Bundestariftreuegesetz: Chancen für faire Aufträge
Mit dem neuen Bundestariftreuegesetz (BTTG) will die Bundesregierung Lohndumping verhindern und fairere Wettbewerbsbedingungen schaffen. Ab einem Auftragswert von 50.000 Euro sollen öffentliche Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden, die Tariflöhne oder vergleichbare Mindestbedingungen garantieren. Nach dem Willen des Bundesarbeitsministeriums soll das Verfahren unbürokratisch bleiben: Statt umfangreicher Nachweise genügt ein einfaches Tariftreueversprechen im Vergabeverfahren. Noch ist das Gesetz allerdings nicht in Kraft. Ein erster Anlauf scheiterte 2024, seit August 2025 liegt der Entwurf erneut vor – die Verabschiedung wird im Laufe dieses Jahres erwartet.
Gelingt die Umsetzung, könnte das BTTG für tarifgebundene Unternehmen eine längst überfällige Wende bedeuten. Wer bisher nach Tarif zahlte, musste oft mit ansehen, wie Billiganbieter mit Niedriglöhnen den Zuschlag erhielten. Das Gesetz könnte diesen Unterbietungswettlauf stoppen – besonders in lohnintensiven Branchen wie Bau, Logistik oder Reinigungswesen. Auch für die öffentliche Hand ergeben sich Vorteile: Wenn faire Löhne durchgesetzt werden, steigt voraussichtlich die Qualität der Leistungen, weil Auftragnehmer stärker in Qualifikation und Motivation ihrer Mitarbeiter investieren. Am Ende könnten sich also diejenigen Anbieter durchsetzen, die auf faire Bezahlung und nachhaltige Qualität setzen.
Diesen positiven Effekt betonen auch die Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) spricht von einem großen Schritt hin zu tariflich abgesicherten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Darüber hinaus sehen die Arbeitnehmervertreter im Gesetz einen wichtigen Hebel zur Stärkung der Tarifbindung – gerade in einer Phase, in der der Bund Milliarden investieren will.
Kritik: Bürokratie und Kontrolllücken
Doch während Befürworter klare Chancen sehen, warnen Kritiker vor erheblichen Risiken. Sie bemängeln vor allem die fehlende Durchsetzung. Zwar sollen die Vergabestellen stichprobenartig prüfen dürfen, ob Unternehmen ihre Zusagen tatsächlich einhalten. Eine zentrale Prüfstelle ist jedoch nicht vorgesehen. Damit hängt die Wirksamkeit des Gesetzes stark von den Kapazitäten einzelner Behörden ab – und es droht, zum Papiertiger zu werden.
Ein besonders sensibler Punkt ist die Rolle der Subunternehmer. Zwar schreibt das Gesetz vor, dass auch Nachunternehmer tarifliche Standards einhalten müssen. In der Praxis ist jedoch kaum nachvollziehbar, ob dies entlang komplexer Lieferketten tatsächlich geschieht. Viele kleinere Betriebe fürchten zudem, für mögliche Verstöße ihrer Partner haftbar gemacht zu werden.
Streitpunkt Schwellenwert – ein Viertel der Aufträge bleibt außen vor
Neben den Kontrollfragen sorgt auch die Reichweite des Gesetzes für Kritik. Nach Berechnungen des DGB liegen rund 27,5-Prozent aller Bundesaufträge unterhalb der 50.000-Euro-Grenze – und würden damit gar nicht erfasst. Das bedeutet: Ein erheblicher Teil der öffentlichen Beschaffungen bliebe weiterhin ohne Tariftreuepflicht.
Hinzu kommen Ausnahmen: Zwar sind Lieferaufträge grundsätzlich erfasst – also etwa die Beschaffung von Computern, Möbeln oder Fahrzeugen für Bundesbehörden. Doch für bestimmte Bereiche gilt das Gesetz nicht: So sind Aufträge zur Bedarfsdeckung der Bundeswehr sowie – befristet bis Ende 2032 – bestimmte Beschaffungen von Sicherheitsbehörden ausgenommen. Kritiker warnen: Gerade diese Segmente umfassen milliardenschwere Beschaffungen. Damit könnten ausgerechnet bei Großaufträgen weiterhin Anbieter profitieren, die über niedrige Löhne kalkulieren.
Auch die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen sorgt für Unmut. So sollen tarifvertraglich vereinbarte Arbeitszeiten erst nach mehr als zwei Monaten Auftragsdauer gelten – ein Detail, das nach Einschätzung vieler Experten die Wirkung des Gesetzes deutlich abschwächt.
Start-ups und kleine Betriebe fühlen sich ausgebremst
Besonders hart trifft es jedoch jene Betriebe, die ohnehin kaum Spielräume haben: Junge Unternehmen und Start-ups. Eine ursprünglich geplante Ausnahme, wonach Start-ups erst ab 100.000 Euro verpflichtet werden sollten, wurde gestrichen. Damit gelten für sie dieselben Bedingungen wie für Konzerne und etablierte Mittelständler – ein Schritt, den viele Gründer als Standortnachteil empfinden.
Auch kleine Unternehmen oder Freiberufler mit wenigen Beschäftigten können sich nicht auf Sonderregeln berufen. Ein Berliner Software-Entwickler fasst die Sorge so zusammen: Man zahle zwar marktgerechte Löhne, habe aber keinen Tarifvertrag. Wenn bereits kleinere Projekte verschlossen blieben, gingen wichtige Chancen im Wettbewerb verloren.
Rechtliche Unsicherheit – Klagewelle vorprogrammiert?
Zu den wirtschaftlichen Belastungen kommt eine weitere Ebene hinzu: Die rechtliche Unsicherheit. Fachleute warnen vor möglichen Konflikten mit der negativen Koalitionsfreiheit – Unternehmen könnten argumentieren, dass sie faktisch zur Tarifbindung gezwungen werden. Hinzu kommen europarechtliche Risiken: Die Umsetzung der EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne (2022/2041) könnte in Deutschland vor Gerichten landen.
Schon jetzt rechnen Beobachter mit Klagen – von mittelständischen Betrieben, die sich benachteiligt fühlen, bis hin zu europäischen Auseinandersetzungen über Wettbewerbsrecht. Damit steht das BTTG an einem Scheideweg: Zwischen großen Erwartungen und ebenso großen Zweifeln.
Fazit: Zwischen Vertrauen und Verunsicherung
Das Bundestariftreuegesetz ist mehr als ein technisches Vergabegesetz – es ist ein politisches Signal mit hoher Symbolkraft. Gelingt es, die Regeln unbürokratisch und wirksam umzusetzen, könnte es ein echter Fortschritt für tarifgebundene Mittelständler sein.
Doch ohne klare Kontrollen und rechtssichere Ausgestaltung droht das Gesetz zum Bumerang zu werden – mit dem Effekt, dass ausgerechnet die innovativen kleinen Betriebe verdrängt werden, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. Für den Mittelstand bleibt das BTTG damit ein Prüfstein: Versprechen auf Fairness – oder Gefahr, dass politische Symbolik am Ende mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt.
Unternehmer, die mehr über das öffentliche Vergaberecht erfahren möchten, finden detaillierte Informationen auf der offiziellen Webseite des BMWK. Dort werden die aktuellen Regeln und Vorschriften ausführlich erklärt.



