Im Streit über das geplante Freihandelsabkommen (TTIP) der EU mit den USA hat SPD-Chef Sigmar Gabriel seine Partei-Linken mit einem ziemlich leicht durchschaubaren Trick über den Tisch gezogen.
Ein kleiner Parteitag mit über 200 Teilnehmern beauftragte Gabriel am Samstag in Berlin bei sieben Gegenstimmen und drei Enthaltungen, die Verhandlungen auf Grundlage eines mit dem DGB verfassten Forderungspapiers fortzuführen. Es sei darüber "sehr froh und dankbar", sagte Gabriel. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warb in ihrer wöchentlichen Videobotschaft für die TTIP-Verhandlungen.
Bei dem Parteikonvent lagen Anträge vor, die auf eine Unterbrechung der TTIP-Verhandlungen zielten eine für den ehemaligen VW-Lobbyisten bei der EU Gabriel nicht ganz ungefährliche Situation. Kritiker auf der Parteilinken waren erst auf Gabriels Linie eingeschwenkt, nachdem in der Beschlussvorlage ergänzt worden war, dass die TTIP-Forderungen gleichermaßen für das bereits beschlossene Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) gelten sollen. "Da ist ein deutliches Stoppschild aufgestellt worden", sagte Berlins SPD-Chef Jan Stöß. SPD-Vizechef Ralf Stegner sprach von "klaren Verbesserungen zu TTIP und CETA im Parteikonvent". Der Parteivorstand sprach sich unmittelbar vor dem Parteikonvent einstimmig für die TTIP-Fortführung aus.
Das Problem: Das Stoppschild hat nur in der SPD-Parteitaktik Bedeutung. Denn das CETA läuft wie weiland die Bankenrettung in der Disziplin "alternativlos". Eine Mitwirkung durch die nationalen Parlamente ist nicht vorgesehen. Die Ratifzierung ist ein reiner Formalakt. Die EU-Kommission schreibt auf ihrer Website:
"Zu einem späteren Zeitpunkt bedarf dieses Abkommen der Zustimmung des Europäischen Rats und des Europäischen Parlaments."
Denn am CETA können weder Gabriel noch die SPD irgendetwas ändern. Das CETA ist fertig verhandelt und seit Monaten zwischen den Anwälten hin- und hergegangen. Alle Verhandlungen liefen auf Englisch. Bis zum heutigen Tag liegt nur eine englische Version vor.
Wie sehr Merkel und Gabriel aufs Tempo drücken und offenbar verhindern wollen, dass sich die demokratisch legitimierten Gremein mit dem CETA beschäftigen, beschreibt die ehemalige Bundesjustizminister Herta Däubler-Gmelin in einem Beitrag für die IPG:
Vor einigen Tagen wurde zudem noch bekannt, dass die Bundesregierung den CETA-Entwurf an die Bundesländer weitergeleitet hat, in deren Zuständigkeit und Rechte CETA ja gravierend eingreift. Sie hat die Frist für eine Rückmeldung auf Ende August (!) beschränkt und die Bemerkung hinzugefügt, "umfassende Änderungsanträge" seien "nicht mehr zielführend".
Damit ist klar: Sigmar Gabriel hat der SPD-Linken etwas versprochen, was er nicht halten kann. Interessant dabei ist, dass Gabriel offenbar ein Doppelspiel treibt: Denn die Aussendung des Entwurfs stammt von der Bundesregierung. Es ist unwahrscheinlich, dass der Vizekanzler nicht weiß, welche Dokumente seine eigene Regierung verschickt.
Däubler-Gemlin schreibt in ihrem Beitrag, dass die einzige Chance gegen das CETA in einer Klage bestehe:
Auch CETA ist in der jetzigen Form nicht zustimmungsfähig. Notfalls werden auch hier die zuständigen Gerichte angerufen werden. Dabei kommt – wegen des "gemischten" Rechtscharakters beider Handel – und Investitionsabkommen – sowohl der Weg zum Europäischen Gerichtshof wie auch – im Rahmen des deutschen Ratifizierungsverfahrens – der Weg zum Bundesverfassungsgericht in Betracht.
Gabriel versuchte, den Genossen die formal unerhebliche Ratifizierung als rechtliche Hürde zu verkaufen: "Ich halte das schlicht für ausgeschlossen", sagte Gabriel. Bundestag und Bundesrat würden sich für die Beratungen sehr viel Zeit nehmen. Gabriel kündigte für kommende Woche die Vorstellung zweier Gutachten an. Demnach handele es sich bei Ceta eindeutig um ein gemischtes Abkommen, das der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bedürfe.
Bundeskanzlerin Angela Merkel warb am Samstag erneut für das Handelsabkommen TTIP. Die zwei größten Wirtschaftsräume könnten "nur voneinander gewinnen, wenn sie die ganzen Handelshemmnisse, seien es Zollschranken oder aber auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse, abbauen", sagte sie in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft. Das werde Arbeitsplätze schaffen. "Es ist für uns ganz klar, dass wir durch ein solches Freihandelsabkommen weder den Verbraucherschutz noch den Umweltschutz einschränken wollen", erklärte die CDU-Vorsitzende.
Besonders bitter für die kritischen Genossen dürfte sein, dass Gabriel mit seinem Manöver der einstigen Arbeiterpartei in einem sehr wesentlichen Punkt Sand in die Augen gestreut hat: Die Arbeitnehmerrechte werden offenkundig ausgehöhlt. Däubler-Gmelin schreibt:
Der CETA -Entwurf verstärkt jedoch zusätzlich Zweifel daran, dass die Sicherung bzw. Vereinbarung hoher gemeinsamer Standards gewollt oder möglich wäre. Diese Probleme weisen nahezu alle betroffenen Regelungsbereiche auf, besonders deutlich jedoch die häufig zugesagten Sicherung hoher Arbeitsstandards. Doch gerade die ist ja erforderlich um zu verhindern, dass die Freizügigkeit von Waren und Dienstleistungen in eine Abwärtsspirale führt. Maßstab dafür ist die verbindliche Vereinbarung zumindest der bekannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. CETA sieht deren Garantie jedoch nicht vor. Vielmehr wird schlichtweg akzeptiert, dass Kanada nicht alle Kernarbeitsnormen ratifiziert hat und damit geringere Standards voraussetzt. Auch in diesem für Vergaberecht und Wettbewerb zentralen Bereich bleibt somit die verbindliche Vereinbarung hoher Standards schlicht auf der Strecke.
Über Freihandel entscheiden nicht mehr die Parteien, sondern seit 2009 ausschließlich die EU