Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Bundesbank hat zur Überraschung von vielen Ihren Vorschlag aus dem Jahr 2011 nach einer Vermögensabgabe zur Lösung der Schuldenkrise aufgegriffen. Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel?
Daniel Stelter: Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass wir uns im fünften Jahr der Krise befinden. Erst glaubte die Politik, es handle sich nur um ein amerikanisches Problem, um den damaligen Finanzminister Steinbrück zu zitieren. Dann war es nur ein Problem in Griechenland, dann von einigen Banken in Irland, dann vom kleinen Portugal, dann doch in Spanien, dann in Italien und jetzt auch noch Frankreich. Immer wieder haben wir vom Ende der Krise gehört oder davon, dass es nur die „bösen“ Finanzmärkte sind, die gegen den Euro und die EU spekulieren. Es gibt ja sogar Bücher die sich reißend mit solchen Verschwörungstheorien verkaufen.
Doch das alles lenkt nur ab vom eigentlichen Problem: Die Politik und auch die Notenbanken haben sehr lange gebraucht, um den Kern dieser Krise zu erfassen. Es ist keine normale Rezession, es ist nicht ein Verschuldungsproblem in einigen Staaten. Wir sind am Ende eines mehr als dreißig jährigen Verschuldungszyklus, und müssen die Suppe auslöffeln, die uns eingebrockt wurde.
Langsam dämmert den Verantwortlichen, dass die bisher verwendete Medizin nicht anschlägt. Der Patient ist nicht tot, aber er genest auch nicht. Die Schulden wachsen weiter schneller als die Wirtschaft. Große Teile Europas verharren in einer tiefen Rezession und an ein Abtragen des Schuldenberges ist nicht zu denken. Klar, dass man dann anfängt darüber nachzudenken, wer die Rechnung bezahlt. Und letztlich kann man nur von denen wegnehmen, die was haben. Wie ich schon in meinem letzten Interview gesagt habe, ist das nicht gerecht, aber leider die bittere Wahrheit.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum schlägt die Bundesbank eine solche Maßnahme jetzt vor?
Daniel Stelter: Die Bundesbank schreibt es ja selber: Die Medizin schlägt nicht an. Obwohl Staaten sich bemühen und sparen, bekommen sie die Dynamik der weiter steigenden Schuldenquoten nicht in den Griff. Damit nähern wir uns dem Punkt, an dem offene Schuldenschnitte im Raum stehen. Und dann geht es darum festzulegen, wer bezahlt. Unsere europäischen Freunde hätten es sicherlich gerne, wenn wir Deutschen einen großen Teil der Rechnung übernehmen. Vermeintlich haben wir auch mit unseren Exporten besonders vom Euro profitiert. Ich sehe diesen Nutzen nicht, da es uns nichts bringt, auf Kredit Autos zu verkaufen, wenn diese Kredite hinterher nicht bedient werden. Die Politik läuft aber Gefahr, dieser Rhetorik auf den Leim zu gehen.
Deshalb ist es wichtig und richtig, dass die Bundesbank anmahnt, zuerst die eigenen Steuerzahler heranzuziehen. In Italien wäre dies sicherlich gar kein Problem angesichts der gering verschuldeten, sehr vermögenden Privathaushalte. In Spanien, Portugal und Irland aber auch Holland sieht das anders aus. Dort haben wir es mit hoch verschuldeten Privathaushalten zu tun, die eine solche Steuer vermutlich nicht in dem gedachten Umfang erbringen können. Die Gefahr ist nun, dass diese Länder sich zusammentun und europäische, sprich „deutsche“ Solidarität einfordern, und unsere Politiker dem wenig entgegensetzen. Ein italienischer Freund hat mal gefragt, „weshalb die Italiener selber zahlen sollen, solange es die Provinzen für sie tun.“ Mit Provinzen waren wir gemeint. Umso wertvoller ist der Hinweis der Bundesbank in der heutigen Situation.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Bundesbank spricht davon, dass diese Maßnahme vor allem in insolventen Staaten angewendet werden soll. Kann es sein dass die Bundesbank aus einem Blick in die Target 2-Salden zu dem Ergebnis gekommen ist, dass einige Staaten in der Eurozone am Ende sind?
