Strom als Nadelöhr der globalen KI-Expansion
„Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) hat in letzter Zeit besonders viel Aufmerksamkeit erhalten – und ich denke, nicht ohne Grund“, sagt Mantvidas Žėkas, Leiter des Bereichs Kapitalmärkte bei Orion Securities. Er verweist auf Segmente und Unternehmen in diesem Sektor, die über Wachstumspotenzial verfügen und von denen Investoren profitieren könnten. Über diese Perspektiven sprach Žėkas im Juni auf dem von Verslo žinios organisierten Investorenfestival „Mano pinigai“.
„Früher war der Begriff KI eher aus der Science-Fiction bekannt – heute nutzen wir verschiedenste KI-Tools täglich“, so der Kapitalmarktprofi. Im weitesten Sinne sei KI der Versuch eines Computers, menschliches Denken zu imitieren – etwa wenn ein Smartphone die Stimme oder das Gesicht einer Person erkennt. Maschinelles Lernen ist ein Teilbereich der KI, bei dem ein Computer aus Daten lernt, ohne klare Anweisungen zu erhalten. Etwa ein System, das große Mengen an E-Mails analysiert und Spam erkennt. Am tiefsten und komplexesten ist das sogenannte Deep Learning, das auf künstlichen neuronalen Netzen basiert – Strukturen, die vom menschlichen Gehirn inspiriert sind. Diese Technik ermöglicht etwa selbstfahrenden Autos, Verkehrsschilder, Fußgänger und Hindernisse zu erkennen.
Die Königin Nvidia
Für viele ist KI gleichbedeutend mit Nvidia – und das aus gutem Grund. Im Juli erreichte Nvidia als erstes Unternehmen der Geschichte eine Marktkapitalisierung von 4 Billionen US-Dollar. Der Aufstieg gehört zu den rasantesten an der Wall Street: Drei Jahrzehnte brauchte der Konzern für den Sprung auf 1 Billion Dollar – nur zwei Jahre später sind es bereits 4 Billionen. Heute ist Nvidia das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Wert der Aktie verfünfzehnfacht. Hauptgrund laut Žėkas: Die Chips von Nvidia sind ideal für KI-Berechnungen geeignet. Hinzu kommt, dass der Marktanteil bei diskreten Grafikprozessoren (GPU) auf 92 % gestiegen ist. Nvidia dominiert den GPU-Markt – doch KI ist mehr als nur Chips. „Ich habe ein Schema erstellt, das die verschiedenen Bausteine der KI zeigt – von Halbleitern bis zu Cloud-Infrastruktur. Nvidia deckt fast alles ab, außer Lieferketten und Labeling-Services“, so Žėkas.
Wer Chips entwirft – und wer sie fertigt
Das Fundament der KI-Wertschöpfungskette bilden Halbleiter – die „Gehirne“ der Algorithmen. An der Spitze stehen Nvidia, gefolgt von AMD, Intel, Alphabet u. a. Als Marktstandard gilt derzeit der Nvidia-Chip H100. Žėkas betont: Nvidia und AMD entwerfen Chips, gefertigt werden sie jedoch von Auftragsherstellern – allen voran TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) mit rund 68 % Marktanteil. Die niederländische ASML liefert als einziger Anbieter EUV-Lithografiemaschinen, die für die Produktion moderner Chips unverzichtbar sind. Deren Marktanteil liegt bei 80–90 %.
Cloud-Zentren und der Faktor Strom
KI benötigt enorme Rechenleistung und Datenmengen – beides bieten Cloud-Zentren. Die größten Betreiber sind Amazon, Microsoft und Alphabet. Allein 2024 wollen die vier führenden Player – Amazon AWS, Microsoft, Alphabet und Meta – insgesamt rund 300 Mrd. USD in KI und Rechenzentren investieren. „Das größte Nadelöhr in dieser gesamten Ökosphäre ist nicht der Chip, sondern der Strom. US-Rechenzentren verbrauchen etwa doppelt so viel Energie wie die in Europa – und der Bedarf dürfte sich bis 2030 verdoppeln oder verdreifachen“, sagt Žėkas. Standortwahl, mehrere Versorger und stabile Netze seien entscheidend. Unternehmen begegneten Engpässen mit erneuerbaren Energien, Mini-Reaktoren oder mehreren Lieferanten.
Modellentwickler und Enabler
Die Hauptentwickler großer KI-Modelle sind private Firmen wie OpenAI, Google DeepMind oder Anthropic – nicht börsennotiert, aber teils mit großen Konzernen verbunden. Žėkas erinnert an den Palantir-Börsengang vor fünf Jahren, als die Aktie bei 10 USD notierte und heute bei rund 170 USD steht: „Das Potenzial für einen neuen Hype ist riesig.“ Enabler sind Dienstleister, die KI-Entwicklung und -Training ermöglichen – also eine Art Zwischenstufe der Wertschöpfung. Auch Datendienste werden zugekauft – bekannt ist hier etwa Thomson Reuters.
Infrastruktur als Schlüsselfaktor
Žėkas vergleicht Unternehmen, die einfache, aber unverzichtbare Bauteile für Cloud-Infrastruktur liefern – etwa Kühlsysteme oder Steckverbinder – mit „Schaufelherstellern im Goldrausch“. Fazit: Anleger sollten bei KI auf Infrastruktur achten. „So langweilig es klingen mag – fehlt die Infrastruktur, bremst das die Expansion. Strompreise können entscheiden, ob ein Unternehmen Gewinne erzielt oder hinter den Erwartungen zurückbleibt.“ Žėkas’ Prioritätenliste: 1. Strom, 2. Daten, 3. Hardware, 4. Software.