Russland setzt auf unkonventionelle Strategien bei der Auseinandersetzung mit dem Westen. Die Nato hingegen tut sich schwer, diesen Strategien etwas entgegen zu halten. Die Strategien des transatlantischen Bündnisses beruhen auf der konventionellen Kriegsführung. Das klägliche Scheitern von Obama in Syrien und der entsprechende Triumph Putins sind für viele Beobachter ein Beweis für eine taktische Unterlegenheit des Westens. Die Kehrtwende Obamas in Richtung Assad wirkt hilflos. Und auch verbal ist der Präsident nicht gerade überzeugend. Am Freitag sagte Obama, die USA haben noch keinen Plan für das weitere Vorgehen gegen die IS-Terroristen. Im Kreml dürfte man sich über dieses Eingeständnis die Hände gerieben haben.
Putin führt derzeit einen fast perfekten Hybrid-Krieg. Diese Art des Krieges setzt sich aus einer Kombination von konventioneller und verdeckter Kriegsführung, Cyber-Angriffen, energiepolitischem und wirtschaftlichem Druck sowie Desinformation zusammen. Russland beherrscht den Hybrid-Krieg besser als die Nato. Die USA und ihre Partner befürchten, dass Moskau diese Strategie auch in Europa massiv einsetzen könnte. Besondere Sorge bereitet der Nato das Baltikum und Osteuropa.
Im März verhängte Russland einen Einfuhrstopp für alle litauischen Lebensmittel, die über den Hafen von Klaipeda verschifft werden. Die Russen haben in den vergangenen Monaten den sozialen und politischen Druck auf Estland, Lettland und Litauen massiv hochgeschraubt. „Sie schaffen psychologische Enklaven im Baltikum“, zitiert die FT den Direktor des Royal United Services Institute in London, Jonathan Eyal. Hinzu kommt, dass etwa 25 Prozent der Bürger Estlands ethnische Russen sind. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Moskau sie wie die russische Bevölkerung auf der Krim aktivieren könnte.
In Bulgarien profitiert Russland von der Korruption. Hochrangige Staatsbeamte sind relativ leicht gefügig zu machen. Nach Angaben der EU-Kommission ist die bulgarische Regierung, die korrupteste Regierung in Europa. Der russische Energie-Riese Gazprom hat den Bulgaren kürzlich ein Energie-Gesetz regelrecht diktiert. Das Gesetz dient dem Bau der South Stream Erdgas-Pipeline. Im Juni wurde das Bauvorhaben von der EU ausgebremst. Doch Bulgarien möchte an dem Erdgasprojekt festhalten. Gazprom hat einen großen Einfluss in Sofia.
Der ehemalige Beamte des britischen Militärgeheimdiensts, Chris Donnelly, sagte der FT:
„Geld ist entscheidend. Sie kaufen Politiker und geben ihnen Berater-Posten. Sie kaufen Unternehmen und bieten Bänkern Arbeitsplätze in Moskau an. Russland nutzt das organisierte Verbrechen als ein Werkzeug, um seine Ziele zu erreichen.“
Im Zuge des Hybrid-Kriegs habe Russland zahlreiche EU-Institutionen schon längst durchdrungen. Dieser Form des Kriegs liegt ein klares Konzept zugrunde.
Der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, Waleri Gerassimow, hat im Februar im russischen Militärjournal VPK einen Artikel veröffentlicht. Demnach seien weitgehende „politische, ökonomische, informationelle, humanitäre und weitere nicht-militärische Maßnahmen“ als „Konflikt-Methoden“ zu nutzen. All diese Methoden seien durch die Aktivierung der „lokalen Bevölkerung“ unter Einsatz „verdeckter Streitkräfte“ anzuwenden. In diesem Zusammenhang zitierte Gerassimow den sowjetischen Militär-Historiker Georgii Isserson. Isserson sagt, dass die Mobilisierung nicht nach Ausbruch eines Kriegs stattfindet. Sie verlaufe „unbemerkt“ vor Ausbruch eines Kriegs. So ist offenbar auch die Annektierung der Halbinsel Krim verlaufen.
Westliche Geheimdienst-Kreise sind überzeugt davon, dass Russland schon lange vor Ausbruch der Ukraine-Krise alle Maßnahmen getroffen hatte. Ab 2010 wurden zahlreiche Computer-Systeme ukrainischer Behörden mit dem Snake-Virus infiziert. Dieser Virus verschaffte Moskau einen ungehinderten Zugang zu Geheiminformationen der Kiewer Regierung. Seit 2008 spielt Russland auch die Erdgas-Karte gegen die Ukraine aus.
Die meisten der Methoden des Hybrid-Kriegs sind nicht neu. „Die Hälfte der weltweiten Kriegsgeschichte beruht auf derartigen Methoden“, sagt Anthony Cordesman vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington D.C.
Doch Cordesman und anderen westlichen Geheimdienst-Analysten fällt auf, dass Russland erfolgreicher als der Westen agiert. Moskau betreibe eine massive „Desinformations-Kampagne“ im In- und Ausland. Die staatliche Kontrolle der russischen Medien habe seit Beginn der Ukraine-Krise einen Höhepunkt erreicht. Der Westen tut sich in dieser Hinsicht viel schwerer: Offenkundig schwache Beweise wie die von der Nato vorgelegten Satellitenbilder von einem angeblichen russischen Einmarsch in der Ukraine können von der freien Presse entlarvt werden.
Für den Chef der britischen Denkfabrik Chatham House, Robin Niblett, bietet sich ein klares Bild. Es gebe nur ein Mittel gegen Russland. „Wir brauchen eine neue Form der Abschreckung“, sagt er.