Politik

Neue Flüchtlings-Wellen: EU-Sanktionen beschleunigen Zerstörung Syriens

Lesezeit: 10 min
14.09.2015 01:55
Die EU muss den Krieg in Syrien nicht willenlos akzeptieren: Die gegen das Land verhängten Sanktionen beschleunigen die Zerstörung und vertreiben Facharbeiter, Lehrer, Ärzte, Ingenieure. Sie werden weiter nach Europa kommen. Daher sollte Deutschland darauf drängen, die Sanktionen aufzuheben, die Botschaft in Damaskus wieder zu eröffnen und sich von dem Plan, Präsident Assad zu stürzen, verabschieden. Sonst versinkt der ganze Nahe Osten im Chaos.
Neue Flüchtlings-Wellen: EU-Sanktionen beschleunigen Zerstörung Syriens
Die Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld im September 2015 im ehemaligen palästinensischen Flüchtlingslager in Yarmouk, Damaskus. (Foto: DWN)

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Deutschland wird im Zusammenhang mit den Flüchtlingen so getan, als handle es sich um eine Natur-Katastrophe. Über die tatsächlichen Ursachen, die Kriege, ist wenig zu lesen. Sie haben in Ihrem Buch den „Flächenbrand“ im Nahen Osten beschrieben. Welche Rolle spielt die US-Außenpolitik?

Karin Leukefeld: Die USA sehen sich als alleinige Weltmacht, die alle Teile der Erde – vor allem die Rohstoffe und deren Transportwege - kontrollieren will. Im Mittleren Osten sind die USA seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, also seit 100 Jahren, involviert. Meist in enger Partnerschaft mit Großbritannien, der langjährigen Mandatsmacht in Ägypten, Irak und Palästina. Durch enge Beziehungen zu Saudi Arabien sicherte die USA sich den Zugang zum Öl der arabischen Halbinsel und einen Stützpunkt für die US-Armee, gleichzeitig sicherten engste Beziehungen zu Israel (seit 1948) den USA eine geostrategisch wichtige Position im östlichen Mittelmeerraum. Der Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel, der unter Druck/durch Vermittlung der USA geschlossen wurde, sicherte den Zugang zum strategisch wichtigen Suezkanal.

Das jüngste Kapitel der Tragödie in der Region begann mit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch im Irak 2003, auf der angeblichen Suche nach Massenvernichtungswaffen, die es nicht gab. Staatliche Strukturen wurden zerstört, gleichzeitig konfessionelle und ethnische Unterschiede hervorgehoben. Al Khaida im Irak erschien erst nach dem US-Einmarsch, heute gibt es Ableger dieser Gruppe im Jemen, Syrien, auf der Sinai-Halbinsel und Libyen, um nur einige Staaten zu nennen. Der so genannte „Krieg gegen den Terror“ hat dazu geführt, dass terroristische Organisationen sich immer mehr ausbreiten.

Durch Einmischung der USA und ihrer Verbündeten ist es den Staaten im Mittleren Osten seit ihrer von außen (Pariser Friedenskonferenz 1919/20) verordneten Gründung nach dem 1. Weltkrieg nicht gelungen, stabile, moderne Staatswesen zu errichten. Das auszuführen, ginge hier zu weit. Aber nur der Blick in die Geschichte ermöglicht uns heute, die tief verwurzelten Probleme zu erfassen. Ein weiterer Grund für die staatlichen Defizite in der Region liegt auch in den ungerechten und schwierigen sozialen Bedingungen in der Region. Es gibt Armut, Korruption, es gibt das Stammeswesen, das staatliche Ordnung ablehnt. Es gibt Königshäuser, autokratische Systeme und nicht zuletzt religiöse Autoritäten, die sich Modernität und Fortschritt widersetzen. Diese internen Probleme haben die USA im Mittleren Osten für ihre eigenen Interessen ausgenutzt. Divide et impera – teile und herrsche.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum fokussieren sich die Amerikaner so stark auf militärische Operationen statt auf eine zivile Durchsetzung ihrer Interessen?

Karin Leukefeld: Vermutlich ist es der Reflex einer Nation, die über die größten Streitkräfte der Welt verfügt und in der Rüstungs- und Ölinteressen eine zentrale Rolle spielen.

