In der digitalen Medienlandschaft untergraben öffentlich rechtliche Sender den Wettbewerb und gefährden die Medienvielfalt. Durch die Finanzierung mit Gebühren haben sie vor privaten Medienunternehmen einen entscheidenden Vorteil, denn diese müssen Innovationen refinanzieren. Die Zukunftsfähigkeit des dualen Rundfunks ist nicht gesichert, wenn die öffentlich-rechtlichen Anbieter nicht neu bewertet werden, schreibt der Medienforscher Stephan Russ-Mohl in einem Beitrag für die NZZ.
Russ Mohl analysiert:
„Die ursprüngliche Rechtfertigung ihres Daseins ist für öffentliche Rundfunkanstalten bereits lange vor dem Siegeszug des Internets entfallen. Statt knapper Frequenzen gibt es inzwischen Plattformen im Überfluss, um ein vielstimmiges Angebot zu sichern. Die Produktionskosten für Medienangebote, auch für Video und Audio, sind drastisch gesunken. Es bedarf keiner Apparate mit hohen Fixkosten mehr, die eine Vielzahl von Menschen von vornherein von der Produktion ausschliessen.“
Denn das Internet werde traditionelle Medienstrukturen verändern und auflösen. Mit dem friedlichen Nebeneinander von Presse und Rundfunk ist es dann vorbei. „Daraus droht jetzt ein Kampf aller gegen alle zu werden: Derjenige, der über mehr Ressourcen verfügt, frisst die anderen“, so Russ-Mohl, Medienprofessor an der Universität der Italienischen Schweiz. Beispiele dafür seien Facebook und Google, die dominante Marktpositionen eingenommen haben.
Journalistische Inhalte im Internet ließen sich nur bedingt durch Werbung refinanzieren. „Der Löwenanteil wandert stattdessen zu Suchmaschinen und sozialen Netzwerken“, so Russ-Mohl. Jeder Konsument habe ein Medienbudget, das er nur einmal ausgeben könne. Der Kostenanteil, der dabei für den öffentlichen Rundfunk zwangsweise „reserviert“ wird, ist besonders hoch und steht damit für selbstbestimmten Medienkonsum nicht mehr zur Verfügung.
Medienwissenschaftler Russ-Mohl fordert daher eine Neubewertung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um sicherzustellen, dass die Zwangs-Gebühren sachgerecht verwendet werden und private Anwender nicht benachteiligen. „Die drei wichtigsten Stichworte für eine Bewertung öffentlichen Rundfunks sind Qualität, Unabhängigkeit und Transparenz.“
Die Qualität werde nicht ausreichend sichergestellt, weil ein öffentlich-rechtliches Programm zugunsten einer hohen Quote geopfert werde. Massenformate für Fußball und Formel 1, Spielfilme, Seifenopern, Gottschalk, Musikantenstadl und Talkshows – dominieren.
Die Gesamtbilanz der Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Sender fällt negativ aus: „Sowohl in Südeuropa, insbesondere in Italien, als aber auch in Frankreich und Osteuropa ist der Durchgriff der Regierenden auf das öffentliche Fernsehen stark.“
Auch in Deutschland gebe es eine starke Verquickung von Politik und Sendern:
„Der Löwenanteil der Gebühren kommt jedenfalls nicht der Grundversorgung einer Demokratie mit Information zugute, sondern eher einer Überversorgung mit Unterhaltung und Zirkusspielen, die von der Politik und vom «herrschaftsfreien Diskurs» öffentlicher Angelegenheiten ablenken dürften. […] In Deutschland haben der Fall des abservierten ZDF-Chefredaktors Nikolaus Brender und die Berufung des Regierungssprechers zum Intendanten des Bayerischen Rundfunks neuerlich gezeigt, wie die Öffentlich-rechtlichen ihre Unschuld verloren haben.“
Mit der Transparenz sei es bei den Öffentlich-Rechtlichen ebenfalls nicht weit her.
Das Fazit des Medienwissenschaftlers:
„Es lässt sich leichter negativ eingrenzen, was im Interesse des Gemeinwohls verteilungspolitisch kaum zu rechtfertigen ist: Ist es fair, vom Akkordarbeiter, der mit RTL und seinem «Blick» oder mit «20 Minuten» eigentlich ganz glücklich ist, zu erwarten, dass er Angebote auf 3sat mitfinanziert, die vermutlich eher Universitätsprofessoren, Bankiersgattinnen und grüne Parlamentsabgeordnete konsumieren?
Positiv wird sich vermutlich ein Konsens erzielen lassen, dass der Japan- oder Afrika-Korrespondent, den sich private Verlage kaum noch leisten können, weiterhin öffentlich finanziert werden sollte. Worin aber besteht der Nutzen für das Gemeinwohl, wenn öffentliche Anbieter in der Konkurrenz mit den Privaten die Preise für Sportrechte ins Astronomische treiben?“
Russ-Mohl stellt den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk mit seiner gegenwärtigen, massiven Zwangsfinanzierung denn auch nicht als demokratiepolitisch notwendig, sondern als eine Behinderung der Medienvielfalt dar:
„Im Rückblick mag der Mehrwert halbwegs offensichtlich sein, den öffentliche Sender für die Gesellschaft produziert haben und auf den sie zum Nachweis ihrer Existenzberechtigung pochen. Doch damit ist angesichts der derzeitigen Umwälzungen im Mediensystem keineswegs gesagt, dass ein starker gebührenfinanzierter Rundfunk auch in Zukunft weiterhin notwendig ist – im Gegenteil, er könnte, statt Marktversagen zu korrigieren, die Entwicklung eines funktionsfähigen «Marktplatzes der Ideen» blockieren und die Meinungsvielfalt gefährden.“