Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie waren einer der vehementesten Kämpfer gegen den ESM. Nun wird der Rettungsschirm offiziell für Bankenrettungen umgewidmet. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Frank Schäffler: Mit der Umwidmung des ESM zur Bankenrettung erreicht die Interventionsspirale im Euro-Schuldenclub einen neuen vorläufigen Höhepunkt. Schon schlägt der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor, die Mittel aus dem ESM für ein europäisches Investitionsprogramm zu missbrauchen. Gleichzeitig hält sich niemand an die Regeln - weder an die alten noch an die neuen. Mit der neuen Schuldenregel, dem Fiskalpakt, sollten doch eigentlich die richtigen Lehren aus dem Versagen der Vergangenheit gezogen werden. Stattdessen verschulden sich Italien und Frankreich munter weiter, als wäre jeden Tag Party.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird es bei den 60 Milliarden Euro für die Banken bleiben, oder erleben wir hier eine Art Salami-Taktik?
Frank Schäffler: Natürlich wird es nicht bei der Höchstsumme für die Bankenrekapitalisierung bleiben. Die Summe kann jederzeit erhöht werden, das gilt auch für das Ausleihvolumen des ESM insgesamt. Wenn die Staats- und Regierungschefs gemeinsam mit Mario Draghi erneut „in den Abgrund“ schauen, dann wir jede Summe bewilligt, jedes Recht gebrochen und jede Bank und jeder Staat herausgeboxt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Seit Ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag gibt es faktisch keinen Widerstand mehr gegen den ESM und die Euro-Rettung um jeden Preis. Wie erklären Sie sich diese Konformität der Abgeordneten?
Frank Schäffler: Die Große Koalition mit ihrer Mehrheit von 80 Prozent lähmt den Parlamentsbetrieb. Deutschland hat ohnehin ein Parlament, in dem die Abgeordneten der Regierung und der Ministerialbürokratie folgen, ohne ein eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das war in der letzten Legislaturperiode schon so, hat sich aber durch das Ausscheiden der FDP und das Scheitern der AfD bei der Bundestagswahl nochmals zusätzlich dramatisiert. Die Opposition ist jetzt auf die Linkspartei und auf die Abgeordneten Gauweiler und Willsch reduziert.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie im Bundestag gehindert wurden, eine kritische Rede zur Griechenland-„Rettung“ zu halten. Was ist da passiert?
Frank Schäffler: Im Parlament sind die Fraktionen wichtiger als die Abgeordneten. Wer im Parlament reden darf, entscheiden die Fraktionen. Da mich meine Fraktion nicht nominieren wollte, habe ich zu Beginn der Griechenlandkrise im Mai 2010 versucht, den Weg einer persönlichen Erklärung nach der offiziellen Parlamentsdebatte zu gehen. Dieses Instrument ist aber in das Ermessen des amtierenden Parlamentspräsidenten gelegt, ob er dies zulässt und zu welchem Zeitpunkt. Zweimal habe ich mich vertrösten lassen, einmal vom Parlamentspräsidenten selbst, der mir von der persönlichen Erklärung abriet und mich gegebenenfalls erst nach der namentlichen Abstimmung drannehmen wollte, und beim zweiten Mal „überredete“ mich meine Fraktionsführung, meine Rede nur schriftlich zu Protokoll zu geben.
Das habe ich dann auch leider gemacht und fühlte mich anschließend hundeelend. Erst beim dritten Mal habe ich mich dann durchgesetzt, vorab einen Brief an Parlamentspräsident Lammert geschrieben und anschließend 5 Minuten Redezeit in der regulären Debatte erhalten. Seitdem habe ich bei jeder Debatte um die Euro-Krise mir mein Rederecht als Abgeordneter über diesen Weg erstritten. Hartnäckigkeit zahlt sich am Ende aus.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie beschreiben auch, dass Rettungs-Aktionen in Wahrheit innenpolitisch motiviert sind. Ist denn keinem der Abgeordneten bewusst, dass er damit seine Wähler täuscht und das Vertrauen in die Demokratie auf diese Weise langfristig untergraben wird?
Frank Schäffler: Doch, aber die Euro-Krise wirkt wie süßes Gift. Es tötet nur auf lange Sicht. Kurzfristig profitieren sehr viele davon. Die Banken können Ihre Schuldenlast auf die EZB und damit auf die Steuerzahler und Sparer übertragen, die Exportindustrie freut sich über den niedrigen Euro-Kurs und der Finanzminister hat 15 Milliarden weniger Zinsausgaben, obwohl die Schuldenlast gestiegen ist.
Viele sehen zwar die Nachteile, sie glauben aber, dass es vielleicht nicht so schlimm kommt, oder die Enteignung der Sparer der Preis für die vermeintlich gute wirtschaftliche Situation im Lande ist. Doch der Preis ist nicht nur der Verlust der Sparvermögen von uns allen, sondern Recht, Demokratie und Freiheit werden dadurch zerstört.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Nachdem Sie den Rücktritt des damaligen EZB-Chefs Trichet gefordert hatten, beschloss die Fraktion, Ihnen den Posten des Obmann des Finanzausschusses zu entziehen. Sie sind dem zuvorgekommen, und von sich aus zurückgetreten. Was haben die Kollegen damals zu Ihnen gesagt, warum man Sie loswerden wollte?
Frank Schäffler: Man wollte ein Exempel statuieren und mich disziplinieren, damit ich auf den Kurs der Fraktionsführung einschwenke. Mich hat dies eher angespornt, meinen Kurs noch entschiedener fortzusetzen. Mir war klar, dass die Euroschuldenkrise erst beginnt und noch viele Einschläge kommen werden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie wurden daraufhin von Ihren eigenen Kollegen geschnitten - wie war das, wie hat sich das bemerkbar gemacht?