Politisch gibt es unterschiedliche Tendenzen innerhalb der USA. Die Demokraten setzen eher auf so genannte „soft power“: Einflussnahme durch Medien, Stärkung der Zivilgesellschaft, Förderung von ‚Nicht-Regierungsorganisationen‘, Stipendienprogramme an US-Instituten, Kurse für so genannte ‚Gute Regierungsführung“. Es gibt amerikanische Hochschulen und Institute in der Region, die ihre eigenen Kader ausbilden, die Strategie von „Winning of hearts and minds“.

Die Republikaner dagegen verfolgen eine mediale und militärische Eskalationsstrategie. Beispielhaft sei hier der republikanische Senator John McCain genannt. Er reiste in den letzten Jahren persönlich von Libyen bis Syrien, traf sich mit so genannten „Rebellen“ und sorgte dafür, dass sie mit Waffen beliefert wurden, als der US-Präsident offiziell noch sagte, er sei dagegen.

Dass der Demokrat Obama, der als Reformer ins Amt kam, und gleich mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, vor einem Jahr den Luftkrieg gegen den so genannten „Islamischen Staat im Irak und in der Levante“ (ISIS) zunächst im Irak (August 2014) und dann in Syrien (September 2014) befahl, ist auf innenpolitischen Druck verschiedener Seiten zurückzuführen. Vor allem die US-Rüstungsindustrie wird sich gefreut haben. Zu den ersten Angriffen auf Syrien um den 20. September 2014 gehörten 47 Tomahawk Cruise Missile Raketen, die – an einem Tag – von US-Kriegsschiffen im Roten Meer und dem Persisch-Arabischen Golf abgefeuert wurden. Eine dieser Raketen (Hersteller Raytheon) kostet 1,4 Millionen US-Dollar. Sie wurde schon im Krieg gegen Libyen 2011 in großer Zahl eingesetzt. Angesichts der sinkenden Haushaltsmittel in den NATO-Staaten für Rüstung sorgen die neuen Kriege im Mittleren Osten – Irak, Syrien, Jemen – für exzellente Geschäfte. Die arabischen Monarchien kaufen und zahlen gut. Auf der weltweit größten Waffenmesse der Welt, der IDEX in Abu Dhabi (2015), hatten US-Firmen zwei von sieben Hallen besetzt. In der Ausstellungshalle für Drohnen waren fast ausschließlich US-Anbieter vertreten. Allerdings machen auch französische, britische, deutsche und russische Rüstungsfirmen gute Geschäfte in der arabischen Welt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Unser Eindruck ist, dass die USA keiner nachhaltigen Strategie folgen, sondern, wie Henry Kissinger jüngst gesagt hat, nie an den „Exit“ bei einem Militär-Einsatz denken. Stimmt das – oder gibt es eine Agenda?

Karin Leukefeld: Auch Charles Dulfer, der in seinem abschließenden Bericht über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak eingestehen musste, dass der Irak solche Waffen nicht hatte, gab später zu, dass die USA keinen Plan im Irak gehabt habe. Hillary Clinton hat das gleiche über Afghanistan gesagt. Viele haben vor dem Krieg gegen den Irak 2003 gewarnt. Warum spricht Kissinger, der es bereits damals besser wusste, das erst 10 Jahre später aus? Wenn alles in Flammen steht?

Als außenstehende Beobachterin kann ich nur feststellen, dass die US-Administration dort, wo sie im Mittleren Osten militärisch eingegriffen hat, die Lage verschärfte und chaotisierte. Insbesondere durch die Zerstörung nationaler, staatlicher Strukturen und Armeen, wie im Irak. Und dann wird von einem „failed state“ gesprochen. Sollte das Vorgehen einem Plan, einer Agenda folgen, ist es vermutlich das „konstruktive Chaos“, von dem die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice 2006 anlässlich des Libanonkrieges sprach. Gewalt und Krieg werden entfacht und angefacht, um einen „Neuen Mittleren Osten“ zu erschaffen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie schreiben, dass es sehr stark um die Ressourcen des Nahen Ostens geht. Wo läuft hier die Konfliktlinie?

