Liebe Leserinnen und Leser,
die Klimakrise ist bedrohlich - und sie verlangt von uns allen radikale Veränderungen. Wir müssen unser Verhalten anpassen: weniger fliegen, weniger Auto fahren, nachhaltiger leben - wenn man es sich leisten kann. Und ja, die Politik muss uns dabei in die Pflicht nehmen. Es braucht klare, konsequente Maßnahmen, die nicht nur Anreize bieten, sondern auch Vorgaben und Regelungen, die den notwendigen Wandel vorantreiben.
Und das ist nicht einfach, es ist sogar äußerst kompliziert - für jeden einzelnen Menschen, für Unternehmen und gerade für ein Industrieland wie Deutschland. Doch so sehr ein entschiedener Wandel in der Gesellschaft nötig wäre, so sehr sehe ich die jüngsten Aktionen der "Letzten Generation", bei denen Aktivisten sich nun wieder an Rollfeldern deutscher Flughäfen festkleben, als kontraproduktiv, gesetzwidrig und sogar gefährlich an.
Der Wunsch nach Wandel: Was uns antreibt
Zweifellos sind die Aktivisten der "Letzten Generation" getrieben von einer tiefen Verzweiflung und einem dringenden Bedürfnis, die Welt aufzurütteln. Sie sehen die Untätigkeit der Politik und die Trägheit der Gesellschaft als fatale Fehler, die uns immer näher an den Abgrund führen. In ihrer Weltanschauung bleibt uns keine andere Wahl, als sofort und mit drastischen Maßnahmen zu handeln, um den Planeten zu retten. Diese Leidenschaft trifft eigentlich den Kern der Wahrheit: Wir müssen mehr tun um die Klimakrise in den Griff zu bekommen.
Aber hier kommt der entscheidende Punkt: Diese Art von Aktionismus, die durch Blockaden und Störungen den Alltag der Menschen massiv beeinträchtigt, ist natürlich der falsche Weg. Es ist eine Sache, lauthals für Veränderungen zu plädieren, und eine ganz andere, den Lebensalltag anderer Menschen derart drastisch zu beeinflussen, dass sie in ihrem persönlichen Glück und in ihren Freiheiten eingeschränkt werden. Es braucht einen Wandel, ja, aber nicht um den Preis, den die Aktivisten hier einfordern.
Die Folgen für die Gesellschaft: Proteste, die den falschen Nerv treffen
Betrachten wir die direkten Auswirkungen solcher Aktionen: Hunderte Flüge werden gestrichen, zehntausende Menschen werden daran gehindert, rechtzeitig in den Urlaub zu fliegen. Für viele ist dieser Urlaub der Höhepunkt des Jahres, eine wohlverdiente Auszeit nach Monaten harter Arbeit und Anspannung. Diese Menschen haben sich auf diesen Moment gefreut, haben Zeit und Geld investiert, sie haben sich diese Belohnung mit eigener Hände Arbeit verdient – und werden nun durch eine verzweifelte Protestaktion um dieses Erlebnis gebracht. Was bleibt, ist Frust, Wut und ein zunehmendes Unverständnis gegenüber der gesamten Klimabewegung.
Dieser Frust ist nicht nur schädlich für das Ansehen der Aktivisten, sondern auch für den Klimaschutz insgesamt. Menschen, die sich ohnehin nicht besonders für den Klimawandel engagieren, fühlen sich in ihrer Ablehnung nur bestätigt. Sie sehen den Protest nicht als legitimen Aufruf zum Handeln, sondern als einen rücksichtslosen Eingriff in ihr Privatleben. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was gebraucht wird: Der Klimaschutz muss Menschen zusammenbringen, nicht auseinander treiben.
Die Kehrseite der Medaille: Die Forderung nach härteren Strafen
Die politischen Reaktionen auf diese Aktionen sind klar und verständlich. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fordern härtere Strafen für solche Proteste. Sie sprechen richtigerweise von "kriminellen Aktionen", die den Flugverkehr gefährden und Menschenleben riskieren. Und während ich die Notwendigkeit verstehe, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, frage ich mich, ob drakonische Strafen die einzige Lösung sind.
