Gegen Ende der 90er-Jahre hatte der Zinskonvergenzprozess bereits deutliche Spuren in der Profitabilität des Bondversicherungsteils des Geschäftsmodells hinterlassen. Die öffentlichen Pfandbriefemittenten, damals allesamt spezialisierte Hypothekenbanken, begannen folglich, höhere Fristentransformationsrisiken zu nehmen. Diese Praxis unterband jedoch die deutsche Bankenaufsicht 1998 in vorbildlicher Art und Weise durch das „Gentleman’s Agreement“, das den Hypothekenbanken in Deutschland fortan Fristenmatching vorschrieb.
Ohne diese Gewinnquelle, und mit weiter fallenden Zinsdifferenzen war das Ergebnis 2001 die Aufspaltung der Depfa in die Aareal Bank (Wiesbaden) mit Fokus auf den Immobilienkredit, in dem die Zinsmargen noch als auskömmlich angesehen wurden, und Depfa Bank plc (Dublin). Das öffentliche Pfandbriefgeschäft wurde somit nach Irland ausgelagert, wo nicht nur die Unternehmenssteuern niedriger waren, sondern auch Unerfahrenheit oder Indifferenz irischer Regulierer eine Fortführung der soeben in Deutschland untersagten hohen Fristentransformationsrisiken ermöglichten. Mit dem irischen Liberalisierungsschub – das Management sprach von einer faktischen Neugründung - engagierte sich die dorthin verlagerte Depfa auch stark im risikoreichen Derivategeschäft mit öffentlichen Kunden sowie im Eigenhandel und trieb Mitte der 2000er-Jahre sogar den Eintritt in den amerikanischen Bondversicherungsmarkt voran.
Eigenkapital hielt die Depfa für ihr Geschäft in Irland so gut wie keines vor. Angesichts von Nullgewichtung von Staatskrediten im EEA-Raum lag der Hebel der spezialisierten Staatsfinanzierer allgemein jenseits der 40. Bei der Depfa betrug er im Jahr 2003 125 und befand sich damit im Bereich der am höchsten gehebelten Finanzinstitute weltweit, etwa der amerikanischen Bondversicherer Fannie Mae und Freddie Mac (um 140). Die ebenso große belgisch-französische Dexia Crédit Local hielt fast das vierfache an Eigenkapital. Ein extremer Hebel angewendet auf ein Portfolio mit hoher Fristeninkongruenz – im Fachjargon ein hoher „leverage-adjusted duration gap“ - erklärt, warum die Bank nach der in Abbildung 1 vorgestellten Analyse von FitchRatings mit den geringsten Margen im Staatskreditgeschäft die höchste Eigenkapitalrendite unter vergleichbaren Instituten erzielen konnte. Der von der Deutschen Bank stammende Depfa-Chef Bruckermann ließ sich und sein Management auf der Basis dieses Modells mit Aktienoptionen im Wert dreistelliger Millionenbeträge entlohnen.
Um diese rechtzeitig in Cash umzuwandeln – denn ein hoher „leverage-adjusted duration gap“ bedeutet gleichzeitig ein extremes Insolvenzrisiko, das bei veränderten Zinsbedingungen rasch realisiert wird - wurde die Bank seit 2006 zum Verkauf angeboten. Dieses Angebot stieß aber selbst bei den nicht als risikoavers bekannten Londoner Hedgefonds auf wenig Interesse.
Warum die deutsche Aufsicht Mitte 2007 dem Kauf durch die Münchener Hypo Real Estate (HRE) Gruppe zustimmte und die Transaktion selbst nach Ausbruch der Subprime-Krise mit ihren sofortigen Auswirkungen auf den Pfandbriefmarkt nicht unterband, bleibt rätselhaft. Zwar war das Interesse des Managements der HRE, die weiterhin auf hohe Pfandbriefvolumen setzte und die sich anbahnende Krise negierte, klar: das Ziel war es, den größten deutschen Pfandbriefemittenten Eurohypo, der über seine Luxemburger Tochter stark im Staatskreditgeschäft war, zu überholen. Angesichts ihrer eigenen Rolle bei der Vertreibung des Staatskreditgeschäftes aus Deutschland und der bekannten Praktiken bei der irischen Depfa hätte die deutsche Aufsicht aber das Ansinnen der HRE ablehnen müssen.