Karin Leukefeld: Wie gesagt, die Weltmacht USA will die Ressourcen und Transportwege weltweit kontrollieren. Dafür bricht sie nun vom Mittleren Osten in den Fernen Osten auf, Ziel ist China. Der Weg führt über Iran, Indien, Afghanistan, Pakistan, Russland. Das heißt nicht, sie verlässt den Mittleren Osten, aber sie verändert ihre Allianzen, um neue Ufer zu erobern, neue Ressourcen, neue geostrategische Punkte. Das führt dazu, dass bisherige Verbündete – insbesondere Saudi Arabien, Israel und die Türkei, aber auch Katar – sich von den USA absetzen wollen, um eigene, regionale Positionen zu behaupten oder auszuweiten. Das ist, was wir in Syrien sehen. Unabhängig von den genannten US-Partnern wollen auch der Iran und Russland ihre geostrategischen Interessen in der Region behaupten. Und all das wirkt sich in Europa aus, das zu den wichtigsten Abnehmern von Öl und Gas vom Golf, aus Russland und zukünftig auch aus dem Iran zählt. Israel, das angefangen hat, Gasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum zu fördern, plant zwei Pipelines durch das Mittelmeer nach Europa zu bauen, damit es in Zukunft sein Gas dorthin liefern kann. Rohstoffkonflikte spielen sich nicht mehr weit entfernt von uns ab, sondern vor unserer, vor der europäischen Haustür.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Eines der großen Rätsel ist die Tatsache, dass der IS quasi über Nacht entstanden sein soll. Sie kennen wie kaum jemand die Region – können Sie uns eine Erklärung liefern, woher der IS wirklich kommt?

Karin Leukefeld: Der IS ist 2004 als Abspaltung von Al Khaida im Irak entstanden. Damals hieß die Gruppe ISI – Islamischer Staat im Irak – und verübte furchtbare Anschläge, vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Nach 2006 war die Gruppe, auch durch Verhaftungen bzw. Tötung ihrer Anführer, geschrumpft, konnte sich aber im Schutz westirakischer Stämme - die teilweise enge Verbindungen in die ostsyrischen Wüstenprovinzen, nach Jordanien und bis nach Saudi Arabien hatten und haben - am Leben erhalten. Mit der Freilassung von bestimmten Persönlichkeiten aus britischer bzw. US-Militärhaft im Irak erhielt die Gruppe eine neue Führung. Als sich der Konflikt in Syrien ausweitete und vor allem militarisierte, zog ISI nach Syrien, um Kämpfer zu rekrutieren und Waffen zu ergattern. Der Nährboden von ISI war die US-Besatzung im Irak (2003-2010), Armut und die politische Ausgrenzung durch die autokratische Politik Nuri al-Malikis in Bagdad. Dass aus ISI der ISIS werden konnte, hat viele regionale Gründe. Unter anderem wurde die Gruppe von Saudi Arabien und von der Türkei benutzt, um den syrischen Präsidenten Bashar al Assad zu stürzen. Der gesellschaftliche Nährboden in Syrien war Armut, Stammesloyalität und der Einfluss von radikalen Predigern am Golf, die per Fernsehen die Menschen zum Aufstand gegen Assad aufriefen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Türkei als Nato-Mitglied führt ihren eigenen Krieg gegen die PKK – ist das mit den USA abgesprochen?

Karin Leukefeld: Grundsätzlich sieht die USA – wie alle NATO-Staaten – die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als „Terroristische Vereinigung“ an. In Deutschland werden deswegen weiterhin Unterstützer verfolgt oder zu Haftstrafen verurteilt. In Syrien und vor allem im Kampf gegen den IS wollte die USA die kurdische Bewegung in Syrien – die Partei der demokratischen Union (PYD) – als Bündnispartner einbinden und half deren Kämpfern mit gezielten Luftangriffen. Die PYD steht der PKK sehr nahe, das weiß man natürlich in Washington. Man weiß auch, dass es PKK-Einheiten waren, die die Jesiden im Nordirak vor dem IS geschützt haben, nicht die Peschmerga der nordirakischen kurdischen Regionalregierung. Die USA wollte die Kurden, PYD, PKK und die nordirakischen Kurden, einbinden und förderte den Friedensprozess mit der PKK in der Türkei. Aber die Türkei, genauer gesagt Präsident Erdogan, verfolgt eine andere Agenda. Erdogan nutzte den schweren Anschlag auf kurdische Unterstützer der PYD – die in der nordsyrischen Stadt Kobani beim Wiederaufbau helfen wollten – um genau gegen diese Bewegung militärisch vorzugehen. Die Türkei will ihre eigenen Interessen – regionale Großmacht zu sein – durchsetzen. Die Zerschlagung der PKK und ihrer Schwesterpartei PYD in Syrien steht da ganz oben auf der Agenda.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Russland ist natürlich auch nicht die Heilsarmee – und seit langem in Syrien präsent. Dennoch scheint uns, dass die Russen sich militärisch eher zurückhalten. Wie ist die Rolle Russlands?

