Israel nach der Geiselbefreiung: Ein schwieriger Neustart
Zwanzig überlebende israelische Geiseln wurden am Montag freigelassen, und Präsident Trump erhielt im israelischen Parlament zahlreiche offizielle Anerkennungen und Dank für seine Rolle bei der Freilassung. Der Präsident soll nun Zeit haben, die internationale Anerkennung für seinen Friedenseinsatz zu genießen, die viele als gerechtfertigt erachten, da er Israel zu einer Vereinbarung gedrängt hatte. Die zwanzig freigelassenen Geiseln und ihre Familien benötigen Zeit, um die erlittenen physischen und psychischen Schäden zu verarbeiten und ihr Leben wiederaufzubauen. Gleichzeitig stehen Hunderttausende Palästinenser vor der Aufgabe, ihre zerstörte Heimat wiederaufzubauen. Die Geiselbefreiung und das Friedensgipfeltreffen in Sharm El Sheikh in Ägypten markieren zwar Fortschritte, doch drängen nach Abschluss dieser Ereignisse zentrale und schwierige Fragen in den Vordergrund. Vorrangig geht es darum, wie der Konflikt zwischen Israel und Hamas weiter gelöst werden kann. Die Geiselübergabe, die Vereinbarung über die Waffenruhe und die Wiederaufnahme humanitärer Hilfe für Gaza waren die vergleichsweise einfachen Punkte von Trumps 20-Punkte-Plan für Frieden. Viele Beobachter fragen sich dennoch, warum dies nicht bereits vor einem Jahr umgesetzt werden konnte, in einem Krieg, der möglicherweise nur vorübergehend pausiert ist und dessen Eskalationspotenzial nach wie vor hoch ist.
Die entscheidenden Verhandlungen über Gaza
Im Zentrum der nächsten Verhandlungsrunde steht die Frage, ob Hamas und Israel eine Einigung darüber erzielen, wie weit Israel sich von der Invasion Gazas bis zur eigenen Grenze zurückziehen wird. Hamas fordert, dass rund 70 Prozent des Gazastreifens von israelischen Panzern und Soldaten geräumt werden. Darüber wird weiterhin intensiv verhandelt. Gleichzeitig bestehen Israels Forderungen nach einer vollständigen Entwaffnung von Hamas, die nicht nur die Waffen niederlegen, sondern auch jegliche politischen Ambitionen auf eine zukünftige Kontrolle und Verwaltung des kleinen Küstenstreifens am Mittelmeer aufgeben sollen. Bisher liegen darauf keine verbindlichen Antworten vor. Sollte die Antwort negativ ausfallen, erscheint die Umsetzung des restlichen Friedensplans von Präsident Trump kaum realisierbar.
Offene Fragen betreffen zudem die Verwaltung Gazas. Falls Hamas nicht zurücktritt, stellt sich die Frage, welche technokratische Regierung, Trumps sogenanntes Peace Board, die Region führen würde, und welche arabischen Staaten bereit wären, Friedenstruppen zu entsenden, wenn diese in Kampfhandlungen gegen Hamas verwickelt würden. In historischer Perspektive bezeichnete Präsident Trump die Waffenruhe am Montag als „Jahrtausendereignis“, doch selbst in diesem Zusammenhang rangiert die Frage nach der Zukunft von Hamas auf einer niedrigeren Prioritätsskala. Der ultimative Lösungsansatz bleibt weiterhin die Herstellung von Frieden und Stabilität im gesamten Nahen Osten, wobei die langfristige Perspektive auf eine Zwei-Staaten-Lösung und die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates hinausläuft.
Wunschträume versus Realität
Bei seiner Rede im Knesset, dem israelischen Parlament, wurde Präsident Trump gefragt, ob der Krieg nun vorbei sei. „Ja, was mich betrifft, ja“, antwortete er, doch diese Einschätzung entspricht eher einem Wunschdenken als der Realität. Nachhaltiger Frieden im Nahen Osten lässt sich nicht in kurzer Zeit erreichen, sondern setzt einen tiefgreifenden politischen Wandel voraus. Dies schließt einen Regierungswechsel in Israel sowie einen vollständigen politischen Kurswechsel in Tel Aviv ein. Amir Ohana, Vorsitzender des Knesset, lobte Präsident Trump als „ein Gigant der jüdischen Geschichte, der über Tausende von Jahren in Erinnerung bleiben wird“.