Daniel Stelter: Die Target 2-Salden haben sich ja etwas zurückentwickelt, vor allem dank der großzügigen Unterstützung der EZB auf anderem Wege. Ein einfacher Blick auf die Gesamtschulden der Länder – also nicht nur Staat sondern auch Unternehmen und Privathaushalte – und deren ungebremsten Anstieg bei gleichzeitig stagnierender Wirtschaft genügt, um zu den Schluss zu kommen, dass es nur so geht. Klar war das allerdings schon vor drei Jahren.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem Buch und in Ihrer Studie für BCG haben Sie Mesopotamien als Beispiel genannt: Dort gab es regelmäßige Schuldenschnitte. Wäre eine Vermögensabgabe nur der eine Teil, und Schuldenschnitte müssen trotzdem erfolgen?
Daniel Stelter: Es gehört immer zusammen. In Mesopotamien haben die Gläubiger verloren, und es gab eine echte Entlastung der Schuldner. Genauso müsste es auch heute sein. Es darf nicht sein, dass Banken rekapitalisiert werden, der Häuslebauer der sich finanziell übernommen hat, aber weiterhin die ursprüngliche Schuld bedienen muss. Wenn, dann müssen wir die eigentlichen Schuldner entlasten. Ich finde das auch ungerecht. Doch der Kredit ist schon verloren – der Fehler wurde schon gemacht – jetzt geht es darum, wenigstens etwas zu retten. Wie bei einer Unternehmensinsolvenz.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem Buch stellen Sie die Berechnung an, dass alle Schulden über 180 % des BIP durch einen Schuldenschnitt gekappt werden sollen. Wäre es daher nicht sinnvoll eine solche Vermögensabgabe in allen Euro-Staaten, also auch in Deutschland durchzuführen?
Daniel Stelter: Im Unterschied zu einigen Akteuren im Feld der Politik treibt mich nicht der Neid auf die Besitzenden. Andererseits müssen wir uns eingestehen, dass der deutsche Staat seinen Verpflichtungen auch nicht im vollen Umfang wird nachkommen können. Neben der offiziellen Verschuldung, die wohl noch beherrschbar wäre, haben wir es mit einem Berg von ungedeckten Versprechen für Renten, Pensionen und Gesundheitsleistungen zu tun.
Geschätzt wird die implizite Verschuldung auf bis zu 300% vom BIP – vor den Geschenken, die die neue Regierung gerade verteilt und die das Problem noch verschärfen. Mit einfachen Vermögensabgaben bekommen wir das nicht in den Griff. Hier brauchen wir auch eine Absenkung von Ansprüchen (statt einer Erhöhung!). In einem Gesamtpaket könnte dann eine Vermögensabgabe zur Reduktion der ausgewiesenen Staatsschuld ein Instrument sein, um zu zeigen, dass alle gesellschaftlichen Gruppen einen Beitrag zur Sanierung des Gemeinwesens leisten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Eine Vermögensabgabe wird immer gerne als eine Beteiligung der Reichen am Schuldenabbau bezeichnet. Der IWF hat in seinen Berechnungen alle Nettovermögen der Haushalte in die Berechnung einbezogen. Würde also eine Vermögensabgabe jeden treffen?
Daniel Stelter: Jeden, der Vermögen hat. Angesichts der Beträge um die es geht – in der Eurozone schätze ich die nicht bedienbaren Schulden auf 3 bis 5 Billionen Euro – kann man nicht nur auf die sehr Reichen gehen. Ich denke, die 100.000 Euro Grenze, die wir jetzt bei Bankguthaben sehen, wird ein Eckpfeiler sein, ebenso die Befreiung einer selbst genutzten Immobilie im moderaten Rahmen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Für die Höhe der Vermögensabgabe hat der IWF 10 % vorgeschlagen. Das würde jedoch die Eurozone nur auf den Stand von 2007 zurücksetzen. Wir sehen, dass das Wirtschaftswachstum weit unter den Erwartungen bleibt und die Jugendarbeitslosigkeit vor allem in Südeuropa weiter sehr hoch ist. Müssen es nicht mehr als 10 % sein?
Daniel Stelter: Die Zeitung Die Welt hat berechnet, dass eine 10% Abgabe auf allen Vermögen in der Eurozone – also ab dem ersten Euro – rund 3,8 Billionen erbringen würde. Dies würde meines Erachtens genügen. Sobald wir einen Freibetrag für Geldvermögen und selbstgenutze Immobilien einführen, geht der Satz naturgemäß nach oben. Wenn dann nach Land unterschieden wird, also wir Deutschen nicht für die anderen mitzahlen, können es sehr schnell in einigen hochverschuldeten Ländern wie Portugal Werte jenseits von 50% werden. Das ist nicht tragbar, und es wird eine gewisse Umverteilung zwischen den Ländern geben. Letztlich haben Portugal, Spanien und Irland durchaus ein gewisses Erpressungspotential: Die Gläubiger sitzen überwiegend im Ausland.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn ein Land eine solche Vermögensabgabe beschließt: müssten dann nicht auch sofort Kapitalverkehrskontrollen beschlossen werden?