Karin Leukefeld: Russland hat wie gesagt, wichtige geostrategische Interessen im Mittleren Osten und im östlichen Mittelmeerraum. Die bilateralen Beziehungen mit Syrien reichen zurück in die nachosmanische Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. In den 1950iger-Jahren, als der Kalte Krieg begann, wurde Syrien militärisch ausgerüstet und ausgebildet, doch Ausbildung und Ausrüstung gab es auch im Rahmen der bilateralen Ausbildungsprogramme im landwirtschaftlichen, im Wasserbereich und vielen mehr. Es gibt eine große Zahl bi-nationaler Ehen zwischen Syrern und Russen, weil viele Syrer in Russland studiert haben. Die russisch-orthodoxe Kirche betrachtet die Christen als Brüder und Schwestern. Syrien, wo einige der ältesten christlichen Gemeinden beheimatet waren und sind, wird von der russisch-orthodoxen Kirche unterstützt.

Im Rahmen bilateraler Militärabkommen wird die syrische Armee auch im aktuellen Konflikt von Russland unterstützt. Mit Waffen, Raketenabwehrbatterien, mit Ausbildern und Militärberatern. Russische Offiziere waren auch in Waffenstillstandsverhandlungen mit bewaffneten Gruppen involviert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sind die gerade bekannt gewordenen Pläne Russlands zu einem verstärkten militärischen Engagement Ihrer Meinung nach mit den USA abgesprochen?

Karin Leukefeld: Das Problem ist, dass die internationale Politik nicht transparent verläuft, sondern sich häufig auf geheimdienstlicher Ebene und jenseits einer nachvollziehbaren Öffentlichkeit abspielt. Und selbst das, was veröffentlicht wird, muss nicht stimmen oder ist nur eine halbe Wahrheit. Russland und die USA haben immer mehrere Optionen, die USA senden zudem widersprüchliche Signale aus und genießen im Mittleren Osten so gut wie kein Vertrauen mehr.

Insofern ist es schwer zu sagen, ob es eine Absprache gibt. Russland hat von den USA grünes Licht erhalten, alles für eine politische Lösung zu unternehmen – das zeigte sich an den vielen diplomatischen Bewegungen der letzten Wochen. Gleichzeitig versucht Moskau seit Monaten, die von den USA geführte Anti-IS-Allianz zu bewegen, mit Syrien und der syrischen Armee im Kampf gegen den IS zu kooperieren. An so einer Allianz würde sich möglicherweise auch Russland und auch der Iran beteiligen, die beide großes Interesse an der Zerschlagung des IS haben, der sozusagen vor ihrer Haustür die Säbel wetzt. Indirekt gibt es eine Kooperation über den Irak, wie der syrische Präsident Bashar al-Assad in einem BBC-Interview bestätigte. Syrien und Iran haben Kontakt zum Irak, ebenso die USA.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Syrien und der Irak durch den Krieg faktisch zerstört sind. Kümmern sich die westlichen Kriegsparteien in irgendeiner Form um die Zivilbevölkerung?

Karin Leukefeld: Der Westen hat viel Geld bezahlt, um die Flüchtlinge in den Lagern der Türkei, im Nordirak, Jordanien und im Libanon zu halten. Auch in Syrien ist der Westen offiziell durch Nichtregierungsorganisationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sowie durch fast alle UN-Organisationen vertreten.

