Mit dem Ausbruch der Ukraine-Krise, insbesondere nach der Besetzung und Annexion der Krim durch Russland, hat Wladimir Putin eine Kehrtwende in der außenpolitischen Orientierung vollzogen.
Zuvor versuchte er, die Kooperation mit den USA und der EU auszubauen.
Doch nun geht er auf Konfrontationskurs und bricht zunehmend alle Kontakte mit den ehemaligen Partnern ab. Der Westen wirft Russland vor, die territoriale Integrität der Ukraine einseitig verletzt zu haben, die im Budapester Memorandum geregelt ist. Putin wiederum sagt, dass in der Ukraine „faschistische Kräfte am Werk“ seien, die vom Westen ferngesteuert würden.
Seit den Protesten auf dem Maidan, die zum Sturz des damals amtierenden Präsidenten Wiktor Janukowytsch geführt hatten, wird um die Interpretationshoheit der Ereignisse gekämpft. Der Kreml vertritt die Ansicht, dass die Anrainerstaaten Russlands nur über eine begrenzte Souveränität verfügen.
Deshalb müssten sie aufgrund der sicherheitspolitischen Interessen Russlands zur Neutralität gegenüber dem Westen verpflichtet sein. Damit macht Russland einen Rückgriff auf die Breschnew-Doktrin, die die begrenzte Souveränität der Länder im Einflussbereich der Sowjetunion betonte.
Doch bei der Breschnew-Doktrin ging es um den Schutz des Sozialismus vor den „imperialistischen Mächten“ des Westens. Dem heutigen Russland geht es um seine Sicherheitsinteressen sowie um die russischstämmigen Minderheiten in den Anrainerstaaten. Dafür setzt Moskau auch den Panslawismus und die Novorossiya-Ideologie ein. Sie dienen als identitätsstiftende Grundlagen.
Die Ukraine sollte als potentielles Mitglied der von Russland beherrschten Eurasischen Union, die ein institutioneller Nachbau der EU unter russischer Führung darstellt, in eine enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit gedrängt werden. Dies entsprach jedoch nicht unbedingt den Interessen der Mehrheit der Ukrainer, die sich in einer Assoziierung mit der EU bessere Chancen für die langfristige wirtschaftliche Entwicklung versprochen hatten.
Das plötzliche Scheitern des Assoziierungs-Abkommens mit der EU, das bereits vollständig ausgehandelt worden war, war dann auch der Auslöser der Maidan-Proteste. Denn Janukowitsch hatte die Unterzeichnung des Abkommens kurzfristig auf massiven Druck Russlands verweigert.
Die Ukraine kann nicht Mitglied in beiden Wirtschafts-Gemeinschaften werden. Denn beispielsweise können Zölle nicht einerseits - im Rahmen der Eurasischen Union – in Moskau und gleichzeitig - im Rahmen der EU – in Brüssel festgelegt werden. Dieser Widerspruch betrifft auch alle anderen Bereiche der beiden Unionen. Trotzdem hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Ende Juni das Assoziierungs-Abkommen mit der EU unterzeichnet. Das Abkommen muss noch vom ukrainischen Parlament ratifiziert werden.
Doch offenbar gibt es massive Widerstände im Parlament, die sich aus Volksvertretern der Janukowitsch-Ära zusammensetzt. Im Juli kam es zwischen Vertretern der Kommunistischen Partei (KP) und den Vertretern der Swoboda Partei zu einer wüsten Schlägerei, der mit dem taktischen Rücktritt des Ministerpräsidenten Jazenjuk endete. Jener Rücktritt wurde vom Parlament abgelehnt. Stattdessen wurde der Weg zu Neuwahlen im September 2014 frei gemacht.
Dabei soll die KP von den Parlamentswahlen ausgeschlossen bleiben. Ihr wird Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine vorgeworfen. Nach den Neuwahlen des Parlaments soll dann schlussendlich die Ratifizierung des Assoziierungs-Abkommens mit der EU durchgeführt werden.
Ein politischer Grund für die derzeit laufende ukrainische Militär-Offensive gegen die Separatisten in der Ostukraine liegt offenbar auch darin, dass man bis zum Wahltermin wieder die volle Kontrolle über die abtrünnigen Gebiete zurückerlangen will, um damit eine bessere Legitimationsgrundlage für die Parlamentswahlen zu schaffen.
Würde die Mehrheit für die pro-europäischen Parteien stimmen, wäre auch die demokratische Legitimation der EU-Assoziation erheblich größer als ohne die Beteiligung der Ostukraine. Da bereits hunderttausende Pro-Russland-Anhänger aus den Gebieten der Separatisten nach Russland geflohen sind, dürfte dies auch das Wahlergebnis zugunsten der Pro-EU-Parteien begünstigen.
Eine direkte militärische Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine scheint nicht mehr undenkbar. Dies würde einen offenen Krieg zwischen beiden Ländern nach sich ziehen (mehr hier). Jedenfalls scheint die russische Armee sich auf diesen Angriff derzeit intensiv vorzubereiten. Gleichzeitig ist die Luftwaffe und die Flottenverbände auf der Krim in Alarmbereitschaft versetzt worden, meldet n-tv.
Doch Moskau geht noch weiter und baut eine Droh-Kulisse gegen die Nato auf. Insbesondere im Baltikum lässt die russische Luftwaffe die Muskeln spielen (mehr hier). Es werden US-Spionageflugzeuge bedrängt, die sich in den schwedischen Luftraum flüchten. Auch in der Nordsee testet Russland die Abwehrbereitschaft der Nato-Streitkräfte. Selbst an der kalifornischen Küste tauchten kürzlich russische Bomber im amerikanischen Luftraum auf (mehr hier).
Die Nato und Russland pokern hoch. Fehleinschätzungen auf beiden Seiten können am Ende fatale Folgen haben (mehr hier).
Je mehr sich beide Seiten exponieren, desto schwieriger wird eine Deeskalation. Deshalb ist die aktuelle Situation äußerst heikel. Die Putin-Doktrin hat bereits jetzt einen nachhaltigen Bruch mit dem Westen herbeigeführt.
Der ebenfalls eskalierende Wirtschaftskrieg bringt Russland in eine fragile Lage, auch wenn der bisher schon entstandene wirtschaftliche Schaden sich in Grenzen hält. Letztendlich verlieren beide Seiten.
Putin möchte Russland zurück zu einer wirtschaftlichen Autarkie führen. Das Land soll sich somit von der Abhängigkeit des Westens lösen. Doch dieses Vorhaben würde höchstwahrscheinlich eine nachhaltige Wirtschaftskrise nach sich ziehen.
So endete auch Maos „Großer Sprung nach vorn“ in einem totalen wirtschaftlichen Debakel Chinas. Plant jetzt Putin in Überschätzung der Möglichkeiten Russlands ein ähnliches Experiment?