Finanzen

Investoren erwarten noch auf Jahre hinaus eine schwache Inflation

Lesezeit: 3 min
23.05.2019 07:12
Die Finanzmärkte sind sich weitgehend einig – sie rechnen auf Sicht der kommenden Jahre nicht mit einem Anziehen der Inflation in Europa.
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Vor einem Jahr nutzte die Europäische Zentralbank einen zeitweisen Anstieg der Preise, um ihren Kampf, die Inflation in der Eurozone an ihren Zielwert von “unter, aber nahe 2%” zu bringen, für siegreich zu erklären. Aber der Triumph hat sich als kurzlebig herausgestellt. Seitdem sind die tatsächliche Inflationsrate und die um die volatilen Energiepreise bereinigte Kerninflation wieder auf etwa 1% gesunken. Dies sollte der EZB aber keine allzu großen Sorgen bereiten.

Die EZB-Mitarbeiter erwarten immer noch, dass die Inflation in der Eurozone in den Jahren 2021-2022 die 2%-Grenze erreicht. Aber da sie bereits für die letzten paar Jahre einen Anstieg vorhergesagt hatten, haben ihre Prognosen nun an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Dies wird an den Erwartungen der Finanzmärkte deutlich, die sich in den so genannten Inflations-Swap-Sätzen äußern. Diese liegen unterhalb von 1% – sogar für bis zu fünf Jahre in die Zukunft. Und die Prognose der Märkte für die Inflation in zehn Jahren liegt immer noch unter 1,5%.

Dies bringt die EZB in ein Dilemma. Die Wirtschaft der Eurozone schwächt sich ab, was den Inflationsdruck weiter schwächen könnte. Aber die EZB traut sich nicht, zur Stimulation der Wirtschaft ihr Programm zum Ankauf von Staatsanleihen neu aufzulegen, weil die nationalen Notenbanken der Eurozone bereits jetzt große Mengen der Anleihen ihrer eigenen Regierungen halten. Kaufen diese Notenbanken noch mehr davon, könnten sie, sollten die Regierungen unter finanziellen Druck geraten, in eine sehr schwierige Lage kommen. Dies ist der Grund, warum sich die EZB bislang auf Ankündigungen beschränkt hat, sie werde die Geschäftsbanken weiterhin mit längerfristigen dreijährigen Finanzierungsmöglichkeiten zu extrem niedrigen Zinsen versorgen.

Nicht nur die EZB steht vor unerwartet niedrigen Zinsen. Das Anleihekaufprogramm der Bank von Japan war sogar noch größer. Gleichzeitig hat die Bank die Zinsen auf Null begrenzt, und trotzdem blieb die Inflation auf minimalem Niveau. Und obwohl die Inflation in den Vereinigten Staaten näher bei 2% liegt, ist sie auch dort immer noch viel niedriger als erwartet.

Die Zentralbanken der Industriestaaten fürchten, dieser Mangel an Inflation könnte schell zu fallenden Preisen führen, und dass jedes Abrutschen in eine echte Deflation eine Katastrophe sei. Aber sind diese Ängste wirklich gerechtfertigt?

Diejenigen, die eine Deflation fürchten, verweisen auf die Große Depression der 1930er, als die Arbeitslosigkeit in den USA und einigen westeuropäischen Ländern auf etwa 25% stieg und die grassierenden wirtschaftlichen Nöte politischen Extremismus zur Folge hatten. Aber man kann die momentane leichte Deflation wie in Japan, wo die Preise jährlich um 1% fallen, nicht wirklich mit der Lage in den 1930ern vergleichen, als sie um 20%-30% fielen. Als Deflationsereignis bleibt die Große Depression historisch einmalig.

Trotzdem argumentieren manche, sogar eine leichte Deflation könne Arbeitslosigkeit verursachen, da es dann generell schwierig sei, die Nominallöhne zu senken. Dieser konventionellen Ansicht zufolge würden fallende Preise zu exzessiv hohen Reallöhnen und damit zu Arbeitsplatzverlusten führen.

Aber aktuelle Erfahrungen zeigen, dass die meisten Industriestaaten trotz einer Inflation nahe Null weiterhin hohe Beschäftigungszahlen aufweisen. Das offensichtliche Beispiel dafür ist Japan, wo die Beschäftigung einen Höchststand erreicht hat und die Arbeitslosigkeit niedrig bleibt – was das vorherrschende Narrativ, das Land „stecke fest“ in der Falle einer niedrigen Inflation, widerlegt. Und obwohl die japanische Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten nur sehr wenig gewachsen ist, liegt dies vor allem an der schrumpfenden Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter. Beim Pro-Kopf-Wachstum steht Japan kaum schlechter da als Europa oder die USA.

Ein ähnliches Muster aus geringer Inflation und hoher Beschäftigung finden wir auch in europäischen Volkswirtschaften wie Schweden oder der Schweiz. Und noch bedeutsamer ist, dass sich auch die viel größere Eurozone schon seit einiger Zeit in diese Richtung bewegt.

Trotz der geringen Inflation in der Eurozone ist die Erwerbsquote dort stetig gestiegen. Heute ist der Anteil der wirtschaftlich aktiven Erwachsenen dort höher als in den USA. Die Beschäftigung hat ein Rekordhoch erreicht, und die Arbeitslosigkeit nimmt weiter ab, obwohl sie in einigen südeuropäischen Ländern weiterhin hoch ist.

Insgesamt hat sich die Wirtschaft der Eurozone nicht so schlecht entwickelt, wie es die dauerhaft düsteren Schlagzeilen nahelegen. Einige Länder haben immer noch Mühe, sich von der Eurokrise Anfang des Jahrzehnts zu erholen, aber anderen geht es viel besser. Und obwohl sich das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP in der gesamten Eurozone in den letzten zwanzig Jahren verlangsamt hat, ist diese Verlangsamung nicht schlimmer als die in den USA oder in anderen Industriestaaten.

Dass die Inflation in der Eurozone eher bei einem als bei zwei Prozent liegt, ist nicht ideal, aber lediglich eine kleine Unannehmlichkeit. Die meisten Menschen haben dies nicht einmal bemerkt, und es konnte auch nicht verhindern, dass die Arbeitslosigkeit stetig gesunken ist. In der verzweifelten Hoffnung, die Inflation ein paar zehntel Prozentpunkte zu erhöhen, muss die EZB nicht alle Grenzen überschreiten oder immer neue Instrumente erfinden. Die Botschaft an die nervösen europäischen Zentralbanker ist klar: Don’t worry, be happy.

Daniel Gros ist Direktor des Centre for European Policy Studies.


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