Weltwirtschaft

Krankheitsausfälle auf Rekordniveau: Die Kosten explodieren

Lesezeit: 2 min
18.09.2024 19:02
Der Krankenstand in Deutschland ist auf Rekordniveau und kostet die Arbeitgeber viele Milliarden Euro. Die Kosten für den Arbeitsausfall haben sich in den letzten 14 Jahren nominal verdoppelt. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Krankheitsausfälle auf Rekordniveau: Die Kosten explodieren
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall belastete deutsche Arbeitgeber im vergangenen Jahr mit fast 77 Milliarden Euro – eine Verdopplung der Kosten seit 2010. (Foto: dpa)
Foto: Bernd Weißbrod

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Fast 77 Milliarden Euro kostete die deutschen Arbeitgeber die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im vergangenen Jahr nach einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Diese Kosten haben sich seit 2010 verdoppelt, allerdings nicht preisbereinigt. Die hohe Beschäftigtenzahl und deutlich gestiegene Löhne sind dabei ein Treiber, aber es gibt weitere Gründe.

Krankentage haben sich fast verdoppelt

In einer Studie des IW wurden Daten des Bundesarbeitsministeriums und der Betriebskrankenkassen ausgewertet. Nach den Zahlen des Dachverbandes der Betriebskrankenkassen lag die Zahl der jährlichen Krankentage pro Arbeitnehmer im Jahr 2010 noch bei 13,2 Kalendertagen im Durchschnitt. Im Jahr 2022 waren es schon 22,6 Tage, an denen die Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vorlegten. Erste Erhebungen haben ergeben, dass auch 2023 wieder mit diesem Niveau zu rechnen ist.

Die Gründe sind vielfältig

Der hohe Krankenstand ergibt sich aus einer Reihe von Einflussfaktoren laut der IW-Studie. Durch die Alterung der Arbeitnehmerschaft treten somit Krankheiten häufiger auf, die eben in einem höheren Alter erst entstehen. Außerdem seien auch psychische Erkrankungen immer öfter der Grund für einen Arbeitsausfall. Dies ist deshalb besonders problematisch, weil diese zu den besonders langwierigen Erkrankungen gehören und durchschnittlich zu 40,4 Arbeitsunfähigkeitstagen führen. Ferner ist noch immer nicht vollständig geklärt, wie sich die Corona-Pandemie und ihre Folgen auf den Krankenstand in Deutschland ausgewirkt haben.

Telefonische Krankschreibung fördert den Arbeitsausfall

Seit Dezember 2023 ist auch die telefonische Krankschreibung wieder möglich. Wenn ein Erkrankter innerhalb von drei Tagen ein ärztliches Attest beim Arbeitgeber vorlegt, ist dieser verpflichtet, das Gehalt für bis zu 6 Wochen weiterzubezahlen. Bei Atemwegserkrankungen kann dieses Attest von einem Arzt bereits nach einem Telefonat ausgestellt werden, ein Arztbesuch ist hierfür nicht notwendig.

Dies öffne die Möglichkeit zu einem potenziellen Missbrauch, wie es in der IW-Studie heißt. Es wird empfohlen, die Möglichkeiten für eine telefonische Krankschreibung wieder einzuschränken und diese nur noch Ärzten zu erlauben, die in Deutschland ansässig sind. Bei einer Erkrankung während eines Auslandsurlaubs müsse es den Beschäftigten zugemutet werden, einen ortsansässigen Arzt persönlich aufzusuchen.

Langwierige Erkrankungen belasten auch die Sozialversicherungen

Wenn eine Erkrankung länger als 6 Wochen andauert, haben Arbeitnehmer Anspruch auf ein Krankengeld, das in Höhe von 70 Prozent des normalen Bruttogehalts von den Krankenkassen bezahlt wird – und dies bis einschließlich der 72. Woche der Erkrankung.

Geschätzt betrugen die Belastungen durch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die Arbeitgeber im vergangenen Jahr 64,8 Milliarden Euro. Dazu kommen noch geschätzte 11,9 Milliarden Euro Sozialversicherungsleistungen – insgesamt eine Belastung von 76,7 Milliarden Euro.

Politik und Ärzte nicht einig über die telefonische Krankschreibung

Von Seiten der FDP gibt es Initiativen, die telefonische Krankschreibung wieder abzuschaffen. Hier macht man sich stark dafür, den vorgeschriebenen Arztbesuch wieder einzuführen. Zwar sei die Maßnahme im Rahmen des Bürokratieabbaus durchaus sinnvoll, es gäbe jedoch eine deutliche Korrelation zwischen der Einführung der telefonischen Krankschreibung und dem Anstieg des Krankenstandes, wie FDP-Chef Lindner mitteilte.

Der Hausärzteverband hingegen kritisiert den politischen Vorstoß. Versorgungspolitisch und auch medizinisch sei die Einführung der telefonischen Krankschreibung durchaus sinnvoll, heißt es dort. Auch gäbe es keinen Anlass zu der Vermutung, dass dies von Beschäftigten ausgenutzt würde, um der Arbeit fernzubleiben. Dies würde sich aus der täglichen Praxis nicht bestätigen. Deshalb geht vom Verband auch eine deutliche Warnung gegen die Abschaffung der Regelung aus. Sowohl Patienten als auch Praxen seien gerade in den Monaten mit besonders hohen Infektionserkrankungen durch die telefonische Krankschreibung wirkungsvoll entlastet worden. Die gestiegene Zahl der Krankschreibungen sei außerdem auf die zunehmend elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zurückzuführen. Dadurch würden die Krankenkassen heute auch über Krankschreibungen informiert, von denen sie früher nichts erfahren hätten.


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