Politik

AfD hat besonders in Regionen Erfolg, die von Industrie-Abbau betroffen sind

Die AfD hat bei der Bundestagswahl 2025 einen historischen Stimmenzuwachs erzielt – besonders dort, wo Industriejobs wackeln. Neue Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, wie stark der wirtschaftliche Strukturwandel das Wahlverhalten verändert.
22.07.2025 13:03
Aktualisiert: 22.07.2025 13:03
Lesezeit: 5 min
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AfD hat besonders in Regionen Erfolg, die von Industrie-Abbau betroffen sind
Im thüringischen Sonneberg ist seit 2023 Robert Sesselmann (AfD) Landrat. (Foto: dpa) Foto: Daniel Vogl

AfD gewinnt 69 Sitze hinzu: Zweitgrößte Fraktion im Bundestag

Nach der Bundestagswahl konnte die AfD 69 Sitze hinzugewinnen – damit ist sie mit Abstand zweitgrößte Fraktion. Besonders erfolgreich war sie in Regionen, deren Wirtschaft vor großen Umbrüchen steht, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Sonneberg als Beispiel für den Wandel

Die kleine Stadt Sonneberg in Thüringen ist Heimat vieler Automobilzulieferer, die große Marken wie VW und BMW mit Bauteilen wie Scheinwerfergehäusen beliefern. Doch die Industrie schwächelt, der Absatz von E-Autos bleibt hinter den Erwartungen zurück, hohe Standortkosten zwingen Unternehmen der Region, Produktionen zu schließen. Damit ist Sonneberg eine typische Transformationsregion: eine Gegend, die jahrelang von einer starken Industrie profitierte und jetzt vor Umbrüchen steht.

Mehr als 43 Prozent für die AfD

117 solcher Kreise oder Städte gibt es bundesweit, 91 im Westen, 26 im Osten. In diesen Gegenden ist die AfD besonders erfolgreich, zeigt eine neue IW-Studie. Die AfD erhielt bei der Bundestagswahl 2025 hier 3,7 Prozentpunkte mehr als anderswo. Bereits 2021 schnitt die AfD in Transformationsregionen um 2,2 Prozentpunkte besser ab. Sonneberg ist ein besonders drastisches Beispiel: 2021 wählten im entsprechenden Wahlkreis 26,4 Prozent der Wähler mit ihrer Zweitstimme die AfD, 2025 waren es 43,1 Prozent.

Sorgen um Transformation und Infrastruktur

Keine Wählergruppe sorgt sich so sehr um die Wirtschaft im Allgemeinen und die Auswirkungen der Klimapolitik auf die Wirtschaft wie die der AfD. Wer in einer Region lebt, die jahrzehntelang von der Industrie profitiert hat, fürchtet besonders, Wohlstand und Arbeitsplatz zu verlieren. "Besonders gefährlich ist die Kombination aus Transformation und schlechter Infrastruktur", sagt Studienautor und Regionalexperte Hanno Kempermann. "Umso wichtiger sind gezielte Förderungen, vor allem solche, die Investitionen in strukturschwache Regionen ankurbeln."

Erfolge in deindustrialisierten Regionen

In vielen Ländern bieten deindustrialisierte Regionen einen besonders fruchtbaren Nährboden für die politischen Angebote von Parteien wie der AfD. Sowohl im US-amerikanischen Rustbelt, in den britischen Midlands als auch in Nordfrankreich ließ sich infolge des Verlustes an gut bezahlter Industriebeschäftigung ein enormes Erstarken des rechten politischen Randes beobachten. Durch den industriellen Niedergang wandern häufig jüngere und besser Qualifizierte ab. Wie kein anderer Indikator fasst die demografische Entwicklung sowohl die objektive als auch die subjektive wirtschaftliche Lage zusammen. Auch in Deutschland hat sich der Bevölkerungsschwund zuletzt als starker Erklärungsfaktor für die Erfolge der politischen Ränder herauskristallisiert (Diermeier et al., 2024).

