Technologie

Wasserstoffprojekt in Namibia könnte KZ-Gedenkstätte gefährden

Deutschland unterstützt ein Großprojekt zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Lüderitz. An diesem Ort befand sich einst das erste deutsche Konzentrationslager. Die Sorge wächst: Könnte die KZ-Gedenkstätte in Gefahr geraten?
07.09.2024 13:15
Aktualisiert: 07.09.2024 14:34
Lesezeit: 3 min
Wasserstoffprojekt in Namibia könnte KZ-Gedenkstätte gefährden
Ein Gedenkstein auf der Halbinsel Shark Island am Stadtrand von Lüderitz im Süden Namibias erinnert an die Opfer des ersten deutschen Konzentrationslagers (Foto: dpa). Foto: Kristin Palitza

Beim Besuch von Shark Island wird Paul Hendrick Samuel (39) emotional. Auf der Halbinsel am Stadtrand von Lüderitz im Süden Namibias stand einst das erste deutsche Konzentrationslager. Während des Völkermords (1904 – 1908) unter deutscher Kolonialherrschaft wurden hier Schätzungen zufolge bis zu 4.000 Menschen der Volksgruppen Nama und Ovaherero brutal ermordet. Auch Samuel vermutet, dass seine Vorfahren hier begraben liegen.

Sorge um die Zerstörung der Genozid-Gedenkstätte

Nun befürchten die Nachfahren der Opfer des Genozids, dass die KZ-Gedenkstätte unwiderruflich beschädigt wird. Namibias Hafenbehörde Namport plant den Ausbau des Hafens, der direkt an Shark Island grenzt, um mehr Kapazität für Exporte von grünem Wasserstoff, Gas und Öl zu schaffen. Zu den Plänen gehört eine 700 Meter lange Landzunge, die im Osten an Shark Island angrenzt. Auf der Westseite der Halbinsel soll ein Tiefseehafen entstehen, dessen Wendekreis nur etwa einen Kilometer vor Shark Island endet.

Für die Nama und Ovaherero sind diese Pläne eine schwere Belastung. "Warum gerade hier?", fragt Sima Luipert, die Sprecherin des Verbands der Traditionellen Vorsteher der Nama (NTLA). Die Gedenkstätte, die trotz des Widerstands der Nachfahren derzeit als Campingplatz genutzt wird, dürfe nicht weiter beschädigt werden, fordert Luipert.

Menschliche Überreste im Hafenbecken vermutet

Das internationale Forschungskollektiv Forensic Architecture hat zusammen mit forensischen Archäologen der Staffordshire Universität eine digitale Raumanalyse des ehemaligen Konzentrationslagers erstellt und neue Beweise für die Völkermordverbrechen entdeckt. Die vor wenigen Wochen veröffentlichten Ergebnisse legen nahe, dass Überreste der KZ-Opfer nicht nur in unmarkierten Massengräbern auf der Halbinsel, sondern auch auf dem Meeresboden um die Insel liegen könnten.

Der Aus- und Neubau birgt ein „unmittelbares Risiko“, die „Insel als Ort von historischer Bedeutung … irreversibel zu entweihen“, heißt es in dem Bericht. Zudem werde der Hafenlärm die Gedenkstätte dauerhaft beeinträchtigen. „Unsere Recherchen zeigen, dass mindestens eine Begräbnisstätte ehemaliger Insassen von Shark Island mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Infrastrukturpfad liegt, der letztlich dem grünen Wasserstoff-Projekt dienen wird“, schreiben die Forscher. Sie beziehen sich auf das von der Bundesregierung unterstützte Projekt des Konsortiums Hyphen Hydrogen Energy, an dem das deutsche Energieunternehmen Enertrag beteiligt ist.

Strategisches Projekt zur globalen Wasserstoffproduktion

Die Bucht von Lüderitz soll als Zentrum für die weltweite Produktion von grünem Wasserstoff dienen. Auf einer Fläche von 15.000 Hektar im angrenzenden Tsau-//Khaeb-Nationalpark plant Hyphen, etwa 6.000 Hektar Solaranlagen und 600 Windturbinen für eine große Entsalzungs- und Elektrolyseanlage zu errichten. Nach Produktionsbeginn 2028 soll die Anlage ab 2030 jährlich zwei Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren.

Die Bundesregierung hat erklärt, das 10-Milliarden-Dollar-Projekt als „strategisches Auslandsprojekt“ einzustufen und hofft, große Mengen in Form von Ammoniak im Rahmen einer „Klima- und Energiekooperation“ mit Namibia zu importieren. Wirtschaftsminister Robert Habeck traf 2022 in Windhuk konkrete Vereinbarungen dazu.

Grüner Wasserstoff ist entscheidend für Deutschlands klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. Er soll die Grundlage für klimaneutrale Verfahren in der Stahl- und Chemieindustrie sowie im Schiffs- und Schwerlastverkehr bilden. Der Bedarf ist enorm. Laut einer Ende Juli vorgelegten Strategie erwartet die Bundesregierung 2030 einen Bedarf an Wasserstoff und Derivaten von 95 bis 130 Terawattstunden. Ein Großteil muss mittel- und langfristig durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden.