Frank Schäffler: Es gab zwei Arten der Missbilligung. Die offene, die in der Fraktion und in den Gremien von der jeweiligen Führung zu einem Tribunal mit geschlossenen Klopftiraden mündete, und die versteckten Missbilligungen, die dazu führten, dass ich in inhaltlichen Fragen in meinem Fachbereich nicht mehr eingebunden wurde.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Hat es auch persönliche Diffamierungen gegeben?
Frank Schäffler: Nein.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie sprechen an einer Stelle in Ihrem Buch davon, dass sich mit Angst gut regieren lässt. Wovor fürchten sich eigentlich die Abgeordneten? Man hat ja als Außenstehender irgendwie ein Verständnis von der Demokratie, das sie lebendig ist, aus dem Wettstreit der Ideen besteht, und sich am Ende die besten Argumente durchsetzen...
Frank Schäffler: In einer Krisensituation, wie sie im Mai 2010 war, als die Insolvenz Griechenlands drohte, konnte man viel leichter große Hilfspakete beschließen lassen als in einer Schön-Wetter-Zeit. Auch die Abgeordneten konnte man in solch einer Situation viel leichter disziplinieren.
Viele Abgeordnete sind damals gerade frisch und neu ins Parlament eingezogen, da gab es viele, die sich erst noch orientieren mussten. Ein Auseinanderbrechen der Koalition hätte für viele Abgeordneten bedeutet, dass sie nicht wieder ins Parlament zurückkommen. Schon allein dieser Gedanke erzeugte Geschlossenheit.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wir erinnern uns noch genau an Ihre Rede zum ESM. Im Plenum herrschte eine eisige, feindselige Stimmung. Sie waren der Paria, der Außenseiter. Woher kam der unverhohlene Hass gegen jemanden, der schlicht eine andere Meinung vertritt - und diese auch gut begründen kann?
Frank Schäffler: Als „Abweichler“ der Fraktionslinie gibt es immer zwei Möglichkeiten der Kommunikation. Die erste ist, dass man dagegen stimmt, still und heimlich sich in sein Abgeordnetenbüro verkriecht und den Sturm der Entrüstung aus der Fraktion über sich hinwegfegen lässt. Der zweite Weg, den ich gegangen bin, ist, offensiv für die eigene Position auch öffentlich zu werben. Das wird innerhalb des Parlaments als Verrat angesehen, entsprechend wird man dann auch behandelt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie ist das heute - wo Sie ja in vielen Punkten recht behalten haben - gibt es noch Abgeordnete, die mit Ihnen sprechen, gar Ihren unbestrittenen Sachverstand in der komplexen Materie suchen?
Frank Schäffler: Teils - teils, es gibt einige die sagen, es sei damals eine große Chance vertan worden, das Recht in Euro-Club durchzusetzen. Auch die FDP habe eine große Chance vertan, innerhalb der Regierung dadurch Profil zu zeigen. Andere verfahren nach dem Motto: die Karawane zieht weiter. Doch die nächste Oase ist noch weiter. Und ob, das Wasser den Mitgliedern der Karawane schmeckt und ob sie es dauerhaft vertragen, wage ich zu bezweifeln. Denn das Wasser ist vergiftet und die EZB erhöht die Giftdosis in immer kürzeren Abständen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Euroskeptiker im EU-Parlament sind nicht besonders vertrauenerweckend: Farage paktiert mit Rassisten aus Polen, die AfD verzettelt sich in einer Gender-Diskussion. Sind die institutionellen Euro-Kritiker nicht im Grund auch einfach Berufspolitiker, die sich eine Position aussuchen, die andere nicht vertreten - um dann auf Steuerkosten ein ganz annehmliches Leben zu führen?
Frank Schäffler: Sicher, die Verführungen des Apparats beeinflusst das Handeln der Abgeordneten. Davon kann sich keiner frei machen. Aber auch das billige Geld korrumpiert. Es korrumpiert eine ganze Gesellschaft: die Exportindustrie, die Banken, die Politik, den Konsumenten, den Häuslebauer, den Investor - alle glauben, dass man mit immer noch mehr Schulden zu Wohlstand kommen kann. Nur eine Minderheit erkennt aktuell den Fehler dieses Zirkelschlusses. Aus dieser Minderheit müssen wir jedoch eine Mehrheit entwickeln. Das gelingt nicht heute, auch nicht morgen, aber vielleicht übermorgen. Daran arbeite ich. Mein neues Projekt „Prometheus - Das Freiheitsinstitut“ soll dabei helfen. Dafür suche ich Unterstützung überall in der Gesellschaft.
Frank Schäffler, geboren 1968 in Schwäbisch Gmünd, war von 2005 bis 2013 Abgeordneter des Deutschen Bundestages. In der FDP initiierte er 2011 einen viel beachteten Mitgliederentscheid gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Er ist Gründer des klassisch-liberalen Think Tanks „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ und ist Mitglied der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft.
In seinem neuen Buch „Nicht mit unserem Geld!: Die Krise unseres Geldsystems und die Folgen für uns alle“ beschreibt Frank Schäffler eindrucksvoll die Mechanismen, die im Bundestag herrschen. Ohne Sentimentalität oder Wehleidigkeit schildert er, wie seine Kollegen versuchten, ihn auszutricksen, weil er in der Euro-Rettung die Partei- und damit die Regierungslinie verließ.