Zahlungsverzug ist längst kein theoretisches Problem mehr – für viele Unternehmen ist er zu einem ernsthaften Risiko für Liquidität und Existenz geworden. Laut einer aktuellen Coface-Studie berichten 81 Prozent der Firmen von verspäteten Zahlungen – ein Anstieg um 22 Prozentpunkte seit 2019.
Im Schnitt bleiben Rechnungen fast 32 Tage offen, ein Tag länger als im Vorjahr. Besonders gravierend: 12 Prozent der Unternehmen kämpfen mit extrem langen Verzögerungen.
Überfällige Rechnungen: Säumige Zahler verursachen Firmeninsolvenzen
Besonders problematisch sind Forderungen, die sechs Monate bis zwei Jahre unbezahlt bleiben. „Das Problem ist, dass unserer Erfahrung nach rund 80 Prozent solcher Rechnungen nie bezahlt werden. Sie können die Liquidität gefährden, zum Geschäftsrisiko werden und letztlich zur Insolvenz führen“, warnt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Laut Branchenanalysen ist Zahlungsverzug mittlerweile für rund ein Viertel aller Firmeninsolvenzen verantwortlich.
Baugewerbe: Zahlungsverzug als Dauerproblem
Im Bauwesen zeigt sich die Krise besonders deutlich. Jedes vierte Unternehmen kämpft mit Forderungen, die seit Monaten oder Jahren offenstehen – oft 2 Prozent oder mehr des Jahresumsatzes. Von Berg erklärt: „Das Baugewerbe (…) ist die Branche mit der schlechtesten Zahlungsmoral. Selbst in Boomjahren wie 2019 waren Zahlungsverzögerungen länger und häufiger als in anderen Branchen.“ Liquidität wird knapp, Investitionen verschoben und selbst kleine Verzögerungen können Kettenreaktionen im gesamten Geschäftsbetrieb auslösen.
Transport und Metall: Zwei Branchen am Limit
Auch Transport- und Metallfirmen spüren die Belastung deutlich. Im Transportwesen berichten 80 Prozent der Unternehmen von Zahlungsverzug – ein Anstieg von 22 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr.
Im Metallsektor liegen Rechnungen durchschnittlich 25 Tage im Verzug.
Hauptursache: Schwache Auftragslagen im Verarbeitenden Gewerbe. Weniger Industrieaufträge bedeuten weniger liquide Kunden und steigende Zahlungsverzögerungen.
EU plant verbindliche 30-Tage-Zahlungsfrist
Die Europäische Union will die chronisch schlechte Zahlungsmoral im B2B-Geschäft gesetzlich regulieren. Schätzungen zufolge werden in der EU pro Sekunde mehrere hundert Rechnungen ausgestellt – rund 18 Milliarden pro Jahr. Ziel der geplanten Richtlinie ist eine verbindliche 30-Tage-Zahlungsfrist für Rechnungen sowie eine Begrenzung von Annahme- und Überprüfungsverfahren auf denselben Zeitraum.
Bei Zahlungsverzug können Gläubiger Verzugszinsen geltend machen – in Deutschland voraussichtlich 9 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Nationale Behörden sollen die Einhaltung überwachen und Verstöße sanktionieren. Die genaue Umsetzung liegt bei den Mitgliedstaaten und könnte länderspezifisch variieren. Frühestens 2026 könnte die Richtlinie rechtlich verbindlich in Kraft treten.
Neue EU-Verordnung: Wirtschaft warnt vor Nebenwirkungen
Kritik an der EU-Regelung kommt von verschiedenen Seiten:
- Die Industrie- und Handelskammern (IHK) warnen vor steigenden Finanzierungskosten, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen.
- Der Handelsverband Deutschland (HDE) bezeichnet die 30-Tage-Frist als „gut gedacht, aber schlecht gemacht“ und sieht Risiken für etablierte Geschäftsmodelle.
- Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand hält die Regelung für unzureichend, um termingerechte Zahlungen sicherzustellen, und fordert eine gründliche Überarbeitung.
Chance für KMU trotz Bedenken?
Trotz dieser Kritik bleibt die EU-Verordnung ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn der Handlungsbedarf ist groß. Schlechte Zahlungsmoral bedroht Unternehmen jeder Größe und schwächt die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen – das Rückgrat der europäischen Wirtschaft – könnten von verbindlichen Regeln deutlich profitieren, wenn diese praxisnah und sinnvoll umgesetzt werden.
Klare Zahlungsfristen schaffen Planungssicherheit, reduzieren Liquiditätsrisiken und sorgen für faire Wettbewerbsbedingungen. Politik, Verbände und Unternehmen müssen gemeinsam Lösungen finden, die die Zahlungsmoral stärken, ohne etablierte Geschäftsmodelle unnötig zu belasten – zum Vorteil aller Beteiligten und der gesamten Wirtschaft.
Lichtblicke: Automobil und Maschinenbau zahlen pünktlicher
Trotz der angespannten Lage gibt es auch positive Signale: In Branchen wie Automobil und Maschinenbau zeigen sich Fortschritte bei der pünktlichen Bezahlung – der Anteil verspäteter Zahlungen ist rückläufig. Ein Hoffnungsschimmer, der zeigt, dass sich auch andere Branchen verbessern können.


