Unternehmen

Die Börse verliert ihren Glanz: Aktien werden zum exklusiven Investment

Mehr als 100 Unternehmen könnten sich im kommenden Jahr von der Börse zurückziehen. Damit geht eine Ära der Mitbestimmung von Kleinaktionären und Hedgefonds zu Ende. Das Signal: Die Unternehmen wollen sich selbst kontrollieren. Als Eigentümer wünschen sich die Manager exklusive Zirkel, am liebsten von wohlhabenden Familien.
17.07.2014 00:07
Lesezeit: 1 min

Experten rechnen in den kommenden Monaten mit Dutzenden „Börsen-Flüchtlingen“,da gerade kleineren Firmen der Aufwand für eine Börsen-Notierung oft zu hoch ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte den Rückzug von der Börse im November so leicht gemacht, wie sich das kaum ein Jurist vorstellen konnte.

Bei Anlegern und Unternehmen schlug das ein wie eine Bombe. Inzwischen hagelt es Delisting-Anträge bei den deutschen Börsen. Dort sind Aktien von mehr als tausend Unternehmen notiert. Doch dürfte der Kurszettel in den kommenden Monaten um ein gutes Stück kürzer werden. „Ich gehe davon aus, dass sich mindestens 100 Firmen in den nächsten zwölf Monaten ernsthaft ein Delisting überlegen“, sagt Fondsmanager und Investor Jochen Knoesel zu Reuters.

Noch sind die Antragsteller kleinere Unternehmen wie Schloßgartenbau AG, Elexis, Strabag und Schuler - doch das muss nicht so bleiben. „Die ersten Kandidaten für ein Delisting nach der neuen Rechtsprechung kommen eher aus dem Mittelstand. Große Unternehmen wollen oft nicht die ersten sein, die eine rechtliche Neuerung austesten“, sagt auch Investmentbanker Kames. „Aber spätestens, wenn das Thema zur Normalität geworden ist, werden auch die Großen folgen.“ Bei immer mehr Übernahmen werde darüber gesprochen.

Bei Air Berlin, seit langem am Tropf des Großaktionärs Etihad, scheiterten die Pläne für ein Delisting Finanzkreisen zufolge nur daran, dass sich nicht genügend neue deutsche Anteilseigner fanden, die die Fluggesellschaft braucht, um ihre Landerechte an deutschen Flughäfen nicht zu verlieren. Celesio und Air Berlin äußerten sich nicht zu ihren Plänen.

Die Deutsche Börse stört es nicht, wenn der Kurszettel kürzer wird, im Gegenteil: „Als Börse Frankfurt begrüßen wir die BGH-Entscheidung, weil Emittenten künftig die Gewissheit haben, dass sie sich auch wieder in einem rechtssicheren und geordneten Verfahren von der Börse zurückziehen können“, sagt ein Sprecher. Für die Börsen ist der Aktienmarkt längst keine wesentliche Einnahmequelle mehr. Das Interesse, Firmen dort unbedingt zu halten, ist daher gering.

Für den BGH steht fest: Aktionäre hätten kein Anrecht darauf, dass ihre Aktie an einer Börse gehandelt wird. Das sei eine „schlichte Handels- und Gewinnchance“, die nicht rechtlich geschützt sei, schreiben die Karlsruher Richter in ihrem Grundsatzurteil. Für viele Firmen, die die Lust auf die Börse schon lange verloren haben, ein Befreiungsschlag. Nicht einmal die Hauptversammlung muss zustimmen, ein einfacher Vorstandsbeschluss reicht für den Rückzug. Dieser müsse nur „im Interesse des Unternehmens“ liegen.

Nach diesen Maßstäben wäre auch für Air Berlin ein Delisting gut zu begründen. Frisches Kapital über die Börse einzusammeln - bei einem Kurs von 1,50 Euro faktisch aussichtslos.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Politische Unsicherheit: Warum Anleger jetzt Fehler machen
03.07.2025

Trumps Kurs schürt Unsicherheit an den Finanzmärkten. Wie Anleger jetzt kühlen Kopf bewahren und welche Fehler sie unbedingt vermeiden...

DWN
Politik
Politik Keine Stromsteuersenkung: Harsche Kritik der Wirtschaftsverbände
03.07.2025

Die Strompreise bleiben hoch, die Entlastung fällt kleiner aus als versprochen. Die Bundesregierung gerät unter Druck, denn viele Bürger...

DWN
Politik
Politik USA drosseln Waffenhilfe – Europa unter Zugzwang
03.07.2025

Die USA drosseln die Waffenhilfe für Kiew. Europa muss die Lücke schließen. Wie geht es weiter?

DWN
Unternehmen
Unternehmen Baywa Milliardenverlust: Sanierung bleibt trotz Rekordminus auf Kurs
03.07.2025

Baywa steckt tief in den roten Zahlen – doch der Sanierungsplan bleibt unangetastet. Der traditionsreiche Konzern kämpft mit Altlasten,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Seltene Erden: China kontrolliert deutsche Industrie
03.07.2025

Die deutsche Industrie gerät zunehmend in die Abhängigkeit Chinas, weil Peking bei seltenen Erden den Weltmarkt kontrolliert....

DWN
Panorama
Panorama Spritpreis: Wie der Rakete-und-Feder-Effekt Verbraucher belastet
03.07.2025

Die Spritpreise steigen wie eine Rakete, fallen aber nur langsam wie eine Feder. Das Bundeskartellamt nimmt dieses Muster ins Visier und...

DWN
Finanzen
Finanzen Vetternwirtschaft und Machtspiele: So scheitert der NATO-Innovationsplan
03.07.2025

Milliarden für die NATO-Innovation, doch hinter den Kulissen regiert das Chaos: Interessenkonflikte, Rücktritte und Streit gefährden...

DWN
Politik
Politik Trump dreht den Geldhahn zu: Kiew kämpft ohne Washington
02.07.2025

Donald Trump kappt Waffenhilfe für die Ukraine, Europa zögert, Moskau rückt vor. Doch Kiew sucht nach eigenen Wegen – und die Rechnung...