Panorama

Gaudís Sagrada Família: Der höchste Kirchturm der Welt

Barcelona feiert 2026 die Architektur – und ein Turm der Sagrada Família soll Geschichte schreiben. Doch hinter dem Rekord stecken Geld, Geduld und Rivalen im Schatten Gaudís.
21.12.2025 14:11
Lesezeit: 4 min
Gaudís Sagrada Família: Der höchste Kirchturm der Welt
Auch nach der Fertigstellung des Kreuzes auf dem Hauptturm der Sagrada Familia wird die Basilika noch voraussichtlich zehn Jahre eine Baustelle bleiben (Foto: dpa). Foto: Jan-Uwe Ronneburger

Wo der höchste Kirchturm der Welt bald eröffnet wird

Barcelona ist 2026 "Welthauptstadt der Architektur". Ein Grund dafür: Ein weiterer Turm der Sagrada Família wird vollendet – offiziell am Todestag ihres Schöpfers Gaudí. Doch es gibt noch mehr Argumente für eine Reise.

Gerüste. Kräne. Metallene Schläge. Anders kennt María Jesús Tomé in ihrer Heimatstadt Barcelona die Sagrada Família, die Sühnekirche des Architekten Antoni Gaudí, kaum. Der Baulärm stört die 51-jährige Journalistin jedoch nicht, denn: "Jedes Mal, wenn ich die Sagrada Família sehe, beeindruckt sie mich wie am ersten Tag." Tomé ist mit dem Monument eng verbunden. Viele Jahre wohnte sie direkt nebenan und blickte vom Schlafzimmer auf die Türme. Ihr Sohn empfing in der Krypta, wo Gaudí begraben liegt, Taufe und Kommunion. Dass die Kirche nach inzwischen über 140 Jahren Bauzeit irgendwann fertig ist, möchte sie seltsamerweise nicht: "Dann würde sie für mich ihren Reiz verlieren. Ich kenne sie nur als Baustelle."

Nun schlägt die Sagrada Família ein weiteres Kapitel auf. Am 10. Juni 2026, pünktlich zum hundertsten Todestag von Gaudí, soll der Turm Jesus Christus eingeweiht werden. Gekrönt von einem Kreuz aus einer Werkstatt aus dem süddeutschen Gundelfingen, wird er mit 172,5 Metern zum höchsten Kirchturm der Welt. Zum Vergleich: Der Ulmer Münster ist 161,5 Meter hoch und die Basilika Notre-Dame de la Paix in der Elfenbeinküste 158 Meter. Der Kölner Dom kommt auf 157 Meter.

Außerdem trägt Barcelona im nächsten Jahr den Titel "Welthauptstadt der Architektur", den der Internationale Verband der Architekten regelmäßig vergibt. Das lenkt den Blick auch auf andere Werke und Meister. Über allem steht dennoch Gaudí.

Die Sagrada Família stand einst vor der Schließung

Das Volk – nicht die öffentliche Hand – sollte die Sühnekirche finanzieren, deren Vorhaben Gaudí 1883 im Auftrag der "Geistlichen Vereinigung von Verehrern des Heiligen Josef" übernahm. Laia Vinaixa, die 51-jährige Leiterin des Dokumentationszentrums der Sagrada Família, weiß: "Er suchte Sponsoren im Großbürgertum, aber während der Zeit des Ersten Weltkriegs gingen die Spenden zurück.

Die Sagrada Família war von der Schließung bedroht. Deshalb nahm man ab 1915 Eintrittsgelder: je eine Peseta für den Zugang zu den Entwurfsmodellen und den unvollendeten Türmen." Heute sichern die Einnahmen von knapp fünf Millionen Besuchern pro Jahr den Fortgang des Projekts, für das Chefarchitekt Jordi Faulí verantwortlich zeichnet. Als Kind, erinnert sich der 66-Jährige, spielte er im Park vor der Sagrada Família und sah die Türme wachsen. "Wir arbeiten absolut getreu nach den Plänen und Modellen Gaudís", betont Faulí.

