte Finanzierung der Schutz-Angebote durch den Bund verankern und helfen, dringend benötigte Frauenhausplätze zu schaffen.

In Deutschland gebe es derzeit 7.786 Plätze, erklärte Paus. Die Einrichtungen sähen aber einen zusätzlichen Bedarf von 10.300 Plätzen. Die Gewerkschaft der Polizei geht sogar von 14.000 fehlenden Plätzen aus.

Wie diese Lücke in Gänze geschlossen werden soll, verriet die Ministerin nicht. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher hatte Paus zuvor dazu ermahnt, dringend in neue Plätze zu investieren. Ein Rechtsanspruch auf Schutz ergebe nur Sinn, wenn es auch genügend Plätze gebe, argumentierte Breher.

Auch Sozialverbände pochen auf größere Investitionen. „Ohne eine verbindliche Finanzierung durch alle staatlichen Ebenen“ könne der flächendeckende Zugang zu Schutzangeboten nicht gewährleistet werden, sagte die Präsidentin des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Wie schützt man seine Krypto-Wallet? CLS Mining ermöglicht Nutzern eine stabile tägliche Rendite von 6.300 €.

Der Kryptowährungsmarkt erholte sich heute umfassend, die Stimmung verbesserte sich deutlich. Meme-Coins führten den Markt erneut an....

DWN
Politik
Politik Sie gehört zu den mächtigsten Frauen der EU: Jetzt geht sie auf Konfrontationskurs mit Trump
20.11.2025

Die Spannungen zwischen der EU und den USA erreichen einen neuen Höhepunkt. Donald Trump attackiert europäische Digitalgesetze, droht mit...

DWN
Technologie
Technologie Unser neues Magazin ist da: Deutschland digital – warum die Zukunft nicht warten kann
20.11.2025

Deutschland steht an der Schwelle zu einer digitalen Zeitenwende – doch wir zögern. Zwischen überbordender Bürokratie,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Hohe Strom- und Arbeitskosten: LKW-Hersteller MAN baut 2.300 Stellen in Deutschland ab
20.11.2025

Der Lastwagen- und Bushersteller MAN will in Deutschland rund 2.300 Stellen abbauen. Belastend seien hohe Strom- und Arbeitskosten und der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen EU untersucht Google wegen möglicher „Herabstufung von Nachrichteninhalten“
20.11.2025

Brüssel nimmt Googles Anti-Spam-System ins Visier. Die EU vermutet, dass das Google-Ranking Nachrichtenwebseiten systematisch herabstuft...

DWN
Finanzen
Finanzen Ukraine-Hilfen: EU-Kommission rechnet mit möglichen Kriegsende bis Ende 2026
20.11.2025

Die EU plant weitere 135,7 Milliarden Euro Ukraine-Hilfe. Dabei basieren die Vorschläge der EU-Kommission zur finanziellen Unterstützung...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stellenabbau auf Negativrekord: Beschäftigung in der Autobranche fällt auf Tief seit 2011
20.11.2025

Die Industrie steckt in einer schweren Krise: Besonders betroffen ist die Autobranche, aber auch im Maschinenbau gehen Tausende Jobs...

DWN
Politik
Politik Kampf gegen Klimawandel: Deutschland gibt eine Milliarde für Tropenfonds
20.11.2025

Deutschland hat bei der UNO-Klimakonferenz in Brasilien eine Milliarde Euro für den globalen Waldschutzfonds TFFF zugesagt. Wie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Abwanderung deutscher Arbeitsplätze: Unternehmen verlagern Zehntausende Jobs ins Ausland
20.11.2025

Niedrigere Lohn- und Energiekosten, weniger Bürokratie und attraktivere Wettbewerbsbedingungen: Deutsche Unternehmen haben in den...