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Habecks Milliarden für den Klimaschutz: Für den grünen Wirtschaftsminister ist selbst das Verpressen von CO₂ kein Tabu mehr

Lesezeit: 5 min
18.10.2024 15:54
Mit einem zweistelligen Milliardenbetrag fördert der Wirtschaftsminister jetzt klimafreundliche Produktionstechniken. Der Preis je eingesparter Tonne CO₂ ist hoch. Viele wundern sich, wie weit Robert Habeck inzwischen geht. Selbst die sogenannte CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) ist keine heilige Kuh mehr für den Grünen. Norwegen ist dabei Trendsetter und versucht nun das schädliche CO₂ unterirdisch zu speichern. Deutschland hat ebenfalls die Möglichkeiten erkannt und will einsteigen. Auch Robert Habeck, der früher in Schleswig-Holstein noch dagegen demonstriert hat, hat sich eines Besseren belehren lassen. Ein technologischer wie politischer Lichtblick!
Habecks Milliarden für den Klimaschutz: Für den grünen Wirtschaftsminister ist selbst das Verpressen von CO₂ kein Tabu mehr
Hat auf seinen Reisen etwas dazu gelernt: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, 2023 bei der Jahreskonferenz der Confederation of Norwegian Enterprise (NHO). Themen von Habecks Norwegen-Reise waren unter anderen Wasserstoff und Carbon Capture and Storage. (Foto: dpa)
Foto: Kay Nietfeld

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Die Bundesregierung geht jetzt so richtig in die Vollen, um das Klima zu retten. Robert Habeck lud Dienstag in sein Ministerium, um vor einem Dutzend Unternehmen die Geschenke auszupacken im holzvertäfelten Eichensaal. Förderbescheide in Milliardenhöhe wurden verteilt wie bei der vorgezogenen Bescherung. So versucht Vater Staat, in den kommenden 15 Jahren die Mehrkosten klimafreundlicher Pro­duktionsweisen abzufedern. Habeck findet das „super“, wie er sagte. „Es geht was in Deutschland.“ Von wegen Sparkurs, es wird die Zukunft gestaltet. Die Frage ist: Wie mutig ist Habeck beim Experimentieren wirklich?

2,8 Milliarden Euro für Klimaschutzverträge

Das Ministerium hat in der ersten Ausschreibungsrunde insgesamt 2,8 Milliarden Euro an Fördermitteln für 15 Projekte vergeben, um ein neues industriepolitisches Instrument zu unterstützen. Der höchste Einzelbetrag, knapp 564 Millionen Euro, geht an die Papierfabrik Adolf Jass in Fulda, die künftig den für ihren Produktionsprozess erforderlichen Dampf mit Strom anstelle von Erdgas erzeugen möchte. Den niedrigsten Betrag von 57 Millionen Euro erhält die Knauf Insulation Operation, die ihre Öfen zur Herstellung von Mineralwolle umrüsten plant. Viele der geförderten Projekte zielen darauf ab, perspektivisch mit Wasserstoff zu produzieren. Was die Klimaschutzverträge von herkömmlichen Zuschüssen unterscheidet, ist die Herangehensweise über eine Auktion. Ausschlaggebend ist dabei, wer es am besten schafft, eine Tonne CO₂ einzusparen. Im Wirtschaftsministerium hofft man, dass diese Herangehensweise für die Steuerzahler vergleichsweise günstig bleibt. Es kämen sonst noch mehr Milliarden zusammen, um die CO₂-Ziele zu erreichen.

Wir werden sehen, wer die nächsten Schecks bekommt. Habeck betonte, dass die nächste Vergaberunde bereits begonnen habe. Es gebe da noch so enge Bereiche und Projekte, die Habeck unterstützen möchte. Möglicherweise bald auch Dinge, die die Fundamentalisten in seiner eigenen Partei auf die Palme bringen. Worum es dabei gehen könnte? Zum Beispiel um die Unterstützung von Carbon-Capture-Projekten, wie sue Habeck bei einer Dienstreise durch Norwegen kennengelernt hat. Erst vor wenigen Monaten hat sein Ministerium die Weichen gestellt, dass auch Deutschland in die neue CCS-Technologie einsteigt. Denn auch Deutschland plant die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid, wobei das noch einige Jahre dauern könnte. Norwegen ist mit dieser Technologie bereits deutlich weiter und somit Vorreiter.