Industrie bleibt prägend für die deutsche Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft zeichnet sich im internationalen Vergleich durch die weiterhin hohe Bedeutung der Industrie aus. Noch immer ist hierzulande jeder fünfte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe angestellt; rund ein Fünftel der deutschen Bruttowertschöpfung wird in der Industrie erwirtschaftet (BA, 2025). Häufig sitzen große, international erfolgreiche Mittelständler ("Hidden Champions") in ländlichen Räumen und bilden so einen Anker des regional balancierten deutschen Geschäftsmodells.

AfD-Erfolge in Regionen mit aktiver Industrie

Auch in Deutschland gibt es allerdings Landstriche, in denen die Bedeutung der Industrieproduktion stark zurückgegangen ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern blieben die Rechtsaußen-Erfolge dort lange überschaubar. Vielmehr feierten in Regionen, die einen langfristigen industriellen Niedergang durchlebt haben, eher die politischen Kräfte Linksaußen Erfolge (Bayerlein et al., 2025). Tatsächlich ist die AfD dort, wo weiterhin ein großer Teil der Wertschöpfung auf die Industrie zurückgeht, überproportional erfolgreich. In der Bundestagswahl 2025 erzielte die Partei etwa im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen ("Weltzentrum der Medizintechnik") 27,1 Prozent der Zweitstimmen; am traditionellen Industriestandort Heilbronn waren es 25,5 Prozent; im Wahlkreis Schwäbisch Hall – Hohenlohe ("Region der Weltmarktführer") 25,1 Prozent.

Untergangserzählungen treffen auf Sorgen um Heimat

Denkbar ist, dass die AfD gerade in einer Zeit, in der die Industrie von Umbrüchen und Veränderungen geprägt wird, mit ihren Untergangserzählungen über die deutsche Wirtschaft regionale Sorgenreservoirs aktiviert. Gerade in den ländlichen Gemeinden schlägt die anhaltende Rezession der Industrie unmittelbar auf die Steuereinnahmen durch. In der nordhessischen Mittelstadt Baunatal beliefen sich die Gewerbesteuern des dortigen VW-Werks beispielsweise zeitweise auf bis zu 80 Millionen Euro jährlich. Zwischenzeitlich hatten sich die Zahlungen mehr als halbiert; Diskussionen um eine mögliche Werksschließung lösten im vergangenen Jahr auch mit Blick auf die gut ausgebaute – und entsprechend teure – Daseinsvorsorge vor Ort große Sorgen aus (Steppat, 2024).

CO2-Abhängigkeit und Wahlverhalten

Die traditionellen Industrieregionen, in denen Wertschöpfung weiterhin mit hohem CO2-Ausstoß verbunden ist, stehen unumstritten unter "Transformationsstress" (Südekum/Posch, 2023) – mit politischen Folgen. Denn zwischen CO2-Abhängigkeit einer Region und dem AfD-Wahlverhalten lässt sich ein positiver Zusammenhang herausarbeiten (Hilbig/Voeten, 2024). Interessanterweise zeigen Auswertungen auf der Ebene von Beschäftigten, dass die individuelle Betroffenheit der Umbrüche gar nicht so stark mit dem Wahlverhalten korreliert. Die AfD mobilisiert etwa nicht speziell die besonders von Umbrüchen Betroffenen, dafür aber in einem betroffenen soziotropischen Umfeld (Bayerlein et al., 2025). Denkbar ist, dass die Sorge um die wirtschaftliche Heimat und Statusverlust von Rechtsaußen gerade in den ländlichen Industriezentren in eine transformationspolitische Fundamentalopposition gesteigert werden kann.

