Politik

Wie SPD und Grüne die Schuldenbremse weg quatschen wollen und die FDP kirre machen

Lesezeit: 3 min
15.10.2024 17:01
Die Grünen fordern, dass Finanzminister Christian Lindner und die FDP endlich die Blockade bei der Sozialversicherung aufgeben. Mal wieder der Versuch, die Schuldenbremse zu lockern. Prompt meint Kanzler Olaf Scholz von der SPD, dieser Haushalts-Mechanismus sei sowieso völlig "veraltet". Egal, wie die Rechtslage in Karlsruhe am Bundesverfassungsgericht ausschaut. Egal, was die Koalitionspartner im Bundestag meinen. Die Schuldenbremse soll per Kakophonie abgeschafft werden, möchte man als politischer Beobachter meinen. Es fällt schwer zuzuhören.
Wie SPD und Grüne die Schuldenbremse weg quatschen wollen und die FDP kirre machen
Bis einer umfällt: Lindner, Habeck und Kanzler Scholz im Clinch auf der Regierungsbank. (Foto: dpa)
Foto: Kay Nietfeld

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Die Grünen-Fraktion dringt auf eine rasche Entscheidung über die Frage, bis zu welcher Einkommenshöhe künftig Beiträge für die Kranken- und Sozialversicherung fällig werden. Sie sieht hier vor allem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in der Pflicht. Die Beiträge in der Krankenversicherung und der Sozialversicherung müssten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer klar und berechenbar sein, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, gestern in Berlin. Das hat vordergründig nichts mit der Schuldenbremse zu tun, aber bei genauerem Hinsehen dann doch. Lindner hat Deutschlands Schuldenstand im Blick - SPD und Grüne indessen scheinen weiterhin nur Geschenke verteilen zu wollen.

Wenige später meldet sich auch der Kanzler zu Wort. Olaf Scholz nervt es offenbar höllisch, dass er nicht so einfach durchregieren kann, wie er gerne möchte. Wann hört die FDP endlich auf zu mauern, fragt ihn sein innerer Haushaltsberater. Der selbe Tenor also, nur anders: am besten ordentlich die Koalitionspartner nerven und die FDP systematisch kirre machen. Der Herr Bundeskanzler hält die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse jedenfalls für völlig "veraltet", sagt er, aus der Zeit gefallen. "So, wie sie heute existiert, würde mit all dem Wissen von heute niemand sie mehr neu schreiben!" Das gab Olaf Scholz bei einer Konferenz der Initiative Chef:innensache für Chancengerechtigkeit von Frauen und Männern in Potsdam zu Protokoll. Es müsse eine Reform her, aber schnell und dringlich, bitte sehr!

Zur gemeinsamen Kakophonie verabredet, die Strophen werden abwechselnd vorgetragen

Man möchte meinen SPD und Grüne haben sich (morgens zuvor erst) per Telefonschalte zur gemeinsamen Kakophonie verabredet und versuchen nun, abwechselnd dem Finanzminister mit ihrem Klagelied im Ohr zu liegen. Die Strophen kommen nur vermeintlich gereimt (und gewissermaßen argumentativ verpackt) daher.

Scholz etwa verfällt dabei in seine frühere Rolle als Finanzminister zurück und rechnet Lindner (und den Bürgern) vor, dass Schulden ja nicht zwingend Schulden seien, sondern nur Investitionen. Wenn man daran festhalte, so sein Argument, dass der Schuldenstand etwa 60 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung betragen dürfe, werde sich sicher ändern, „dass dann noch eine Rückzahlungsverpflichtung besteht.“ Das sei Unsinn, behauptet er. Bislang muss der Bund immer auch einen Tilgungsplan aufstellen, wenn er neue Kredite aufnimmt.

Haben Sie das verstanden? Wir nicht! Scholz ahnt freilich selbst, dass das ohnehin nichts mehr wird in dieser Amtszeit. Deshalb sagt er auch, dass es in der kommenden Legislaturperiode sicherlich zu einer moderaten Anpassung der Schuldenbremse kommen werde. Wenn er Kanzler bleibt, sollte man einschränkend erwähnen. Scholz appelliert: „Lasst uns doch die nötigen Zwei-Drittel-Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat finden, um das zu tun.“ Ohne die FDP, heißt das im Subtext. Denn in der jetzigen Ampel-Koalition wehren sich die Liberalen ja immer noch eisern gegen jegliche Aufweichungen der Schuldenbremse.

Doch die Grüne Haßelmann lässt nicht locker und fleht, es sei notwendig, „dass der Finanzminister Christian Lindner die Blockade der Verordnung zur Beitragsbemessungsgrenze endlich aufgibt.“ Seit Wochen werde nun schon darum gerungen. Es müsse rasch Klarheit darüber hergestellt werden, „damit am Ende nicht untere und mittlere Einkommen mit höheren Beiträgen zu rechnen haben“, fügt sie hinzu.

Mehr Geld für die Sozialversicherung: Das sieht der Vorschlag von Hubertus Heil vor

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte im September einen Verordnungsentwurf vorgelegt. Demnach sollen in der gesetzlichen Rentenversicherung künftig Beiträge fällig werden bis zu einem Monatseinkommen von 8.050 Euro. Aktuell liegt der Wert deutlich niedriger und unterscheidet sich zwischen alten und neuen Bundesländern: Im Westen beträgt er 7.550 Euro und im Osten 7.450 Euro im Monat. Wer mehr verdient, zahlt nur bis zu dieser Grenze Rentenbeiträge - auf das darüber liegende Einkommen werden keine Beiträge fällig. Die Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung soll laut dem Vorschlag von Heil auf 5.512,50 Euro steigen. Aktuell müssen Gutverdiener Beiträge auf ihr Einkommen bis 5.175 Euro im Monat bezahlen.

Und deshalb noch mal im Refrain: Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende, Andreas Audretsch, kritisiert Lindner gleichfalls. Er sagt: „Gestern Abend hatte er die Verordnung zur Beitragsbemessungsgrenze noch freigegeben, heute zieht er seine Zustimmung wieder zurück - das ist kein verlässliches Regieren. Das schräge Ampel-Konzert soll übrigens absehbar bis auf weiteres fortgesetzt werden.“

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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