Politik

Warnung für europäische Anleger: China beendet die Börsen-Party

Lesezeit: 5 min
18.04.2015 01:00
Die Future-Märkte in China brechen ein, weil die Behörden Maßnahmen zur Eindämmung der Spekulation von Privatinvestoren ergreifen. Der Fall zeigt: Das blinde Risiko im Vertrauen auf die Zentralbanken kann äußerst unangenehme Folgen haben. Die Freunde von QE sollten die Ereignisse in China ganz genau beobachten.

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Im amerikanischen Basketball gibt es den Begriff „game changer“: Eine Aktion, die ein Spiel drehen kann, weil sich die Stimmungslage der beteiligten Mannschaften schlagartig ändert. Die zuvor unterlegene Mannschaft bekommt Oberwasser, während die lange führende Mannschaft in eine Abwärtsspirale gerät, aus der sie nicht mehr entkommen kann.

Was heute nach Börsenschluss in China passiert ist, hat den Charakter eines „game changers“. Der Shanghai Composite hatte zuvor den Handelstag wieder einmal mit einem Plus von gut 2% beendet - der Index hat sich in weniger als einem Jahr verdoppelt, ähnlich wie der Aktienmarkt in Shenzhen. Doch die Party dürfte durch Maßnahmen, die die Börsen in Shanghai und Shenzhen sowie die chinesische Regulierungsbehörde nach Börsenschluss verkündeten, erst einmal vorbei sein.

Die große Börsenparty in China basierte auf der Wette, dass die Regierung in Peking weitere Stimulus-Maßnahmen ergreifen würde, um die sich abkühlende Konjunktur zu stabilisieren – zweimal hatte die Notenbank People´s Bank of China bereits den Leitzins gesenkt. Fast noch wichtiger aber war, dass Peking der extremen Rally praktisch ihren Segen verliehen hatte: die deutlichen Anstiege der Aktienmärkte seien „rational“, so verbreiteten es staatlichen Medien wie die führende Nachrichtenagentur Xinhua. Die Regierung hatte erkannt, dass steigende Aktienmärkte sich positiv auf die Bereitschaft zur Kreditvergabe für Chinas Unternehmen auswirkten.

Vorwiegend junge Spekulanten eröffneten – mit Förderung Pekings – Trading-Konten, um bei der Börsenparty dabei sein zu können. Allein im letzten Monat waren es sechs Millionen. Wenn sich die Menschen bereichern, meckern sie nicht – und die Aktienmärkte sorgten mit ihren spektakulären Zugewinnen genau für diese Bereicherung, die Peking braucht, um den Niedergang der Konjunktur weitgehend zu kaschieren.

Die Folge aber war, dass die Blasen-Bildung an den Finanzmärkten in China ungeahnte Ausmaße angenommen hat. So handeln chinesische Tech-Werte mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 220. Zum Vergleich: auf dem absoluten Höhepunkt der Dot.com-Blase in den USA im Jahr 2000 lag das durchschnittliche KGV von Nasdaq-Werten bei 156. Was dann in den USA passierte, ist bekannt.

Noch gefährdeter ist jedoch der Markt für spekulative Unternehmensanleihen, die sogenannten Junk-Bonds. Mit diesen Junk-Bonds haben sich vorwiegend Unternehmen aus dem in China völlig überdimensionierten Bausektor Liquidität verschafft. Aber nun läuft die Konjunktur schlecht, die Einnahmen brechen weg, die Schulden aber bleiben – viele Unternehmen Chinas sind derzeit so stark Schulden-gehebelt wie noch nie. Ein wichtiger Grund für ihre Schwierigkeiten ist, dass Peking die Abkehr vom Bausektor zum dienstleistungsorientierten Binnenkonsum forciert, und damit Mut zur notwendigen Veränderung beweist.

Das Problem jedoch ist, dass ein Platzen der chinesischen Junk-Bond-Blase Auslöser einer globalen Finanzkrise werden könnte, da der Markt gigantische Volumina bewegt.

Peking ist sich der Gefahren der Kredit-finanzierten Party an seinen Finanzmärkten durchaus bewusst, insbesondere die hochgradig auf Pump agierenden, meist sehr jungen Privatinvestoren machen der Regierung Sorgen. Eine Untersuchung der China Southwestern University of Finance and Economics hat ergeben, dass die Spekulanten überwiegend junge, unerfahrene Trader mit eher durchschnittlicher oder unterdurchschnittlicher Bildung sind. Sie betätigen sich vorwiegend als Zocker, weniger als Investoren – nachvollziehbar mangels Alternativen angesichts eines zunehmend schwächer werdenden Arbeitsmarkts im Reich der Mitte.

Einzelne Maßnahmen der Regulierungsbehörden – etwa Beschränkungen des Margin-Handels – haben die fulminante Rally kurzzeitig unterbrochen. Aber dann erlaubte die Behörde professionellen Fonds-Managern im März diesen Jahres, die Verlinkung der Börsen Shanghai und Hongkong für Aktien-Käufe zu nutzen – und die Aktien-Party startete von Neuem.

Nun hat Peking durchaus Interesse an robusten Aktienmärkten (siehe oben) , fürchtet aber eben auch einen Crash durch zu schnelle Anstiege. Um diesen Crash weniger wahrscheinlich zu machen, haben die Behörden Chinas am Freitag zwei Maßnahmen ergriffen, die nachbörslich zu einem Einbruch an den chinesischen Future-Märkten von 6% geführt und damit auch den jüngsten Abverkauf in Europa und den USA mit ausgelöst haben (neben den Grexit-Sorgen).

