Gemischtes

Österreich: Bauwut gefährdet Versorgung mit heimischen Lebensmitteln

Jeden Tag wird in Österreich eine Fläche von 30 Fußballfeldern verbaut. Österreich ist Europameister im Zerstören fruchtbarer Böden, warnen Experten. Schon jetzt trägt die Bauwut dazu bei, dass nicht ausreichend Ackerland vorhanden ist, um die Versorgung mit Lebensmitteln im Notfall sicherzustellen.
16.10.2015 11:22
Lesezeit: 2 min

Der Bedarf an Bauland in Österreich ist enorm. Täglich wird hier mehr Fläche verbaut als in Deutschland oder in der Schweiz: 20 Hektar. „Wir müssen den rasanten Bodenverbrauch in Österreich stoppen“, fordern der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Agrar- und Umweltrecht, Roland Norer, der Universitätsprofessor Gottfried Holzer (Universität für Bodenkultur Wien) und Kurt Weinberger von der Österreichischen Hagelversicherung. „Dazu müssen wir Bewusstsein schaffen, dass der Boden die Basis für unser Leben ist.“ Sie wollen eine bodenschonende Raumplanung, um landwirtschaftliche Vorrangflächen gesetzlich zu schützen und leerstehende Immobilien wieder in wirtschaftliche Nutzung zu bringen.

Österreich ist bei der Verbauung fruchtbarer Böden Europameister im negativen Sinn“, so Kurt Weinberger von der Hagelversicherung. „Täglich werden in Österreich rund 20 Hektar wertvolle Wiesen und Äcker für Straßen, Siedlungen, Shopping-Center oder Industriehallen verbaut.“ Mit 15 Meter Straßenlänge pro Kopf hat Österreich international das längste Straßennetz vorzuweisen. Deutschland und die Schweiz haben mit 7,9 und 8,1 Metern pro Kopf deutlich weniger.

Allein in den vergangenen 50 Jahren seien 300.000 Hektar Böden versiegelt worden. Hält die Entwicklung in der Geschwindigkeit an, wäre Österreichs gesamte Agrarfläche bereits in 200 Jahren zubetoniert. Aus diesem Grund fordern die Experten auch den Rückgriff auf leerstehende Gebäude und ungenutzte Brachflächen. Dem Umweltbundesamt zufolge gibt es allein 13.000 Hektar ungenutzt Industriehallen und leerstehende Wohnungs- und Geschäftsimmobilien in einer Größenordnung von 50.000 Hektar. Statt einer Zersiedelung sollten alte Ortskerne wieder besiedelt und revitalisiert werden. Dazu brauche es aber auch Anreize, so Weinberger.

Dabei geht es bei der massiven Bebauung nicht einfach nur um das Verschwinden der Natur. Vielmehr begünstigt das Fehlen von Ackerflächen eine Zunahme der Unwetterschäden und einen Rückgang des Tourismus. Sogar die heimische Lebensmittelversorgung ist mittlerweile gefährdet.  „Dem Erhalt landwirtschaftlicher Böden muss schon allein aus dem Grund der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln künftighin in Interessensabwägungen verstärktes Gewicht zukommen“, sagt Roland Norer von der Österreichischen Gesellschaft für Agrar- und Umweltrecht. „Es ist heute nicht mehr zu rechtfertigen, wenn der Bodenverbrauch zum Beispiel für Infrastrukturen oder Siedlungen höher gewichtet wird als Böden zur Produktion von heimischen Lebensmitteln.“

Bereits jetzt existiere die Fläche, die notwendig wäre, um die gesamte österreichische Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln zu versorgen schon nicht mehr. Während normaler Weise jede Einwohner pro Kopf dafür eine Ackerfläche von 3.000 Quadratmetern benötigen würde, stehen in Österreich nur mehr 1.600 Quadratmeter pro Kopf zur Verfügung.

„Eine gesetzliche Ausweisung von landwirtschaftlichen Vorrangflächen und die damit verbundene Festlegung von Siedlungsgrenzen könnten ein Fortschreiten des ungezügelten Bodenverbrauches bewirken “, so Gottfried Holzer von der Universität für Bodenkultur Wien. Österreich solle auch in Zukunft ein Land der Äcker und nicht ein Land der leeren Industriehallen, Straßen und Einkaufszentren sein. Böden sind unsere Lebensgrundlage.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Frankreich: Regierung von Premier François Bayrou scheitert bei Vertrauensfrage
08.09.2025

Frankreichs Regierung unter Premier François Bayrou ist an der Vertrauensfrage gescheitert. Ein krachendes Votum zwingt Präsident...

DWN
Politik
Politik Höhere Beitragsbemessungsgrenzen: Sozialbeiträge werden für Beschäftigte 2026 spürbar steigen
08.09.2025

Die schwarzrote Koalition will die Beitragsbemessungsgrenzen für Rente, Pflege und Krankenversicherung anheben – mit der Begründung,...

DWN
Politik
Politik Government Pension Fund Global: Norwegens Ölfonds trotzt den USA
08.09.2025

Der Government Pension Fund Global (GPFG) sorgt für Streit: Nach dem Ausschluss von Caterpillar und israelischen Firmen drohen die USA mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autozulieferer unter Druck: Stellenabbau bei Bosch, Conti, ZF – Autobranche kämpft ums Überleben
08.09.2025

Die deutsche Autobranche steckt in einer existenziellen Krise. Auftragseinbrüche, Milliardeninvestitionen in E-Mobilität und massiver...

DWN
Finanzen
Finanzen Wölfe der Wall Street: US-Börsen zwischen Rekorden und Unsicherheiten – steigt der Goldpreis auf 5.000 Dollar?
08.09.2025

Die US-Börsen schwanken zwischen Euphorie und Risiko: Rekorde bei S&P 500 und Nasdaq treffen auf Sorgen um Fed-Unabhängigkeit und...

DWN
Politik
Politik EU-Asylagentur: Deutschland bei Asylanträgen nicht mehr führend
08.09.2025

Seit mehr als zehn Jahren lag Deutschland bei Asylanträgen in Europa unangefochten an der Spitze. Nun übernehmen Frankreich und Spanien...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Warum Führungskräfte manchmal unlogische Entscheidungen treffen – und was zu tun ist
08.09.2025

Führungskräfte treffen oft irrationale Entscheidungen – aus Zeitdruck, Denkfehlern oder Selbstüberschätzung. Doch wer mutig ist und...

DWN
Politik
Politik Zwei Jahre nach dem Start: Wird die Regierung das Heizungsgesetz abschaffen?
08.09.2025

Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Heizungsgesetzes plant die schwarz-rote Koalition Änderungen. Zwischen Klimazielen, Förderkürzungen...