Vergleich mit vergangenen Bundestagswahlen

Einen solchen Befund bestätigt der Blick auf die vergangenen Bundestagswahlen (siehe Abbildung). Bereits 2021 hatte sich gezeigt, dass die AfD auch in Regionen stark abschneidet, die im internationalen Vergleich nicht zu den Hochburgen der Rechtsaußen-Parteien gehören (Bergmann et al., 2023). Entsprechende Auswertungen stützen sich auf die von der IW Consult (2022) definierten Transformationsregionen. Diese weisen eine hohe Beschäftigungsquote in energieintensiven Branchen oder der Automobilindustrie auf; alternativ wird die Anzahl emissionsintensiver Anlagen beziehungsweise der Beschäftigungsanteil in der Produktion traditioneller Automobil-Antriebe berücksichtigt. Insgesamt lassen sich 117 besonders transformationsbetroffene Landkreise oder kreisfreie Städte (91 West; 26 Ost) identifizieren.

AfD-Ergebnisse steigen deutlich an

Lag das AfD-Wahlergebnis 2021 in den Transformationsregionen noch 2,2 Prozentpunkte über dem der anderen Regionen, betrug der Unterschied im Jahr 2025 3,7 Prozentpunkte. In der Zwischenzeit hatte die Energiepreiskrise zu einer deutlichen Verschärfung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten beigetragen. Nicht zuletzt in der Industrie sind seit dem Herbst 2023 über 100.000 Arbeitsplätze weggefallen (BA, 2025). Besonders markant baute die AfD ihre Wahlergebnisse in Transformationen in Ostdeutschland aus. Die Differenz wuchs dort von 3,8 auf 6,9 Prozentpunkte; in Westdeutschland ist der Unterschied von 1,3 auf 2,3 Prozentpunkte angestiegen. Die Ergebnisse verändern sich qualitativ kaum, wählt man anstelle der Ebene der teils sehr unterschiedlich großen Landkreise und kreisfreien Städte die Ebene der Wahlkreise.

Sonneberg als doppeltes Beispiel für Transformation

Plakativ zeigt sich die Entwicklung im Wahlkreis der doppelten Transformationsregion Sonneberg (Automotive und energieintensive Produktion). Hier steigerte die AfD ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl 2025 um 16,7 Prozentpunkte auf 43,1 Prozent. Das Direktmandat holte die Partei mit einem Abstand von 22,7 Prozentpunkten vor der Union. Die IW-Personenbefragung aus dem Juni 2025 zeigt: Keine andere Anhängerschaft sorgt sich vergleichbar stark um die Wirtschaft im Allgemeinen und die Auswirkung der Klimapolitik auf die Wirtschaft im Speziellen. Sorgen um den ökonomischen Statusverlust der eigenen Region lassen sich gerade dort politisch kapitalisieren, wo mit der vorhandenen Industrie aktuell tatsächlich Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen auf dem Spiel stehen.

Infrastrukturelle Abkopplung als Risiko

Zusätzlich zu den diskutierten wirtschaftsstrukturellen Unsicherheiten entsteht AfD-Wählerpotenzial in Regionen, in denen sich die Menschen infrastrukturell abgehängt fühlen. Die unheilige Allianz dieser beiden Aspekte kann zu einer Wahrnehmung führen, vom Wohlstandsversprechen der Bundesrepublik abgekoppelt zu werden. Instrumente wie die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW) können hier wirksam Kontrapunkte setzen, indem Unternehmen in strukturschwachen Regionen Investitionsförderungen erhalten und die wirtschaftsnahe Infrastruktur verbessert wird. Zudem wird für die nächste Förderperiode ab 2028 die Ausweitung der GRW-Förderung auf Regionen mit hohem Transformationsdruck diskutiert, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und die regionale Balance des deutschen Geschäftsmodells wahren zu können. Die Berücksichtigung vorausschauender Elemente in der GRW-Förderung würde sicherstellen, dass Regionen "nicht erst in den Brunnen fallen müssen", um eine Förderung zu erhalten, sondern proaktiv entgegensteuern könnten (Südekum/Posch, 2025). Dadurch wäre insbesondere aktuell starken Industrieregionen, in denen Risiken für extremes Wahlverhalten bestehen, frühzeitig geholfen.

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