Das Jahressteuergesetz kann jedes Jahr erneuert und geändert werden. Das ermöglicht dem Gesetzgeber, Steuerregeln an EU-Vorgaben, Urteile des Europäischen Gerichtshofs oder Entscheidungen des heimischen Bundesfinanzhofs und Bundesverfassungsgerichts anzupassen. Im Zuge dessen gibt es eine Maßnahme, die besonders für Unmut bei denen sorgen dürfte, die Fonds im Depot haben: Die geplante neue Wegzugbesteuerung bei Investmentfonds (Drucksache 20/13419), welche den Wegzug aus Deutschland deutlich erschweren und verteuern wird.
Bisher betraf die Wegzugsbesteuerung, auch „Exit Tax“ genannt, vor allem Unternehmer: Wer Anteile an Kapitalgesellschaften oder auch Personengesellschaften hält, muss beim Umzug unter Umständen die aufgelaufenen Buchgewinne versteuern. Und jetzt soll es auch noch Fondsbesitzer, die Deutschland den Rücken kehren wollen, treffen?
Wegzugsbesteuerung von Investmentanteilen
Diese Maßnahme ergänzt die Wegzugsteuer, mit der Unternehmen und hochqualifizierten Leistungsträgern die Abwanderung aus Deutschland erschwert wird. Damit reagiert die Bundesregierung auf die veränderte Vermögensstruktur der „Wegzügler“: Denn heute wandern vermehrt junge vermögende Privatpersonen aus, die nicht unternehmerisch tätig sind, sondern nur Kapitalvermögen halten. Die sollen jetzt erfasst werden - denn auch immer mehr Studenten planen, das Land zu verlassen.
Jetzt wandern auch junge vermögende Privatpersonen aus
„Brain-Drain“, kurz Talentabwanderung, bezeichnet das Phänomen, bei dem hoch qualifizierte und gut ausgebildete Fachkräfte ihr Heimatland verlassen, um im Ausland zu arbeiten. Dieser „Abfluss von Talenten“ tritt häufig auf, wenn Fachkräfte in ihren Herkunftsländern weniger Karrierechancen, geringere Gehälter oder schlechtere Lebensbedingungen vorfinden als im Ausland. Und das trifft vermehrt auf junge und wohlhabende Deutsche zu.
So funktioniert die Wegzugssteuer
Die Wegzugsbesteuerung wurde 1972 in der BRD neu geregelt, um Steuerflucht zu verhindern. Beim Wegzug werden Unternehmer so behandelt, als hätten sie ihr Unternehmen beziehungsweise ihre Anteile veräußert und der „Gewinn“, den es in der Praxis gar nicht gibt, muss versteuert werden. Auf diesen fiktiven Verkauf beziehungsweise den Wertzuwachs wird eine Steuer erhoben.
Steuerpflichtige, die zu mindestens einem Prozent an inländischen oder ausländischen Kapitalgesellschaften beteiligt sind, fallen unter die sogenannte Wegzugsteuer gemäß § 6 AStG.
Im Fall des Wegzugs des Gesellschafters ins Ausland geht der Fiskus davon aus, dass die Beteiligung verkauft worden ist – obwohl dies tatsächlich gar nicht der Fall ist. Die Berechnung erfolgt auf Basis des „fiktiven Verkaufs“ der Anteile am Tag des Wegzugs, also des Tages, an dem die Person ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt. Hierbei wird der Unterschied zwischen dem ursprünglichen Kaufpreis und dem aktuellen Marktwert der Anteile herangezogen. Auf diesen Gewinn wird dann die sogenannte Abgeltungssteuer angewendet, was in der Regel 25 Prozent beträgt, hinzu kommen Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer.
Leistungsträger verlassen Deutschland
Mehr als eine viertel Million Deutsche, laut Statista 265.000, haben 2023 ihr Heimatland verlassen, um woanders ihr Glück zu suchen. Vor zehn Jahren, im Jahr 2014, waren es noch 148.000 – seit 2015 ist die Zahl sprunghaft angestiegen. Beliebte Auswanderungsorte der Deutschen sind die Schweiz, Österreich, die USA, Türkei und Thailand. Einer Studie vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zufolge sind die deutschen Auswanderer überdurchschnittlich gut gebildet und im Mittel 37 Jahre alt. Stand 2019 besitzen 76 Prozent einen Hochschulabschluss. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung macht dieser Anteil nur 18,5 Prozent aus.
