EU will Zwangslizenzen für Schlüsselprodukte zentral steuern
Die Europäische Union plant einen weitreichenden Eingriff in den Patentschutz, um in künftigen Krisen die Versorgung mit kritischen Produkten sicherzustellen. Eine entsprechende Verordnung, die das bisher auf nationaler Ebene geregelte Zwangslizenzsystem zentralisiert, wurde politisch bereits abgestimmt. Die endgültige Bestätigung steht jedoch noch aus.
Zwangslizenzen erlauben die Nutzung von Patenten ohne Zustimmung der Rechteinhaber – etwa bei Engpässen von Medikamenten oder Ausrüstung. Während der Corona-Pandemie war ein internationaler Streit über Patentlockerungen entbrannt. Besonders Deutschland hatte sich damals gegen die Freigabe von Impfstoffpatenten gesperrt.
Industrie will Entschädigungen sichern
Die EU will sich mit dem neuen Gesetz besser auf grenzüberschreitende Krisen vorbereiten. Anders als beim vorübergehenden Patentschutzverzicht im Pandemiekontext bleiben bei Zwangslizenzen Entschädigungen für die Inhaber bestehen. Diese sollen den wirtschaftlichen Wert und den sozialen Nutzen berücksichtigen.
Die Pharmaindustrie sieht den Vorstoß dennoch kritisch. Zwangslizenzen dürften nur das letzte Mittel sein, so der europäische Verband EFPIA. Freiwillige Vereinbarungen zwischen Rechteinhabern und Herstellern hätten Vorrang. Die EU betont, dass Produkte wie Gas, Chips oder Rüstungsgüter vom Gesetz ausgenommen bleiben.
Zentrale Vergabe über Brüssel
Künftig könnte die Kommission Zwangslizenzen EU-weit erteilen, sobald ein Notstand festgestellt wird. Die Verhandlungen darüber liefen zuletzt im sogenannten Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission. Die Details sind bislang nicht vollständig öffentlich.
Umstritten bleibt insbesondere die Entschädigungshöhe. Ein ursprünglich vorgesehener Deckel von vier Prozent des Umsatzes wurde gestrichen. Stattdessen soll die Kommission die Zahlungen je nach Krisensituation flexibel festlegen.
Bedenken aus der Pharma-Branche
Die Industrie fürchtet negative Folgen für Europas Innovationsklima. Zwangslizenzen könnten zu Handelskonflikten und Investitionsunsicherheit führen, warnen Pharmaunternehmen. Laut EFPIA erschwert insbesondere die unklare Definition von Notfällen die Planbarkeit.
Während der Pandemie hätten über 300 freiwillige Produktionspartnerschaften bewiesen, dass Kooperation besser funktioniere als staatliche Eingriffe, argumentiert die Branche. Die Gefahr: Eine zu geringe Entschädigung könnte Forschung und Entwicklung künftig unattraktiver machen.
Bedeutung für Deutschland
Auch Deutschland ist als bedeutender Pharmastandort direkt betroffen. Die hiesige Industrie befürchtet, dass eine übergriffige Zwangslizenzregelung das Investitionsklima verschlechtert – zumal gerade deutsche Unternehmen während der Pandemie bei Impfstoffentwicklungen führend waren. Die Debatte über den Patentschutz zeigt, wie sehr wirtschaftliche Souveränität und Krisenvorsorge in der EU künftig miteinander ringen.