Politik

SPD Russland-Manifest spaltet Bundesregierung und Sozialdemokraten kurz vor Parteitag

Ein "SPD Russland-Manifest" entfacht neue Debatten in Berlin: Zahlreiche Sozialdemokraten fordern einen außenpolitischen Kurswechsel – und kritisieren offen die eigene Parteiführung.
11.06.2025 14:54
Aktualisiert: 11.06.2025 14:54
Lesezeit: 3 min
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SPD-internes Russland-Manifest sorgt für politischen Streit

Es ist eine klare Attacke auf die Bundesregierung und auf führende SPD-Köpfe wie Vizekanzler Lars Klingbeil: Mehrere prominente Genossen fordern im sogenannten "SPD Russland-Manifest" eine Abkehr von militärischer Aufrüstung und plädieren für diplomatische Gespräche mit Russland.

Das Grundsatzpapier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und über das zuerst der "Stern" berichtete, stammt aus den sogenannten SPD-Friedenskreisen. Darin verlangen sie eine grundlegende Kurskorrektur der Außen- und Sicherheitspolitik. Europa sei derzeit weit von einer stabilen Friedensordnung entfernt, heißt es. Statt weiterer Aufrüstung brauche es Deeskalation und langfristiges Vertrauen.

Zeitpunkt vor Parteitag verschärft Konflikt

Unterzeichnet wurde das SPD Russland-Manifest unter anderem vom früheren Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, Ex-SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, Außenpolitiker Ralf Stegner sowie mehreren Abgeordneten auf Bundes- und Landesebene. Ob sämtliche der mehr als 100 Unterstützer dem SPD-Umfeld entstammen, ist nicht abschließend klar.

Für zusätzliche Brisanz sorgt der Zeitpunkt der Veröffentlichung: Kurz vor dem SPD-Parteitag Ende des Monats könnte das Papier die Parteibasis aufwühlen. Denn dann stehen nicht nur Vorstandswahlen an, sondern auch der Startschuss für das neue Grundsatzprogramm – nach der Wahlniederlage 2021. Zudem findet wenige Tage zuvor der Nato-Gipfel statt, bei dem höhere Verteidigungsausgaben zur Diskussion stehen.

Rückkehr zu Dialog mit Russland gefordert

Die Unterzeichner des SPD Russland-Manifests erklären, "nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa". Sie verlangen, schon vor offiziellen Maßnahmen der Vertrauensbildung müsse ein vorsichtiger diplomatischer Austausch beginnen.

Dass der russische Präsident Wladimir Putin bislang keinerlei Signale für einen Waffenstillstand gesendet hat, wird im Russland-Manifest der SPD nicht erwähnt. Auch das folgenlose Telefonat des damaligen Kanzlers Olaf Scholz mit Putin im November bleibt unerwähnt – ebenso wie Putins wiederholte Ablehnung internationaler Vermittlungsversuche, etwa durch US-Präsident Donald Trump.

Kritik an Rüstungsplänen der Regierung

Im SPD Russland-Manifest wird außerdem eine Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland abgelehnt. Auch die angestrebte Erhöhung des Wehretats auf 3,5 oder gar 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird kritisiert. Statt sich einem "Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg" zu beugen, müsse Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit mit Abrüstungspolitik kombinieren.

Die Verfasser des SPD-Stegner-Papiers warnen: "Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland."

Politiker anderer Parteien zeigen sich entsetzt

Von anderen Parteien kommt deutliche Ablehnung: "Wann wird begriffen, dass Russland nicht verhandeln und keinen Frieden will", schrieb CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter auf X. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte: "Wir alle wünschen uns Frieden, und niemand sehnt ihn mehr herbei als die Menschen in der Ukraine. Leider wurden alle Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen oder Friedensgespräche zu führen, von Präsident Putin durchkreuzt und abgelehnt." Das SPD Russland-Manifest ignoriere diese Realität.

Stegner-Manifest zu Russland spaltet SPD

Dass das SPD Russland-Manifest nicht die gesamte Partei repräsentiert, wird an internen Reaktionen deutlich. "Jetzt gerade? WTF?", schrieb der Abgeordnete Sebastian Fiedler auf X. "Zusammenarbeit mit einem Kriegsverbrecher, der sich schon für die nächsten Ziele präpariert? Gute Nacht!"

Auch Fraktionschef Matthias Miersch äußerte sich distanziert: Das Stegner-Manifest sei lediglich ein Diskussionsbeitrag, erklärte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile." Miersch betonte: "Natürlich bleibt Diplomatie oberstes Gebot. Aber wir müssen auch ehrlich sagen: Viele Gesprächsangebote – auch vom Bundeskanzler Olaf Scholz – sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden."

Michael Roth, früherer Bundestagsabgeordneter, schrieb auf X: "Dieses 'Manifest' ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung." Ex-Abgeordneter Fritz Felgentreu kommentierte: "Die letzten sozialdemokratischen Protagonisten einer gescheiterten Politik und ehemalige Protagonisten, die sich hinter sie stellen, beschwören die Zauberformeln von 1982 – was in einer überalterten Partei durchaus Wirkung zeigen kann." Unter den Unterzeichnern des SPD-Stegner-Papiers finden sich auffällig wenige junge Stimmen.

SPD-Russland-Manifest: Klingbeils Reaktion wird mit Spannung erwartet

Seit Jahren ringt die SPD mit ihrer Russlandpolitik. Die Diskussion auf dem kommenden Parteitag dürfte deshalb hitzig ausfallen – und auch in das neue Parteiprogramm einfließen.

FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann fordert eine klare Stellungnahme der Parteiführung: "Das Schweigen von Lars Klingbeil und Matthias Miersch zum 'Manifest' ist ohrenbetäubend dröhnend", erklärte sie auf X – noch bevor Miersch sich äußerte. "Die SPD-Spitze muss sich sofort erklären, ob sie hinter der Außenpolitik der neuen Bundesregierung steht. Tut sie dies nicht, sollte der Bundeskanzler bereits jetzt über die Vertrauensfrage im Bundestag nachdenken."

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