Gleichzeitig äußerte Finanzminister Bezalel Smotrich im September, dass seine Pläne, weitere 3000 israelische Häuser in neuen Siedlungen im Westjordanland zu errichten, die Idee eines palästinensischen Staates „begraben“ würden. Bereits heute leben etwa 700.000 Israelis in rund 160 Siedlungen im Westjordanland, die von der internationalen Gemeinschaft als illegal betrachtet werden. Smotrich repräsentiert zwar eine radikale religiöse Partei, doch Premierminister Benjamin Netanyahu ist auf die Unterstützung der religiösen Parteien im rechten Spektrum angewiesen. Erst vor etwas mehr als einem Monat unterzeichnete Netanyahu einen Plan für neue Siedlungen in Ma’ale Adumim und erklärte dort, dass „dieses Gebiet uns gehört und es keinen palästinensischen Staat geben wird“. Diese Haltung verdeutlicht, dass die Perspektiven auf nachhaltigen Frieden langfristig begrenzt sind und dass die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung aktuell weit entfernt scheint.
Risiken weiterer Konflikte
Die langfristige Stabilität der Region ist weiterhin fragil. US-Militärvertreter warnen, dass Israels Fokus auf militärische Hegemonie ohne ernsthafte Schritte in Richtung einer tragfähigen palästinensischen Zukunft zu weiteren Konflikten und erhöhter regionaler Instabilität führen könnte. Joost R. Hiltermann, Sonderberater bei der International Crisis Group, und Natasha Hall, Senior Associate am Center for Strategic and International Studies, betonen in der Fachzeitschrift Foreign Affairs, dass die Situation im Nahen Osten so prekär ist, dass Israel die Stabilität der von den USA geführten internationalen Ordnung gefährden könnte. Die Ehrungen von Präsident Trump durch die Knesset spiegeln diese Dynamik wider: Netanyahu bezeichnete Trump als „den besten Freund, den Israel jemals im Weißen Haus hatte“ und betonte, dass er „die Tür zu einer historischen Ausweitung des Friedens in unserer Region und darüber hinaus geöffnet habe“. Gleichzeitig verfolgt Israel klar eigene Interessen und sucht die uneingeschränkte Unterstützung der USA, insbesondere in einer Zeit, in der das Land politisch wegen Vorwürfen von Völkermord in Gaza angeklagt wird und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Premierminister Netanyahu erlassen hat.
Diplomatische Balanceakte im Nahen Osten
Die diplomatischen Beziehungen sind angespannt und erfordern ein hohes Maß an strategischem Kalkül. Nachdem Israel Katar mit Luftangriffen bedroht hatte, um die politische Führung von Hamas zu treffen, musste Tel Aviv sicherstellen, dass die Beziehungen zur Trump-Regierung stabil bleiben. Aktuell ist die Verbindung sehr eng, doch es ist bekannt, dass Trumps Sympathien schnell wechseln können. Gleichzeitig verfolgt Trump wirtschaftliche und diplomatische Interessen in arabischen Ländern, unter anderem über seinen Schwiegersohn Jared Kushner, der Immobiliengeschäfte, Investitionen und diplomatische Verhandlungen miteinander kombiniert. Der Nahe Osten bietet wirtschaftliche Chancen, die jedoch erst nutzbar werden, wenn riskante Konfliktfelder entschärft werden. Die komplexe Lage verdeutlicht, dass Frieden, politische Stabilität und wirtschaftliche Interessen eng miteinander verknüpft sind, sodass jeder Schritt sorgfältig abgestimmt werden muss, um langfristig nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.
Die Entwicklungen in Israel und Gaza haben auch für Deutschland große Relevanz. Als Mitglied der Europäischen Union trägt Deutschland die Verantwortung, diplomatische Stabilität zu fördern, humanitäre Hilfe bereitzustellen und gleichzeitig eine klare Position in Bezug auf internationale Rechtsnormen und Menschenrechte zu vertreten. Deutschlands Rolle könnte darin bestehen, den Dialog zwischen Israel, Palästina und internationalen Partnern aktiv zu unterstützen, um langfristig einen stabilen Friedensprozess im Nahen Osten zu fördern. Gleichzeitig sollte Deutschland die politischen Rahmenbedingungen und regionalen Machtverhältnisse sorgfältig beobachten, um seine außenpolitische Strategie verantwortungsvoll an globale Entwicklungen anzupassen.

