Trotz heftiger Kritik des Westens haben die Bürger in der Ostukraine über ihre Unabhängigkeit von Kiew abgestimmt. Vor den Wahllokalen bildeten sich am Sonntag lange Schlangen. Bis auf vereinzelte Zwischenfälle bei der Rebellenhochburg Slawjansk wurden keine neuen Kämpfe gemeldet. Rebellen-Führer Denis Puschilin kündigte in Donezk an, nach dem Referendum würden schnellstmöglich Staatsorgane und ein eigenes Militär aufgebaut.
Die EU erklärte das „sogenannte Referendum“ für illegal, das Ergebnis werde von ihr nicht anerkannt. „Jene, die das Referendum organisierten, haben keine demokratische Legitimität“, sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton.
Vor den Wahllokalen warteten die Menschen geduldig in zum Teil Hunderte Meter langen Warteschlangen, bis sie ihre Stimme abgeben konnten. Allerdings gab es auch nur wenige Stellen, an denen abgestimmt werden konnte. In der 500.000-Einwohner-Stadt Mariupol etwa waren gerade einmal acht Wahllokale eingerichtet. Aus einem Wahllokal wurden wegen des Andrangs sogar die Wahlurnen auf den Gehweg gebracht.
Strittig war, worum es in der Abstimmung in den Regionen Donezk und Luhansk genau ging - mehr Autonomie, Unabhängigkeit oder gar einen Schritt Richtung Anbindung an Russland. Auf den Stimmzetteln sollte mit Ja oder Nein beantwortet werden, ob eine Selbstbestimmung der Region unterstützt wird.
Dass auch die Ostukrainer Unterschiedliches darunter verstehen, ergab eine Befragung unter Wählern. „Wir sind alle für die Unabhängigkeit der Volksrepublik Donezk“, sagte der Ingenieur Sergej, der seine Stimme in Mariupol abgab. „Damit lassen wir die faschistische pro-amerikanische Regierung in Kiew hinter uns.“ In der gleichen Schlange wie Sergej stand auch Irina. Ein Ja-Votum sei die Zustimmung zu mehr Autonomie innerhalb der Ukraine, sagte sie.
Die Wahllokale sollten bis 21.00 Uhr MESZ offen bleiben. Die Separatisten erwarteten das Ergebnis der Abstimmung für Montagnachmittag. Das ukrainische Innenministerium bezeichnete das auch vom Westen als illegal eingestufte Referendum als kriminelle Farce. Die Stimmzettel seien in Blut getränkt.
Die Lage in der Region ist massiv angespannt, seit die Übergangsregierung in Kiew sich zu einem gewalttätigen Einschreiten gegen die Separatisten entschlossen hat, die mehrere Verwaltungs- und Polizeigebäude unter ihre Kontrolle gebracht und eine eigene Volksrepublik ausgerufen haben. Mehrere Menschen wurden bei Kämpfen getötet.
Die ukrainischen Sicherheitskräfte werden nach einem Bericht der Zeitung Bild am Sonntag von 400 Elitesoldaten des US-Militärdienstleisters Academi – früher Blackwater – unterstützt (mehr hier).
Am Sonntag zerstörten ukrainische Einheiten nach Angaben von Präsidialamtschef Sergej Paschinski in einem breit angelegten Einsatz rund um Slawjansk und dem nahegelegenen Kramatorsk eine Basis der Rebellen und Kontrollpunkte als Vergeltung für Angriffe auf eigene Posten.
Zudem gab es Kämpfe an einem Fernsehturm in Slawjansk. Ein Kämpfer der Separatisten stellte den Zwischenfall im Zusammenhang mit der Abstimmung. „Sie versuchen wahrscheinlich, die Leute vom wählen abzuhalten. Aber das wird nicht klappen“, sagte er.
Der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow hatte gewarnt, dass der Osten des Landes mit seinen Industriezentren bei einem Ja „in einen Abgrund stürzen“ würde mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft (mehr hier).
Es wird befürchtet, dass auch die am 25. Mai angesetzte Präsidentenwahl platzen könnte, die der Ukraine gut ein Vierteljahr nach dem Sturz des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch wieder eine von der Bevölkerung legitimierte Regierung bringen soll.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande forderten bei einem Treffen in Stralsund den russischen Präsidenten Wladimir Putin eindringlich auf, sich dafür einzusetzen, dass die Wahl in der gesamten Ukraine stattfinden könnte. Sollte sie scheitern, würden Wirtschaftssanktionen verhängt (mehr hier).
Laut einem Bericht des Magazins Spiegel hat die Europäische Investitionsbank schon eine Liste mit Projekten erstellt, die bei einer Konfliktausweitung auf Eis gelegt werden sollen. Zudem solle auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ihre Russland-Geschäfte überprüfen.
Bisher hat die EU nur Visa- und Kontensperrungen gegen russische Akteure verhängt, denen vorgeworfen wird, für den Griff nach der Krim und die Destabilisierung in der Ost- und Südukraine verantwortlich zu sein. Am Montag wollen die EU-Außenminister weitere Personen und erstmals auch Unternehmen mit Sitz auf der Krim auf die Liste setzen.