Werfen wir also einen Blick nach Brevik in Norwegen. Dort befindet sich eine Zementfabrik, ein 100 Meter hoher silberner Turm, der die besonders klimaschädliche Zementindustrie revolutionieren und für den Klimaschutz ertüchtigen soll. Die Anlage soll helfen, CO₂ aufzufangen und zu speichern. Diese Methode wird „Carbon Capture and Storage" genannt. In Brevik werden die Abgase abgekühlt und mit Chemikalien versetzt, so dass sich das CO₂ abtrennen lässt. Danach wird es unter Druck verflüssigt.

Norwegen erforscht CCS seit 20 Jahren

Das flüssige CO₂ wird über eine 700 Meter lange Pipeline in sechs Tanks weitergeleitet, zwischengelagert und dann per Schiff an die norwegische Westküste transportiert. Von dort geht es durch eine über 100 Kilometer lange Pipeline hinaus ins Meer, wo es unter massivem Druck in über 2.000 Meter Tiefe verpresst wird.

„Hier unten bauen wir einen Tunnel für die Pipeline, der geht auf 270 Meter runter, dann geht das Rohr weiter auf den Meeresgrund Richtung Norden und dann Richtung westen, hinaus in die Nordsee“, erläutert ein Mitarbeiter der zuständigen Firma Northern Lights. Die CO₂-Abscheideanlage ist fast fertig, bis Ende 2024 soll sie in Betrieb gehen. In Brevik wurde bereits vor 20 Jahren mit der Forschung zur CO2-Abscheidung aus Zementproduktion begonnen. In Deutschland scheiterten entsprechende Projekte an den Widerständen der hiesigen Umweltaktivisten. Einer von ihnen war der heutige Wirtschaftsminister Robert Habeck. Auf dessen Reise durch Norwegen hat man ihm die Vorzüge verdeutlicht und ihn offenkundig eines Besseren belehrt.

Norwegen setzt auf internationale Zusammenarbeit

Vor allem die notwendige Güterabwägung der Wirtschaftsfaktoren wirkte scheinbar überzeugend. Auf der einen Seite sind nämlich CO₂-Emissionen bei der Zementherstellung unvermeidbar, auf der anderen Seite ist Zement am Bau auch in aller Zukunft unverzichtbar. Dann besser das CO₂ speichern, also einen technologischen neuen Weg beschreiten. Da sind die Norweger vorbildlich unterwegs. Norwegen ist hier vielen Ländern voraus und hat bereits über eine Milliarde Euro in CCS investiert. In Zukunft will Norwegen CCS auch für europäische Partner zugänglich machen, etwa durch eine Pipeline nach Europa. Deutsche Firmen seien willkommen, heißt es. Eine Pipeline könnte den Transport und die Speicherung günstiger machen. Norwegen zeigt, dass die CCS-Technologie sicher ist", so Norwegens Energieminister Terje Aasland.

Habeck demonstrierte einst gegen CCS

In Deutschland hingegen ist CCS weiterhin umstritten. Wegen Sicherheitsbedenken wurde die Technologie faktisch sogar verboten. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach sich 2009 als Politiker in Schleswig-Holstein gegen die Forschung an CCS aus. Am 9. September 2009 bekannte er in einem Interview, dass er sich „gegen CCS engagiert“ habe. Forscher wie der Geologie-Professor Andreas Dahmke beendete deshalb seine Forschungen zu CCS. Die Technologie wurde faktisch politisch begraben, und auch die Industrie investierte nicht weiter. Forschungsgelder blieben aus. „2005 wussten wir vom Weltklimarat, wir brauchen CCS brauchen. 2008 waren wir in Deutschland relativ gut wissenschaftlich gut aufgestellt“, beteuert Dahmke. Jetzt müsse das erst wieder von Entrepreneuren aufgegriffen und neu gelernt werden.

Umweltschützer gegen CO2-Speicherung

Doch selbst heute warnen Umweltschutzorganisationen wie der Bund und Greenpeace immer noch vor den Risiken bei CCS. Sie fürchten Erdbebengefahr und eine mögliche Trinkwasserverschmutzung. Kritiker sehen zudem die Gefahr, dass die Energiewende gebremst wird, wenn Kohlendioxid einfach unterirdisch gelagert werden kann. Dennoch ist es dieses Jahr zu einer politischen Kehrtwende gekommen in Berlin: Die Bundesregierung hat die umstrittene unterirdische Speicherung von CO₂ grundsätzlich genehmigt. Im Mai stimmte das Kabinett einem entsprechenden Gesetz zu.