Die syrische Opposition mit Sitz in Istanbul (Etilaf) wird ja bekanntlich auch vom Westen unterstützt. Es gibt eine Exil-Regierung in Gaziantep, die sich nach eigenen Angaben darauf vorbereitet, in einer Flugverbotszone im Norden Syriens – die von der syrischen Auslandsopposition seit 2011 gefordert wird – eine Gegenregierung auszurufen und neue Truppen aufzustellen – gegen die syrische Armee und gegen Präsident Assad als auch gegen IS. Und sie will die Infrastruktur wieder aufbauen. Allerdings ist bekannt, dass Etilaf höchstens 5% der bewaffneten Gruppen in Syrien beeinflussen kann. Ihr Einfluss ist gering.

Westliche Nichtregierungsorganisationen sind in den von bewaffneten Gruppen kontrollierten Gebieten in Syrien tätig, teilweise mit Geldern und/oder der politischen Unterstützung der jeweiligen Regierungen. Nun wird den Flüchtlingen direkt in Europa geholfen – das allerdings führt dazu, dass die letzten der verbliebenen Facharbeiter, Ärzte Ingenieure, Lehrer ihre Heimat verlassen, um in Europa neu anzufangen. Für die Zivilbevölkerung in Syrien – immerhin noch mindestens 18 Millionen Menschen, hat das verheerende Folgen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was müsste oder könnte Deutschland tun, um den Krieg zu stoppen?

Karin Leukefeld: Deutschland ist weiterhin gut angesehen in Syrien. Die Bundesregierung sollte Gespräche mit Damaskus wieder aufnehmen, ohne Vorbedingungen wie die, dass der syrische Präsident Assad abtreten müsse. Gebraucht wird Dialog statt Eskalation und Festhalten an erfolglosen Konzepten. Wie andere Staaten auch – beispielsweise Norwegen – sollte Deutschland seine Botschaft in Damaskus wieder öffnen. Und die Bundesregierung sollte sich für ein Ende der EU-Wirtschaftssanktionen gegen Syrien einsetzen. Diese Strafmaßnahme knebelt die syrische Wirtschaft und die Bevölkerung zusätzlich zum Krieg. Es hat sich eine Kriegswirtschaft in Syrien entwickelt. Waffen- und Menschenhändler, Schmuggler und Milizen werden reich, während einzelne Betriebe – von denen etliche übrigens auch eng mit deutschen Betrieben kooperiert hatten – schließen müssen oder zerstört wurden. Kinder tragen Waffen, anstatt in die Schule zu gehen. Deutschland sollte auf die Türkei einwirken, ihre Grenzen für IS-Kämpfer und andere Dschihadisten, die die Türkei als Hinterland nutzen, effektiv zu schließen. Auch gestohlene Kulturgüter, die über die Türkei für den internationalen Schwarzmarkthandel abtransportiert werden, dürfen die Grenze zur Türkei nicht weiter passieren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollte der Krieg weitergehen – und danach sieht es ja leider eher aus: Was bedeutet das für die Vertreibung der Menschen? Wird der Flüchtlingsstrom anschwellen?

Karin Leukefeld: Krieg und Gewalt führt immer zu Flucht und Vertreibung. Die UN ist bei dem Management dieser Flüchtlinge schon lange an ihre Grenze gekommen. Wenn man will, dass die Menschen nicht mehr fliehen müssen, muss man den Krieg in Syrien beenden. Nicht mit neuer Gewalt, sondern durch einen Dialog mit der syrischen Regierung und mit den regionalen Akteuren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die UNO und mit dem Völkerrecht ein internationaler Mechanismus zur Konfliktbeilegung geschaffen. Das muss eingehalten und gestärkt werden. Was wir heute sehen, ist Politik in Wildwest-Manier.

***

Karin Leukefeld, Jahrgang 1954, Studium der Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften. Sie berichtet seit dem Jahr 2000 als freie Journalistin aus dem Nahen und Mittleren Osten für Tages- und Wochenzeitungen sowie den ARD-Hörfunk

Sie hat ein äußert lesenswertes Buch geschrieben, dessen Lektüre die Zusammenhänge im Nahen Osten erklärt: "Flächenbrand. Syrien, Irak, die arabische Welt und der Islamische Staat", erschienen bei PapyRossa. In dem Buch beleuchtet Leukefeld die Geschichte der Konflikt-Parteien, die unterschiedlichen geopolitischen Interessen und kann ihre Erkenntnisse durch ihre journalistische Tätigkeit in der Region glaubwürdig belegen. Das Buch kann beim Verlag, bei Amazon oder im guten deutschen Buchhandel bestellt werden.


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