Unternehmen sieht keine Gefährdung der KZ-Gedenkstätte

Die Bedenken hinsichtlich Shark Island sind dem Wirtschaftsministerium bekannt. „Der Standort wurde ausschließlich von der namibischen Regierung ausgewählt, da er im internationalen Vergleich hervorragende Wind- und Sonnenbedingungen bietet“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. Vor einer endgültigen Genehmigung des Projekts müssen die Ergebnisse einer Standortanalyse auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit abgewartet werden, die derzeit durchgeführt wird. Abgesehen von Shark Island könnte der Schutz des Tsau-//Khaeb-Nationalparks, der als einer der wichtigsten Orte für Biodiversität gilt, ein weiterer kritischer Punkt sein. „Solange diese Untersuchungen nicht abgeschlossen sind, kann keine endgültige Aussage getroffen werden“, so die Sprecherin.

Hyphen-Chef Marco Raffinetti betont, er sehe keine negativen Auswirkungen auf Shark Island aufgrund des erhöhten Schiffsverkehrs durch den Neubau des Tiefseehafens. Einen alternativen Standort sehe er aus zahlreichen technischen Gründen nicht.

Wirtschafts-Staatssekretär Michael Kellner und Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth nehmen diese Woche an einem globalen Gipfel für grünen Wasserstoff in Afrika vom 3. bis 5. September in Windhuk teil. Anschließend plant Flasbarth, nach Lüderitz zu reisen und zum Gedenken an die Opfer auf Shark Island einen Kranz niederzulegen. Dabei soll auch ein Austausch mit der Zivilbevölkerung stattfinden.

Erinnerungskultur versus wirtschaftliches Wachstum

Der Sonderbeauftragte für grünen Wasserstoff im Präsidialamt, James Mnyupe, betont: Für die namibische Regierung hat die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Vorrang. Namibia ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland, hat jedoch nur drei Millionen Einwohner und kämpft mit einer Arbeitslosenquote von rund 20 Prozent.

Das Wasserstoffprojekt, das Namibia ein jährliches Einkommenspotenzial von zwei Millionen Euro bieten würde, bezeichnet Mnyupe als „bahnbrechend“. Zudem verspricht Hyphen in der Bauphase bis zu 15.000 Arbeitsplätze und nach Inbetriebnahme 3.000 dauerhafte Stellen. Zu den Bedenken der Nachfahren der KZ-Opfer sagt Mnyupe: „Wir müssen abwägen, was wichtiger ist.“

Die Nachfahren der Opfer sehen das anders. „Wirtschaftswachstum ist wichtig, aber nicht wichtiger als unser Kulturerbe“, sagt Luipert und fügt hinzu: „Man würde ja auch kein Großprojekt in Auschwitz umsetzen.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Funkmast auf Futterwiese: Das verdienen Landwirte mit Mobilfunkmasten
26.04.2025

Wer als Landwirt ungenutzte Flächen oder Scheunendächer für Mobilfunkanbieter öffnet, kann mit Funkmasten stabile Zusatzeinnahmen...

DWN
Panorama
Panorama Generation Z lehnt Führungspositionen ab – Unternehmen müssen umdenken
25.04.2025

Die Generation Z zeigt sich zunehmend unbeeindruckt von traditionellen Karrierewegen und Führungspositionen im mittleren Management. Eine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Reichster Ostdeutscher: Wie ein Unternehmer einen kleinen DDR-Betrieb zum globalen Player macht
25.04.2025

Rekord-Umsatz trotz Krisen: Der Umsatz von ORAFOL betrug im Jahr 2024 betrug 883 Millionen Euro – ein Rekordjahr trotz Wirtschaftskrise....

DWN
Politik
Politik Rentenbeiträge und Krankenkasse: Sozialabgaben werden weiter steigen
25.04.2025

Gerade bei der Rente hat die kommende Merz-Regierung ambitionierte Pläne. Doch gemeinsam mit den Krankenkassenbeiträgen droht...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gold im Höhenrausch: Wenn Trump das Gold sieht, wird es gefährlich
25.04.2025

Der Goldpreis steht kurz davor, einen historischen Rekord nicht nur zu brechen, sondern ihn regelrecht zu pulverisieren. Die Feinunze Gold...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Autoindustrie unter Druck: Zollkrieg sorgt für höhere Preise und verschärften Wettbewerb
25.04.2025

Der Zollkrieg zwischen den USA und Europa könnte die Auto-Preise in den USA steigen lassen und den Wettbewerb in Europa verschärfen....

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen der Deutschen auf Rekordhoch – aber die Ungleichheit wächst mit
25.04.2025

Private Haushalte in Deutschland verfügen so viel Geld wie nie zuvor – doch profitieren längst nicht alle gleichermaßen vom...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland am Wendepunkt: Wirtschaftsmodell zerbricht, Polen rückt vor
25.04.2025

Deutschlands Wirtschaftsmaschinerie galt jahrzehntelang als unaufhaltsam. Doch wie Dr. Krzysztof Mazur im Gespräch mit Polityka...