Erstens hat die China Securities Regulatory Commission die Finanzierung von Aktienkäufen über sogenannte „umbrella trusts“ verboten. Diese „umbrella trusts“ sind faktisch Schattenbanken, die es Privatinvestoren ermöglichen, mit einem deutlich höheren Hebel an den Märkten zu agieren als es bei den regulierten Brokern im Reich der Mitte erlaubt ist. Durch das Verbot der Finanzierung von Aktienkäufen über „umbrella trusts“ wird ein großer Teil jener Privatinvestoren aus dem Markt gedrängt, die bisher mit wenig Liquidität hohe Volumina an den Märkten bewegten. Im Gegensatz zu den Aktienmärkten in den USA oder Europa aber waren die Privatinvestoren in China die entscheidende Größe: 80% des gehandelten Volumens wird bisher durch sie bewegt, nicht durch institutionelle Investoren.

Und genau hier setzt die zweite Maßnahme an. Die Börsenbetreiber der beiden wichtigsten Aktienmärkte Festlands-Chinas, Shanghai und Shenzhen, haben – ebenfalls nach Börsenschluss – verkündet, die Anzahl von Aktien zu erhöhen, die leerverkauft oder short gehandelt werden können. Und diese Möglichkeit steht praktisch ausschließlich professionellen Anlegern zur Verfügung, nicht den Privatinvestoren. Das dünne Statement der Börsenbetreiber Securities Association of China hatte es in sich:

"Margin business has been growing rapidly but short-selling business has been developing slowly".

Mit Leerverkäufen oder dem short-Handel spekuliert man auf fallende Kurse bei Aktien oder Indizes: man verkauft zuerst, um dann im Idealfall zu tieferen Kursen wieder zu kaufen und so Gewinn zu erzielen. Entgegen landläufiger Meinung in Deutschland, ist die Möglichkeit, Short-Positionen einzugehen und damit auf fallende Kurse zu setzen, für das Funktionieren von Finanzmärkten sehr wichtig, wie sich in der Historie gezeigt hat: so verlief der Crash 1929 so fatal, weil Investoren praktisch keine Möglichkeit hatten, auf fallende Kurse zu setzen. Als damals die Kurse fielen, standen alle auf der Käufer-Seite und versuchten – bildlich gesprochen – zur selben Zeit durch eine enge Tür zu kommen, als die Kurse einbrachen. Da das nicht gelingen kann, brach Panik aus, die Kurse stürzten massiv ab, weil keine Käufer bereit standen, um den Verkäufern ihre Papiere abzunehmen. Genau das ist aber der Fall, wenn Short-Positionen bestehen: irgendwann nehmen die „Shorties“ die entstandenen Gewinne nach gefallenen Kursen mit und treten damit als Käufer auf. Der Short-Handel ist also ein wesentlicher Stabilisator für die Finanzmärkte.

Zwar gibt es auch in China Index-Futures, mit denen man auf steigende oder fallende Kurse spekulieren kann – am Donnerstag wurde etwa ein Future auf den allein in 2015 um 47% gestiegenen Nebenwerte-Index CSI 500 eingeführt. Bislang aber war es praktisch unmöglich, Short-Positionen etwa bei einzelnen Aktien zu eröffnen – denn dazu muss man sich die Aktien ausleihen, ohne sie selbst zu besitzen. Die neuen Maßnahmen der Börsen in Shanghai und Shenzhen aber machen genau das in breitem Umfang möglich und zielen darauf, massive Überbewertungen von Aktien abzubauen. Faktisch ist das eine Maßnahme gegen die Kaufpanik der letzten Wochen und Monate – Peking will, so lautet die Botschaft, die bisherige Dominanz der euphorischen Privatinvestoren beschneiden, Profi-Investoren hingegen fördern.

Genau darin liegt der eingangs beschriebene „game changer“ für die Finanzmärkte Chinas: Das Spiel soll zugunsten von Profi-Investoren und auf Kosten von Privat-Investoren kippen. Denn die Privat-Investoren haben keine „tiefen Taschen“, schon kleine Kursrückschläge können eine Kettenreaktion von Margin-Calls der Kredit-finanzierten, hoch gehebelten privaten Spekulanten auslösen und so zu einem Crash führen. Nicht Spekulation, sondern Investition soll das dominierende Muster werden.

Damit nähern sich die Finanzmärkte Chinas endlich internationalen Standards. Zwar dürften die getroffenen Maßnahmen am kommenden Montag mit Eröffnung der Märkte in China ein „Blutbad“ bei Privat-Investoren auslösen – aber mittelfristig ist das fraglos eine richtige Entscheidung.

Deng Ge, Sprecher der China Securities Regulatory Commission, sagte nach Verkündung der neuen Maßnahmen auf einer Pressekonferenz, dass einige Investoren ein unzureichendes Verständnis für die Risiken der Märkte hätten und ermahnte die Privat-Investoren dazu, rational zu investieren.

Man ist versucht, diese Warnung auch jener Mehrheit der westlichen Profi-Investoren in Europa und den USA zuzurufen, die irrtümlich glauben, dass die Notenbanken allmächtig sind und sie vor allen Risiken beschützen könnten. Sie verhalten sich faktisch wie die euphorisierten Privat-Investoren Chinas und haben es inzwischen verlernt, Risiken adäquat einzupreisen. Das zeigen etwa die Risikoprämien für Staatsanleihen vor allem der Euro-Peripherie, aber insbesondere auch die durch die Geldpolitik der EZB aufgeblähten Aktienkurse.


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