Politik

Vertrauliche Nähe bei Koalitionsverhandlungen: Merz und Klingbeil im Zwang zur Zusammenarbeit

Lange Zeit galt die schwarz-rote Koalition als Ausnahmeerscheinung der Bundesrepublik. Jetzt verhandeln Union und SPD über ihr fünftes Regierungsbündnis. Im Zentrum der Koalitionsverhandlungen steht die persönliche Beziehung der Parteichefs.
04.04.2025 17:37
Lesezeit: 3 min
Vertrauliche Nähe bei Koalitionsverhandlungen: Merz und Klingbeil im Zwang zur Zusammenarbeit
Friedrich Merz (links), Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, und Lars Klingbeil, SPD-Fraktions- und Bundesvorsitzender, geben ein Statement (Foto: dpa). Foto: Michael Kappeler

Koalitionsverhandlungen von Union und SPD

Der Auftakt für die absehbare schwarz-rote Koalition ist erfolgt: Friedrich Merz und Lars Klingbeil, zentrale Figuren der Koalitionsverhandlungen, duzen sich inzwischen. „Wir wollen keine besten Freunde werden, aber ein Vertrauensverhältnis entsteht“, erklärte der SPD-Chef in der ARD bei Caren Miosga. Merz und Klingbeil leiten die Koalitionsverhandlungen zum fünften Bündnis von SPD und Union. Wieder einmal wäre die SPD Juniorpartner der Union.

Noch vor wenigen Wochen war eine Annäherung undenkbar. Im Wahlkampf hatten beide scharf gegeneinander geschossen. Besonders Merz’ Vorstoß zur Zusammenarbeit mit der AfD im Parlament bei Migrationsfragen erzürnte Klingbeil. Dieser sprach von einer Spaltung der Mitte und einem „Tabubruch“. Die Differenzen zwischen SPD und Union seien vertieft worden. Nun sagte Klingbeil bei „Maybrit Illner“ im ZDF: „Wir haben diese Fragen ausräumen können. Das zählt für mich.“

Große Koalition oder GroKo - Union und SPD mit langer Geschichte

Erste gemeinsame Regierung 1966 bis 1969

Die erste Koalition zwischen Union und SPD kam 1966 zustande – ein historisches Novum. Über Jahrzehnte blieb diese Form der Zusammenarbeit selten. Auslöser war erneut eine Wirtschaftskrise. Das liberale Bündnis unter Ludwig Erhard (CDU) brach wegen Streit über die Finanzpolitik. Neuer Kanzler wurde CDU-Mann Kurt Georg Kiesinger, Vizekanzler und Außenminister wurde Willy Brandt (SPD). Das Ministeramt diente Brandt später als Sprungbrett zum Kanzlerposten nach der Wahl 1969.

Koalition Merkel-Müntefering/Steinmeier ab 2005

36 Jahre vergingen bis zu einer neuen schwarz-roten Koalition. 2005 gewann die Union knapp vor der SPD. Angela Merkel wurde Kanzlerin, Franz Müntefering übernahm als Vizekanzler. In der Mitte der Legislatur trat Müntefering zurück, um sich seiner kranken Frau zu widmen. Frank-Walter Steinmeier, Außenminister, wurde neuer Vizekanzler. Merkel verstand sich mit beiden SPD-Politikern – trotz Spannungen am Ende. Steinmeier kandidierte 2008 als Kanzler – ohne Erfolg.

Zwischenregierung bis zur GroKo 2013

Die Regierungszeit mit der FDP von 2009 bis 2013 schadete den Liberalen; sie verpassten den Wiedereinzug. Merkel verhandelte erneut Koalitionsverhandlungen mit der SPD. SPD-Chef Sigmar Gabriel wurde Vizekanzler. Das Verhältnis der beiden basierte auf gegenseitigem Vertrauen. Gabriel lobte Merkel später als „feinen Menschen“, kritisierte jedoch ihre Unbeständigkeit. Eine Kanzlerkandidatur wagte er nicht. Stattdessen trat 2017 Martin Schulz gegen Merkel an – vergeblich.

Ungewollte Partnerschaft 2017

Nach der Bundestagswahl 2017 war eine Koalition aus Union, Grünen und FDP – die Jamaika-Koalition – erste Wahl. Doch die FDP stieg abrupt aus den Koalitionsverhandlungen aus (Lindner: „Lieber nicht regieren als falsch regieren“). Union und SPD gingen widerwillig in neue Koalitionsverhandlungen. Merkel trat ihre vierte Amtszeit an, Olaf Scholz wurde Finanzminister und Vizekanzler. Aus dieser Position gelang ihm 2021 der Weg ins Kanzleramt.

Grundlage der Koalitionsverhandlungen: Zusammenspiel der Fraktionschefs

Für das Funktionieren einer Regierung sind auch harmonierende Fraktionsvorsitzende essenziell. Trotz des berühmten Satzes von SPD-Mann Peter Struck, wonach kein Gesetz den Bundestag verlasse wie eingebracht – läuft ohne reibungsloses Zusammenspiel im parlamentarischen Betrieb wenig.

Zur Zeit von Kanzler Kiesinger waren es Helmut Schmidt (SPD) und Rainer Barzel (CDU/CSU), die in den Fraktionen führten. Später wurde das Duo Volker Kauder (Union) und Peter Struck (SPD) prägend. Ihre freundschaftliche Zusammenarbeit präsentierten sie offensiv. In der zweiten Merkel-Koalition arbeitete Kauder mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann eng zusammen – ein kollegiales Verhältnis.

Noch ist unklar, wer die Fraktionen künftig leiten wird. Nach der Wahl vom 23. Februar übernahmen Merz und Klingbeil vorübergehend diese Rollen. Es wird jedoch erwartet, dass sich dies im Zuge der Koalitionsverhandlungen noch ändern wird.

Merz und Klingbeil: Gleichgewicht auf persönlicher Ebene

Die Koalitionsverhandlungen deuten auf ein fünftes schwarz-rotes Bündnis hin. Der Begriff große Koalition ist unzutreffend – SPD und Union sind nicht mehr die beiden stärksten Kräfte. Bei der Wahl verwies die AfD die SPD auf Rang drei. Dennoch bleibt Union und SPD nichts anderes übrig, als in die Koalitionsverhandlungen einzutreten. „Es muss gelingen. Wir sind dazu verdammt“, betonte Klingbeil in der ARD. Persönlich verband Merz und Klingbeil bislang wenig. Während Merz Fraktionsvorsitzender war, arbeitete Klingbeil im Kanzleramt unter Gerhard Schröder (SPD). 2009 verließ Merz den Bundestag, Klingbeil wurde erneut Abgeordneter. Heute ist Merz 69, Klingbeil 47 Jahre alt. Auch sportlich gibt es Differenzen: Merz ist Dortmund-Fan, Klingbeil hält zu Bayern München.

Immerhin: Beide gewannen ihre Wahlkreise direkt. Auch in der Körpergröße begegnen sie sich auf Augenhöhe. Merz misst 1,98 Meter, Klingbeil 1,96. Offen bleibt, welche Rolle Klingbeil im Kabinett übernehmen wird. Möglich ist, dass er Fraktionschef bleibt. Wahrscheinlicher scheint jedoch seine Ernennung zum Vizekanzler – mit Blick auf die Kanzlerkandidatur 2029.

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