Natürlich müssen Verstöße gegen Gesetze geahndet werden und die Klimakleber unbedingt strafrechtlich verfolgt werden. Doch wenn wir uns nur auf die strafrechtliche Verfolgung konzentrieren, verkennen wir die eigentliche Ursache dieser Proteste: die tiefe Frustration über eine Politik, die aus Sicht der Aktivisten zu wenig und zu langsam agiert und welche generell den gebrauchten Wandel selber nicht vorlebt. Der Klimawandel ist ein Problem, und wir müssen uns dieser Herausforderung stellen – aber mit klugen, durchdachten Maßnahmen, nicht durch eine weitere Eskalation des Konflikts.
Der richtige Weg: Dialog und gemeinsames Handeln
Was wir wirklich brauchen, ist ein ehrlicher Dialog in unserer Gesellschaft. Ein Dialog, der nicht die Wut und den Frust der Menschen weiter schürt, sondern der darauf abzielt, Lösungen zu finden, die uns als Gesellschaft einen Schritt weiterbringen. Wir müssen darüber sprechen, wie wir den notwendigen Wandel gestalten können, ohne die Gesellschaft weiter zu spalten. Es geht darum, die Menschen mitzunehmen, sie zu überzeugen und zu motivieren, ihren Lebensstil zu ändern – nicht sie durch radikale Aktionen zu verprellen.
Dabei muss die Politik eine zentrale Rolle spielen. Es liegt an den Verantwortlichen, klare, mutige Entscheidungen zu treffen, die uns in Richtung einer nachhaltigen Zukunft führen. Wir brauchen eine Politik, die nicht nur auf Freiwilligkeit setzt, sondern auch den Mut hat, notwendige Maßnahmen durchzusetzen. Aber dies muss auf eine Weise geschehen, die die Menschen mitnimmt, statt sie vor den Kopf zu stoßen.
Ein gutes Beispiel ist das Tempolimit, das in Deutschland leider mit viel Polemik aufgeladen ist. Zu große Emotionen versperren oft den Blick auf die Realität: In einer aktuellen Umfrage des ADAC stimmten 55 Prozent der Club-Mitglieder für ein Tempolimit. Je niedriger die Geschwindigkeit, desto geringer ist auch der Kraftstoffverbrauch, was einen geringeren CO2-Ausstoß zur Folge hat: In einem im Januar 2023 vom Umweltbundesamt (UBA) veröffentlichten Gutachten gehen die Autorinnen und Autoren von 4,7 Millionen Tonnen weniger CO2 pro Jahr durch ein generelles Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen aus.
Würden auch Verhaltensänderungen einbezogen, gingen die Emissionen dem UBA zufolge sogar um 6,7 Millionen Tonnen CO2 zurück. Das Bundesamt erwartet nämlich, dass Autobahnen durch ein Tempolimit an Attraktivität verlieren könnten und Autofahrende auf andere Verkehrsmittel wechseln würden.
6,7 Millionen Tonnen CO2 - das sei keine Kleinigkeit, sagt UBA-Präsident Dirk Messner. Um die gleiche Menge CO2 anderweitig einzusparen, müssten beispielsweise drei Millionen Elektrofahrzeuge zusätzlich auf deutschen Straßen unterwegs sein. Wenn die Käufer der E-Autos dabei vom Umweltbonus profitiert hätten, wären dadurch mehr als 13 Milliarden Euro Kosten beim Staat entstanden. Ein Tempolimit kostet nichts.
Ein Aufruf zur Vernunft und Verantwortung
Ja, wir müssen mehr tun, um die Klimakrise zu bekämpfen. Und ja, es braucht dafür auch Veränderungen in unserem Lebensstil und unserer Politik. Aber die Aktionen der "Letzten Generation" sind nicht der Weg, um diesen Wandel zu erreichen, das ist meine feste Überzeugung! Klimakleber und radikale Proteste schaden der Klimabewegung mehr, als sie ihr nützen, und sie treiben die Spaltung der Gesellschaft voran!
Lassen Sie uns gemeinsam lieber an echten, nachhaltigen Lösungen arbeiten. Lassen Sie uns die Politik drängen, endlich die richtigen Schritte zu gehen. Aber lassen Sie uns dabei die Menschen nicht vergessen. Die Klimakrise ist eine Herausforderung – und wir können sie nur gemeinsam bewältigen. Es liegt in unserer Hand, ob wir diesen Weg in einer geteilten oder in einer vereinten Gesellschaft gehen. Wählen wir die Vernunft, wählen wir den Dialog, und wählen wir den Weg, der uns alle weiterbringt – nicht nur die lautesten Stimmen.
Ihr Markus Gentner
DWN-Chefredakteur