Viele Hochqualifizierte wandern aber schon aus oder haben es vor, bevor sie in Deutschland überhaupt zum Steuerzahler werden. Nicht nur, dass gerade ausländische Studenten aktuell vermehrt in ihre Heimatländer zurückgehen, auch viele deutsche Studenten planen, das Land zu verlassen. Die Zahlen dazu liefert eine Untersuchung des Personaldienstleisters jobvalley und des Departments of Labour Economics der Universität Maastricht zwischen Oktober und November 2023, bei der 12.343 Studenten in ganz Deutschland befragt wurden.
Jeder siebte Student will nach dem Examen weg
Fast jeder siebte Student (13,3 Prozent) hat der Studie nach bereits konkrete Pläne für die Abwanderung aus Deutschland, sobald er den Abschluss in der Tasche hat, meldet die „Welt“. In den Wirtschaftswissenschaften haben mit 17,7 Prozent die meisten Studenten Abwanderungsabsichten. Mehr als ein Sechstel der Umfrageteilnehmer (18 Prozent) schätzen ihre Jobchancen im Ausland besser ein als in Deutschland.
Deutschlands konjunkturelle Flaute hat demnach erhebliche Auswirkungen auf die Frage der Standortwahl der Studenten. Zum Zeitpunkt der Erhebung bewerteten 28 Prozent der Befragten die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland als gut oder eher gut – 34 Prozent wiederum als schlecht oder eher schlecht. Noch mehr, 36 Prozent der Befragten, sehen auch die Zukunftsperspektive pessimistisch und schätzen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland als schlecht oder eher schlecht ein.
Jedes vierte Industrieunternehmen erwägt abzuwandern
Die Entwicklung spiegelt sich in den Abwanderungstendenzen deutscher Unternehmen wider. Aktuell erwägen vier von zehn Industriebetrieben, ihre Produktion am Standort Deutschland wegen der Energiesituation einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern. Bei den Industrieunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern denken inzwischen sogar mehr als die Hälfte über Abwanderung nach, so eine aktuelle Erhebung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), die seit 2012 die Einschätzungen von rund 3.300 Unternehmen aus der Breite der deutschen Wirtschaft abbildet.
Der genannte Grund: Die hohen Energiekosten beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit und führen zu Produktionseinschränkungen – Abwanderung wird zunehmend zur Option. Dieses Ansinnen stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich, überdurchschnittlich bei Industriebetrieben mit hohen Stromkosten: von 21 Prozent im Jahr 2022 über 32 Prozent 2023 auf jetzt 37 Prozent. Vor allem junge Unternehmer könnten die Steuerlast zum Anlass nehmen, ihr Glück frühzeitig in anderen Ländern zu suchen. Gerade für sie, deren Vermögen oft nur auf dem Papier existiert und bei einem unternehmerischen Scheitern schnell verschwinden kann, ist die Wegzugbesteuerung von Betriebsvermögen ein zusätzlicher Stolperstein.
Ausblick: Der Bundestag hat nun am 18. Oktober 2024 im Rahmen seiner Sitzung zum Jahressteuergesetz 2024 einer neuen Wegzugsteuer zugestimmt. Jetzt muss noch der Bundesrat zustimmen, dann werden auch im Privatvermögen gehaltene Anteile an Investmentfonds von der Wegzugsteuer erfasst, wenn Anleger mindestens 500.000 Euro darin investiert haben. Diese Anteile würden im Falle einer Wohnsitzaufgabe so behandelt werden, als ob sie verkauft worden wären.
Wer weniger als 500.000 Euro in einen Fonds investiert hat, hat laut dem Entwurf nichts befürchten. Warum nicht die Investments auf mehrere Fonds verteilen? Oder zukünftig auf Aktien setzen? Die sind von der neuen Regel (noch) nicht betroffen.