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KI-Prognosen: Erderwärmung könnte schneller voranschreiten

Erwischt uns die Klimakrise noch schneller als bisher angenommen? Auf Künstliche Intelligenz gestützte Analysen zumindest deuten darauf hin.
11.12.2024 07:36
Aktualisiert: 11.12.2024 07:36
Lesezeit: 3 min
KI-Prognosen: Erderwärmung könnte schneller voranschreiten
Aktivisten der Letzten Generation sitzen während einer Demonstrationen gegen den "World LNG Summit" der Gasindustrie und Flüssiggasanbieter in Berlin vor einem Eingang des Adlon, der mit grüner Farbe beschmiert ist. (Foto: dpa) Foto: Sebastian Gollnow

Bei weiter steigendem Treibhausgas-Ausstoß könnten die Temperaturen in Europa bereits bis 2060 um mindestens drei Grad verglichen mit den vorindustriellen Werten steigen. Das schließt ein Forschungsteam aus einer KI-gestützten Analyse. Europa erwärmt sich schneller als der globale Durchschnitt: 2023 war es bereits 2,3 Grad wärmer - global waren es nach Daten des Klimadienstes Copernicus rund 1,48 Grad.

Auch in den meisten anderen Regionen der Erde wird die Erderwärmung der neuen Auswertung zufolge wahrscheinlich schneller voranschreiten als vielen bisherigen Simulationen zufolge. Die für die Analyse genutzte KI lernt anhand zehn globaler Klimamodelle, außerdem verfeinern Messdaten der vergangenen Jahre die Vorhersagen, wie das Team um Elizabeth Barnes von der Colorado State University in Fort Collins im Fachjournal "Environmental Research Letters" berichtet. "KI entwickelt sich zu einem unglaublich leistungsfähigen Instrument zur Verringerung der Unsicherheit bei Zukunftsprognosen", sagte Barnes.

Als Grundlage wurde der sozioökonomische Pfad SSP3-7.0 aus dem Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) genommen. Dieses Szenario geht davon aus, dass der Treibhausgas-Ausstoß in einer von Konflikten und Nationalismus geprägten Welt weiter deutlich ansteigen wird. Zur Definition des aktuellen Klimazustands wurden die beobachteten Temperaturanomalien von 2023 herangezogen.

Schnellerer Anstieg als zumeist angenommen?

Demnach könnte schon 2040 oder früher für alle berücksichtigten 34 Regionen die 1,5-Grad-Schwelle erreicht sein, in 31 Regionen sogar schon zwei Grad. Bei der Auswertung für das Erreichen von drei Grad über dem vorindustriellen Mittel überschritten 26 von 34 Regionen im Jahr 2060 die Grenze, darunter die vier Regionen in Europa. Bislang lagen Prognosen zu einer globalen Durchschnittstemperatur bei diesem Szenario und zu diesem Zeitpunkt unter drei Grad.

Auch eine zweite Studie unter KI-Einsatz hat ergeben, dass die Erderwärmung wahrscheinlich schneller voranschreiten wird als in vielen bisherigen Simulationen berechnet. Temperaturen von zwei oder drei Grad über dem Durchschnitt des Zeitraums 1850 bis 1899 werden wahrscheinlich deutlich früher erreicht, als verbreitet angenommen.

Begrenzung auf 1,5 Grad unerreichbar

Das globale Ziel, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist der Auswertung zufolge inzwischen praktisch sicher unerreichbar. Zudem bestehe ein hohes Risiko, dass die globale Erwärmung die Zwei-Grad-Marke überschreitet, selbst wenn die Menschheit eine rasche Verringerung der Treibhausgas-Emissionen auf Null bis zu den 2050er-Jahren erreicht - was das optimistischste Szenario darstellt, das in der Klimamodellierung weithin verwendet wird. Frühere Studien waren zu dem Schluss gekommen, dass die Erderwärmung in diesem Fall wahrscheinlich unter zwei Grad gehalten werden könnte.

Gemeinsam mit Noah Diffenbaugh von der Stanford University hatte Barnes für die in den "Geophysical Research Letters" vorgestellte Studie KI-gestützt untersucht, wie sich verschiedene Wege zu Netto-Null-Emissionen auf den Temperaturanstieg auswirken. Wenn die Welt bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreicht, wird das wärmste Einzeljahr dieses Jahrhunderts demnach höchstwahrscheinlich mindestens ein halbes Grad heißer sein als 2023, das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.

Für ein Szenario, in dem die Emissionen zu langsam zurückgehen, um bis 2100 eine Netto-Null-Emission zu erreichen, ermittelten Diffenbaugh und Barnes, dass das wärmste Jahr weltweit höchstwahrscheinlich drei Grad wärmer sein wird als das vorindustrielle Basisszenario.

Dringend mehr Anpassung nötig

Die Forscher betonen, dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten große Auswirkungen haben wird, selbst wenn alle Anstrengungen und Investitionen in eine Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes so erfolgreich wie nur möglich verlaufen. "Es besteht ein reales Risiko, dass Menschen und Ökosysteme ohne entsprechende Investitionen in die Anpassung Klimabedingungen ausgesetzt werden, die viel extremer sind als das, worauf sie derzeit vorbereitet sind", sagte Diffenbaugh.

Experten sehen es als praktisch sicher an, dass dieses Jahr das vergangene als das wärmste Jahr ablösen wird. Die globalen Durchschnittstemperaturen werden voraussichtlich um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen, also bevor die Menschen begannen, fossile Brennstoffe in großem Umfang zu verbrennen. Das Pariser 1,5-Grad-Ziel zur Eindämmung der Klimakrise gilt damit aber noch nicht als verfehlt, da dafür auf längerfristige Durchschnittswerte geschaut wird.

Selbstverstärkender Effekt?

Auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris hatten die Staaten weltweit vereinbart, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst aber auf 1,5 Grad. Die Werte haben hohen symbolischen Wert, eine klare Definition für die politisch festgelegten Schwellen gibt es Experten zufolge allerdings bisher nicht.

Ein Team um Helge Gößling von Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven erläuterte kürzlich im Fachjournal "Science", dass es zuletzt ungewöhnlich hohe Werte für die aufgenommene Sonneneinstrahlung gab. Ein Grund dafür sei, dass weniger reflektierende Wolken in geringer Höhe existierten. Für das vergangene Jahr zeigten Satellitenaufzeichnungen demnach den niedrigsten Wert für niedrige Wolken seit dem Jahr 2000 an.

Derzeit ist den Wissenschaftlern zufolge noch nicht klar, was zur Verringerung der niedrigen Wolken führt. Womöglich könnte der Klimawandel selbst erheblich dazu beitragen, hieß es. In diesem Fall sei mit einer stärkeren zukünftigen Erwärmung zu rechnen als bisher angenommen.

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