Obwohl die Originale im Spanischen Bürgerkrieg 1936-39 zerstört wurden, existierten genügend Beschreibungen und zuvor fotografierte Skizzen. Gaudí, oft als "Architekt Gottes" apostrophiert, entwarf ein Bauwerk mit 18 Türmen. "Jedes Element des christlichen Glaubens sollte vertreten sein: der zentrale Turm Jesus Christus, der Turm Mariens, die Türme der zwölf Apostel und die vier Türme der Evangelisten, ohne die wir nichts vom Leben Christi wüssten", sagt Faulí. Er würdigt Gaudí als vollendeten Architekten: "Er bedachte alles: die Struktur, das Material, den Bau und die Menschen, deren Herzen er füllen wollte."

Fertig ist die Kathedrale weiterhin nicht

Fast prophetisch wirkt die Aussage des Meisters, die Faulí so zitiert: "Es werden Leute aus aller Welt kommen, um zu sehen, was wir hier machen." Und das wird noch dauern. Vier weitere Türme fehlen. Faulí wagt kaum Prognosen: "Vielleicht haben wir in zehn Jahren damit angefangen. Oder erst 2040. Die Zukunft kennt nur Gott."

Im Innern der Sagrada Família erscheint der geneigte Säulenwald beinahe märchenhaft. Das Licht flutet fast unwirklich durch die Buntglasfenster. "Es gibt keine dunklen Winkel", sagt Führerin Christina Hartman. Wer in der Weihnachtszeit anreist, die in Spanien bis zum Dreikönigstag 6. Januar dauert, erlebt die abendliche Illumination der Geburtsfassade. Besondere Messen oder Konzerte sind nicht geplant.

Gaudí, 1852 in der Stadt Reus geboren, gehörte zu einer Generation von Genies, die dem Modernisme folgten – der katalanischen Variante des Jugendstils. In Barcelona stark besucht sind seine fantasievollen Zivilbauten Casa Milà und Casa Batlló. Krönung der Casa Milá ist die Dachterrasse mit Ensembles aus Wächterskulpturen, die Kamine ummanteln. Ein Säulensalon in der Casa Batlló gilt als Sixtinische Kapelle des Modernisme.

Architekten im Windschatten Gaudís

"Wäre Gaudí nicht gewesen, würde man viel mehr von den anderen Architekten reden", meint Berufskollege Faulí. Er spielt damit auf Lluís Domènech i Montaner (1849-1923) und Josep Puig i Cadafalch (1867-1956) an. Für einen Schokolade-Magnaten verwandelte Puig in Nachbarschaft der Casa Batlló einen Stadtpalast in eine Traumwelt: die Casa Amatller.

Besucher fühlen sich dort in eine Zeitkapsel aus Salons und Extravaganzen versetzt – bis hin zur gedeckten Tafel neben dem Kamin. Glanzstücke Domènechs waren der Spitalkomplex Sant Pau und der Palau de la Música Catalana, den man mit katalanischem Selbstgefühl als "schönsten Konzertsaal der Welt" bezeichnet. Beide Werke gehören zum Welterbe. Architektonische Zeichen des dritten Jahrtausends setzen der Bürokomplex Torre Glòries und gleich daneben das Designmuseum.

Zurück zu Gaudí: Gibt es von ihm noch einen Geheimtipp? Ja. Am Stadtrand im Bezirk Sant Gervasi versteckt sich die Torre Bellesguard, ein Juwel des Modernisme und ganz anders als die Sagrada Família: ein 1909 fertig gestelltes. Das Landhaus, über dem ein Spitzturm aufragt, ist von einem Garten umgeben. Wochentags kommen im Schnitt 40 Besucher – im Gegensatz zu 15.000 in der Sagrada Família. Rundum zwitschern Vögel, Zedernzweige wiegen sich im Wind, und es herrscht himmlische Ruhe. Fern vom Baulärm.

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