Daniel Stelter: Kapitalverkehrskontrollen werden zunehmend in den internationalen Institutionen diskutiert. IMF und auch die US-Fed halten sie in bestimmten Umständen für sinnvoll. Für mich passt das zur Gesamtsituation ebenso wie die zunehmenden Stimmen, die sich für ein Bargeldverbot einsetzen. Aus Fairnessgründen kann man eine Lösung der Schuldenkrise über Vermögensabgaben oder andere Steuern nur dann durchführen, wenn man den Kapitalverkehr beschränkt. Wie es in Zypern gemacht wurde, darf es jedenfalls nicht sein. Die Bewohner Zyperns kamen nicht an ihr Geld heran, während die Filialen der Banken in London geöffnet blieben, und vermögende Investoren ihr Geld abzogen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo sehen Sie Anzeichen dafür, dass ein Bargeldverbot diskutiert wird?
Daniel Stelter: Erst kürzlich hat Larry Summers ein Bargeldverbot ins Gespräch gebracht. In dem Zusammenhang hat Wolfgang Münchau im Spiegel zum Bargeldverbot aufgerufen. Die Schweden sind schon auf dem Weg. Und nun macht sogar der Tagesspiegel es zum Thema. Wir müssen im Hinterkopf haben: es geht darum, den Schuldenberg zu bereinigen. Deshalb gibt es durchaus Interesse, das Geld besser unter staatlicher Kontrolle zu halten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was riskiert die Politik eigentlich, wenn sie eine Vermögensabgabe entführt?
Daniel Stelter: Wenig. Die Mehrheit der Bevölkerung wird nicht getroffen, und wird die Maßnahme vermutlich begrüßen. Wenn sie überraschend mit einem zurückliegenden Stichtag eingeführt wird – wie es der IWF beschreibt und anregt –, gibt es auch keine Ausweichmöglichkeit. In Deutschland würde sicherlich die Frage der Verfassungsmäßigkeit aufgeworfen werden. Ich bin aber sicher, die Politik wird das Verfassungsgericht von der außergewöhnlichen Notlage überzeugen, wenn sie diesen Schritt gegangen ist. Mit Blick auf die Konjunktur in den Krisenländern könnte sich so ein Schnitt sogar als positiv erweisen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie, dass die Bundesregierung den Mut aufbringen wird, notfalls eine solche Maßnahme auch in Deutschland zu beschließen?
Daniel Stelter: Zur Zeit nicht. Wie gesagt denke ich, es ging der Bundesbank zunächst darum, der Politik dringend nötige Argumente für die anstehenden Verteilungsdiskussionen in der Eurozone an die Hand zu geben. Sollte sich die Krise aber weiter hinziehen – und danach sieht es aus – wird es zu Pleiten und Schuldenrestrukturierungen kommen. Und dann wird das Thema auf den Tisch kommen. Nur leider werden dann die Beträge, über die wir sprechen noch größer sein. Die Folge der Verschleppungspolitik. Besser und kostengünstiger für uns alle wäre es, wenn die Politik sich dem Problem mit offenen Augen stellen würde, statt weiterhin auf ein Wunder zu hoffen.
Dr. Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Think Tanks „Beyond the Obvious“. In dem äußerst lesenswerten Blog analysiert Stelter den täglichen Schulden-Wahnsinn.
Zuvor war Stelter von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner und Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Von 2003 bis 2011 verantwortete er weltweit das Geschäft der BCG Praxisgruppe Corporate Development (Strategie und Corporate Finance).
Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen bei der Vorbereitung auf die Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das mit dem „getAbstract International Book Award 2010“ ausgezeichnete Buch „Accelerating out of the Great Recession“ (in Deutschland: „Vor der Krise ist nach dem Aufschwung“). Im April 2013 erschien sein aktuelles Buch „Die Billionen Schuldenbombe“ über die Schuldenkrise. Stelter ist ein international gefragter Redner und Autor.