In zunehmender Sorge um das Hypothekarkreditgeschäft mag sie, wie die Ratingagenturen damals, auf einen Diversifizierungseffekt – die HRE war weitgehend im Immobiliengeschäft aktiv – sowie die Mobilisierungsmöglichkeiten der Staatskredite der Depfa als Sachsicherheiten für die Interbankenrefinanzierung der neu gebildeten HRE-Gruppe insgesamt gesetzt haben. Diese Rechnung ging spätestens mit der europäischen Staatsschuldenkrise seit Anfang 2010 – die Depfa war dort und insbesondere in Griechenland hoch investiert - nicht mehr auf.
Bisher erschienen:
Teil 1: Der Auslöser der Finanzkrise: Die Rettung der Depfa-Bank
Der Fall der Depfa Bank ist der Schlüssel für das größte deutsche Bank-Desaster aller Zeiten. Die Bank refinanzierte langfristige Kredite mit kurzfristigen Anleihen. Mit dem Austrocknen der Kreditmärkte mit Beginn der Finanzkrise scheiterte dieses System zwangsläufig. Die Hypo Real Estate, der die Depfa gehörte, stand über Nacht vor dem Abgrund. Diese Entwicklung machte die Finanzkrise und vor allem ihren deutschen Teil besonders kostspielig.
Dieser Text ist der zweite Teil einer fünfteiligen Serie. Lesen Sie in den weiteren Teilen in den kommenden Tagen:
Teil 3: Depfa: Stures Festhalten am Bad-Bank-Gesetz kostete dem Steuerzahler Milliarden
Das Depfa-Debakel kostet den deutschen Steuerzahler wohl einen hohen einstelligen Milliardenbetrag. Darunter sind zwei Milliarden Euro, die der Bund dem Steuerzahler hätte ersparen können. Irland hatte dazu 2011 über sein neues Bankenabwicklungsrecht die Möglichkeiten geschaffen. Doch man hielt stur am unzureichenden deutschen Bad-Bank-Gesetzes, das nur die Eigentümer der Banken belastet, fest.
Teil 4: Der Schlussstrich der Depfa: Verspätete Abwicklung in Eigenregie
Das Staatskreditmodell der Depfa ist faktisch tot. Im Mai 2014 entschied die Bundesregierung dennoch, das bislang höchste Angebot für die Depfa von 320 Millionen Euro abzulehnen. Sie hofft, dass eine Abwicklung in Eigenregie billiger kommt.
Teil 5: Depfa: Hoher Schaden durch indirekte Verstaatlichung
Der hohe Schaden für den Steuerzahler aus der indirekten Verstaatlichung der irischen Depfa entstand vor allem durch den politischen Widerstand gegen Abwicklung und Gläubigerbeteiligung in Deutschland. Durch das starre Festhalten an der einmal beschlossenen Bankenrettungsstrategie wurden nebenbei auch bei einer Privatbank die Rettungskosten für den Steuerzahler maximiert.
Hans-Joachim Dübel ist Gründer und Leiter der Finanzberatungs-Firma Finpolconsult. Zuvor war er von 1998 bis 2000 Finanz-Analyst bei der Weltbank. Er gilt als einer der angesehensten Experten in Fragen der Banken-Rettung und hat in dieser Frage zahlreiche internationale Organisationen beraten. Er hat in den vergangenen Jahren mehrere Arbeitspapiere zur Banken-Krise erstellt. Sein aktuelles Arbeitspapier „The Capital Structure of Banks and Practice of Bank Restructuring“ wurde im Juni-Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums berücksichtigt.