Der deutsche Arbeitsmarkt steht kurz davor, die Drei-Millionen-Marke bei den Arbeitslosen zu erreichen. Diese Zahl könnte im Winter überschritten werden, da die erwartete Herbstbelebung im November ausgeblieben ist. "Die Entwicklung geht seit Herbst 2023 in die falsche Richtung", erklärte Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, bei der Vorstellung der Arbeitsmarktzahlen für November. Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnt: "Der Arbeitsmarkt funkt SOS. Drei Millionen Arbeitslose drohen diesen Winter Realität zu werden. So hoch lag die Arbeitslosenzahl zuletzt vor knapp zehn Jahren."
Arbeitsmarktstatistik im November: Arbeitslosenzahl sinkt schwach
Im November sank die Arbeitslosenzahl im Vergleich zum Vormonat Oktober saisonbedingt um 17.000 auf 2,774 Millionen. "Der Rückgang fällt aus unserer Sicht schwach aus", erklärte Nahles. "Üblicherweise hätten wir einen stärkeren Rückgang erwartet." Damit liegt die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum November 2023 um 168.000 höher. Die Arbeitslosenquote ging im Vergleich zum Oktober um 0,1 Punkte auf 5,9 Prozent zurück, lag aber im November 2023 noch bei 5,6 Prozent. Die Bundesagentur für Arbeit zog für die Novemberstatistik Daten heran, die bis zum 13. des Monats vorlagen.
Die Ursachen für die steigende Arbeitslosenzahl sieht Nahles nicht nur in konjunkturellen Problemen. Die deutsche Wirtschaft, insbesondere in der Industrie, kämpfe mit strukturellen Herausforderungen, was in einigen Bereichen zu Entlassungen führe. Gleichzeitig fehle es in vielen Sektoren weiterhin an Fachkräften. Die Bundesagentur für Arbeit versuche, diesem Missverhältnis durch sogenannte Job-Drehscheiben entgegenzuwirken. "Unser Ziel ist es, die Menschen miteinander zu verbinden", sagte Nahles. Die Jobvermittler gehen direkt auf betroffene Unternehmen zu, um entlassene Mitarbeiter "Job to Job" zu vermitteln – also zu verhindern, dass diese überhaupt arbeitslos werden, bevor sie eine neue Stelle finden.
Blick in die Zukunft: Wird die Arbeitslosenzahl weiter steigen?
Ob die Arbeitslosenzahl im kommenden Jahr weiter ansteigt, hänge auch von der Geschwindigkeit ab, mit der die Industrie die notwendigen Transformationsprozesse vorantreibe, erklärte Nahles. Arbeitsmarktexperte Martin Müller von der staatlichen Förderbank KfW unterstützt diese Einschätzung: "Um das Produktivitätswachstum zu steigern, muss Deutschland mehr in die Digitalisierung investieren, besonders im Dienstleistungssektor und in den Kommunen", so Müller.
Kurzarbeit auf dem Vormarsch
Ein deutlicher Anstieg ist auch bei der Kurzarbeit zu verzeichnen. Im September, den letzten verlässlichen Daten, zahlte die Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeitergeld an 268.000 Beschäftigte aus. Im August waren es 175.000 und im Juli 194.000. Bis zum 25. November gab es 64.000 neue Anträge. Ob diese Anträge jedoch tatsächlich zu Kurzarbeit führen, ist noch unklar. Insgesamt ist die Kurzarbeit 2024 bislang deutlich höher als erwartet, die Bundesagentur musste bereits 726 Millionen Euro an Kurzarbeitergeld auszahlen – mehr als doppelt so viel wie ursprünglich im Haushalt eingeplant.
Nachlassende Nachfrage nach Arbeitskräften
Die Nachfrage nach Arbeitskräften geht weiter zurück. Im November wurden in den Arbeitsagenturen noch 668.000 offene Stellen gemeldet, was 65.000 weniger ist als im Vorjahr. Zuwächse in der Beschäftigung gibt es hauptsächlich in Bereichen wie Pflege und öffentlicher Dienst. Insgesamt stieg die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr um 123.000 Menschen.
Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt
Anlässlich des Tages der Menschen mit Behinderung (3. Dezember) appellierte Nahles, mehr schwerbehinderte Menschen einzustellen. Derzeit sind 176.000 Schwerbehinderte in Deutschland arbeitslos, das sind sechs Prozent mehr als noch im Vorjahr. Ihre Qualifikationen übertreffen oft die von nichtbehinderten Arbeitslosen – mit einem Fachkräfteanteil von 53 Prozent im Vergleich zu 42 Prozent bei nichtbehinderten. Drei von vier Arbeitgebern mit mehr als 20 Beschäftigten erfüllen inzwischen teilweise oder vollständig die Verpflichtung, fünf Prozent ihrer Belegschaft mit Behinderten zu besetzen.