Vom Extremisten zum Anführer der HTS
Die Rebellenallianz, die Al-Dschulani anführt, erzielt derzeit rasante Gebietsgewinne in Syrien. Ihr Ziel ist es, das Assad-Regime zu stürzen. Doch Al-Dschulanis Vergangenheit wirft einen langen Schatten: Die USA haben seit Jahren ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar auf ihn ausgesetzt. In den letzten Jahren hat der HTS-Anführer jedoch einen bemerkenswerten Imagewandel vollzogen. Vom international geächteten Extremisten versucht er sich als gemäßigter und strategisch denkender Anführer zu positionieren. Sein wachsender Zuspruch in Teilen der Bevölkerung zeigt, wie effektiv dieser Wandel wirkt – insbesondere inmitten der Erfolge der Rebellenallianz gegen die Assad-Truppen.
Al-Dschulani, bürgerlich Ahmed Hussein al-Scharaa, begann seine militante Karriere 2003 im Irak, wo er sich extremistischen Gruppen anschloss, um gegen US-Truppen zu kämpfen. Dort war er Teil der frühen Al-Kaida-Strukturen, aus denen später der sogenannte Islamische Staat (IS) hervorging. Mit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 kehrte Al-Dschulani nach Syrien zurück, um die Al-Nusra-Front zu führen, einen syrischen Ableger von Al-Kaida. Doch 2014 trennte er sich sowohl vom IS als auch von Al-Kaida. Er konzentrierte sich fortan auf den Kampf innerhalb Syriens und wandte sich gegen andere extremistische Gruppen im Nordwesten des Landes. Seitdem hat sich die Al-Nusra-Front mehrfach neu positioniert und umbenannt. Heute ist sie als Haiat Tahrir al-Scham bekannt und verfolgt einen klaren Fokus: die Befreiung Syriens.
Ein Wandel im Bürgerkrieg
Laut dem Syrien-Experten Orwa Ajjoub ist Al-Dschulani „sehr daran interessiert, zu herrschen“. Unter seiner Führung hat HTS eine alternative Regierungsstruktur im Nordwesten Syriens etabliert. Diese Region wird von Oppositionskräften wie HTS kontrolliert, während Assad weiterhin zwei Drittel des Landes beherrscht – unterstützt von Russland und dem Iran.
Obwohl die USA und die EU HTS weiterhin als Terrororganisation einstufen, hat sich Al-Dschulani bemüht, sein internationales Ansehen zu verbessern. Beobachter sehen ihn zunehmend als „Sicherheitsgaranten“, der den Westen aktuell nicht direkt bedroht. Der Experte Ajjoub bestätigt: „Für Al-Dschulani sind der Islamische Staat und Al-Kaida Geschichte.“
Vorteile für die Türkei und die Region
Auch für die Türkei bietet Al-Dschulanis Stabilisierung der von HTS kontrollierten Gebiete Vorteile. Ankara erhofft sich, syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückschicken zu können. Al-Dschulanis entschlossene Bekämpfung von IS- und Al-Kaida-Zellen trägt dazu bei, eine relative Stabilität in der Region aufrechtzuerhalten.
In einem Interview mit CNN betonte Al-Dschulani seinen Plan, in Syrien ein auf Institutionen basierendes Regierungssystem zu etablieren. Dabei wolle er keine „Herrschaft von Einzelpersonen oder persönliche Launen“ zulassen. Kritiker wie Riad Kahwadschi, Gründer des Militärinstituts INEGMA, sehen jedoch in seinem Wandel vor allem Opportunismus: Al-Dschulani inszeniere sich als „nationalistische Figur“ und rufe zur Koexistenz mit Minderheiten auf.
Vom umstrittenen Führer zum „Lokalhelden“
Trotz seines Wandels bleibt Al-Dschulani eine umstrittene Figur. Noch vor einem Jahr gab es regelmäßige Proteste gegen seine Herrschaft, bei denen ihm willkürliche Verhaftungen und das Vorgehen gegen politische Gegner vorgeworfen wurden. Doch mit Beginn der Rebellenoffensive hat sich das Blatt gewendet.
Experten berichten, dass Al-Dschulani durch den militärischen Erfolg die Unterstützung vieler Menschen gewinnen konnte. „Jetzt ist nicht die Zeit für Demonstrationen, sondern zum Kämpfen“, lautet der Tenor in Idlib. Diese Entwicklung hat Al-Dschulani in einen „lokalen Helden“ verwandelt, der für viele Menschen sogar über die Grenzen Syriens hinaus an Bedeutung gewinnt.
Syrien-Krieg: Ein Jahrzehnt des Konflikts
Der syrische Bürgerkrieg begann 2011 mit Protesten gegen die Assad-Regierung. Die brutale Reaktion der Sicherheitskräfte führte zu einer Eskalation, die Hunderttausende Menschen das Leben kostete. Heute ist das Land in verschiedene Einflusszonen zersplittert.
Al-Dschulani ist dabei eine zentrale Figur des Konflikts geblieben – ein Anführer, dessen Transformation und Ambitionen Syriens Zukunft maßgeblich beeinflussen könnten.