Habeck plant, CCS zu nutzen, um der Zement-, Stahl- und Chemieindustrie den Weg zu klimafreundlicher Produktion zu ebnen. Es wird erwartet, dass die CO₂-Speicherung in der Nordsee stattfindet. Doch das wird wohl noch Jahre dauern. Ein direkter Nachbau der norwegischen Anlage wird bei uns als schwierig angesehen – warum auch immer.

In Deutschland sollen in den nächsten fünf Jahren mindestens drei industrielle CCS-Anlagen entstehen. Bisher existiert keine einzige. Geplant sind Standorte in der Zement- und Kalkindustrie sowie bei einer Müllverbrennungsanlage. Dies geht aus der neuen Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung hervor, die das Wirtschaftsministerium Mitte des Jahres vorgelegt hat. Die Strategie umfasst 49 Seiten und sieht vor, dass in Deutschland bis 2030 mindestens eine großskalige CO₂-Abscheideanlage in Betrieb genommen wird. Das geplante Pipeline-Netz soll bis 2045 über 4500 Kilometer umfassen.

Grünes Tabu ist damit gebrochen

Trotz der neuen CCS-Strategie setzt sich Widerstand allerdings unvermindert fort. Umweltorganisationen werfen der Regierung vor, sie verrate die Klimaziele. Habeck, der einstige Gegner der Technologie, hat seine Meinung zwar geändert, aber seine Partei tut sich weiterhin schwer damit. ass Klimaschutz-Probleme technologisch und mit Erfindergeist lösen lassen, scheint den grünen Ideologen nicht in den Kram zu passen. Beim Parteitag im vergangenen November wurden CCS und CCU jedenfalls nur für bestimmte Industriebranchen zugelassen. Gasverstromung und die Herstellung von blauem Wasserstoff sind davon bislang ausgeschlossen. Teile der SPD, wie die energiepolitische Sprecherin Nina Scheer, lehnen CCS für fossile Energieträger gleichfalls ab. Die Technikfeindlichkeit dominiert die Bundesregierung hartnäckig – da kann die FDP noch so frustriert vor sich hin zetern.

CCS-Verfahren: Speicherung im Meeresboden

Die Carbon-Management-Strategie nutzt verschiedene technische Verfahren. Eines davon ist die Amin-Wäsche, bei der CO₂ aus Abgasen gelöst wird. Dieses CO₂ wird dann transportiert und unter der Erde verpresst. Geeignet sind dafür vor allem leere Erdgasfelder. Beim CCU hingegen wird das CO₂ direkt weiterverwertet, zum Beispiel in Kunststoffen oder synthetischen Kraftstoffen – und natürlich für die Bauindustrie.

Das abgeschiedene CO₂ soll in geologisch geeigneten Formationen unter dem Meeresboden gelagert werden. An Land ist dies nur möglich, wenn einzelne Bundesländer zustimmen. Die Bundesregierung betont, dass der Ausbau erneuerbarer Energien Vorrang habe. Doch CCS sei notwendig, um unvermeidbare Emissionen auszugleichen. CCS und CCU sollen nur in Bereichen eingesetzt werden, wo es derzeit keine Alternative gibt. Ausgeschlossen ist die Technologie beispielsweise in der Kohleverstromung. Die neue Strategie sieht zudem ein Scoring-System vor, das erst einmal Einsatzgebiete bewertet.

Fossile Nutzung nicht erwünscht

Die Strategie macht deutlich, dass CCS die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht behindern soll. Ziel ist es, die Klimawirkung zu maximieren und fossile Geschäftsmodelle nicht zu verlängern.

Die CO₂-Infrastruktur soll am besten privatwirtschaftlich finanziert werden. Dennoch prüft die Regierung staatliche Absicherungen, um Investitionsentscheidungen zu erleichtern. Da entlarvt sich, warum deutsche Unternehmen bislang so zurückhaltend agieren. Obwohl die Pipelines privat gebaut werden, sieht die Regierung und reklamiert für sich eine koordinierende Rolle vor. Eine Arbeitsgruppe zur CO₂-Infrastruktur soll die Weichen stellen. Auch ein beratendes Gremium ist geplant. Nun kommt es noch darauf an, dass sich die Verantwortlichen für Zukunftsmusik aufgeschlossen zeigen und sich bei entsprechenden Förderanträgen oder Projekten einen Ruck geben.

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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