Die Wiener Syrien-Konferenz ist zwar ein Anfang: Es hat den Anschein, als würden die Groß- und Regionalmächte ernsthaft über eine diplomatische Lösung sprechen. Doch tatsächlich sind alle Parteien zunächst bestrebt, in Syrien selbst Terrain zu gewinnen.
Die US-Verbündeten Saudi-Arabien, Katar und das Nato-Land Türkei mischen besonders aktiv mit. Die Türkei hat wenige Tage vor der Parlamentswahl die Kurden in Syrien unter Beschuss genommen. Ankara spricht von einem Angriff auf „kurdische Kämpfer“. Ob allerdings bei dem Angriff am Sonntag auf Tal Abjad auch Zivilisten getötet wurden, ist nicht bekannt. Die kurdische PYD-Partei sagt, es sei niemand zu Schaden gekommen. Das kann aber auch eine Durchhalteparole sein. Die PYD sind mit den USA verbündet. Doch weder Washington noch die Nato fahren Erdogan bei seiner militärischen Aggression in die Parade.
Die USA hoffen auf die Hilfe der Saudis, die den Terror in der Region seit Jahrzehnten finanzieren. So meldet die iranische Nachrichtenagentur Fars, Saudi-Arabien habe konkrete Pläne für eine Intervention gehabt. Der Plan wurde laut Fars allerdings vereitelt. Saudi-Arabien wollte aus dem Süden angreifen und dazu die Hilfe der der „Jaish al-Islam“-Gruppe in Anspruch nehmen.
Der Plan soll entstanden sein, als Russland ein Angebot von Saudi-Arabien ausgeschlagen hatte, welches der Verteidigungsminister und Kronprinz Mohammed bin Salman am 19. Juni in Moskau gemacht hatte.
Vor zwei Wochen wurde laut Fars bekannt, dass Saudi-Arabien und Jordanien einen Blitzangriff auf Damaskus geplant hatten. Die Russen, die darüber informiert waren, hätten deswegen ihre Kampfhandlungen aus dem Norden Syriens in den Süden verschoben. Dabei sollen vor allem Kommandozentralen der Rebellengruppen zerstört worden sein, was zu einem Scheitern des saudischen Angriffs geführt haben soll.
Katar hat vor einigen Tagen bekanntgegeben, dass man nun selbst mit Söldnern in Syrien eingreifen wolle. Die Times of Israel berichtet, die Kataris wollten nicht gegen den IS kämpfen, sondern gegen die syrische Armee von Präsident Baschar al-Assad. Die Doha News melden ebenfalls, dass sich Katar auf ein militärisches Eingreifen vorbereite.
Die Amerikaner erwägen nach Aussage von US-Verteidigungsminister Ashton Carter den Einsatz von Bodentruppen. Doch auch diese dürfte nur Kraftmeierei sein: Die US-Geheimdienste sind mit ihrem Konzept, Söldner in der Region ihre Arbeit verrichten zu lassen, auf ganzer Linien gescheitert. Dies räumte sogar US-Präsident Barack Obama ein, der sagte, er sei von Anfang an skeptisch gewesen, wollte aber einen Test starten, ob das Söldnerkonzept funktioniere. Auch jetzt werden vermutlich ein paar Spezialkräfte ins Land geschickt, was aber auch keine Neuheit ist: Die US-Armee kämpft mit Profis seit Monaten in Syrien, wie jetzt auch die New York Times berichtete. Die Aktion sei so geheim, dass man nicht einmal ihren Namen kenne. Doch Beobachter aus den Geheimdiensten wissen, dass „Militärberater“ als verdeckter Begriff für Söldner verwendet wird, um sich Erklärungen in der Öffentlichkeit zu ersparen. Jüngsten Wikileaks-Dokumenten zufolge war Teil der US-Strategie, die Mittelschicht aus Syrien zu vertreiben, um Assad zu schwächen.
Zu diesem Zweck haben die Amerikaner eine Allianz mit der zu al-Kaida gehörenden al-Nusra Front geschlossen. Die Amerikaner haben große Mengen an Waffen in die Region verbracht, ohne zu kontrollieren, in wessen Hände das Kriegsgerät geraten könnte. Tatsächlich sind auf diesem Weg auch Waffen beim IS gelandet, dessen Entstehen die USA wider besseres Wissen nicht verhindert haben, weil sie Assad stürzen wollen.
Wie erfolgreich die Russen wirklich sind, ist schwer zu sagen. Die Erfolgsmeldungen aus den ersten Tagen der Offensive sind auf der Nachrichtenagentur TASS eher spärlich geworden. Am Donnerstag meldete die TASS, die Syrische Armee befinde sich auf dem Vormarsch zur türkischen Grenze. Doch die Meldung klingt eher wie eine Absichtserklärung.
Der Iran dürfte tatsächlich auch Kampftruppen in Marsch gesetzt haben. Das berichtete die Times of Israel vor einigen Tagen. Wie weit die Truppen gekommen sind, ist unklar.
Die Saudis sind wegen des iranischen Engagements nervös. Die Kampfzone hat sich daher auf den Irak ausgeweitet: Auf ein Lager der iranischen Oppositionsgruppe Volksmudschaheddin im Irak hat es laut lokalen Medien massive Raketenangriffe gegeben. Wie das unabhängige Nachrichtenportal Sumaria News unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete, wurden am Donnerstagabend 38 Katjuscha-Raketen auf das «Camp Liberty» in der Nähe von Bagdad sowie auf anderen Anlagen in der Umgebung gefeuert.
Nach Angaben der deutschen Vertretung des Nationalen Widerstandsrates Iran (NWRI) schlugen mindestens 80 Raketen im Camp ein. Die Anzahl der Toten und Verletzten sei unklar, hieß es zunächst. Offen blieb zudem, von wem die Attacke ausging. Erst 2013 hatte es tödliche Angriffe auf das Camp gegeben, wo nach UN-Angaben damals 3100 Iraner lebten. Iraks ehemaliger Präsident Saddam Hussein hatte der Widerstandsgruppe seinerzeit gestattet, von irakischem Boden aus gegen den Iran zu operieren. In der aktuellen Führung in Bagdad spielen Schiiten jedoch eine wichtige Rolle, die gute Beziehungen zu Teheran pflegen und die Volksmudschaheddin so schnell wie möglich loswerden wollen. Wer die Iraner angegriffen hat, ist unklar.
Die faktisch völlig außer Kontrolle geratenen Kampfhandlungen versetzen die Zivilbevölkerung in der Region nicht bloß in Angst und Schrecken und schlagen sie in die Flucht. Die Kampfparteien, die nicht mehr zu identifizieren sind, machen auch vor dem direkten Beschuss von zivilen Einrichtungen nicht Halt.
Bei Luftangriffen in Nordsyrien sind der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) zufolge mindestens zwölf Krankenhäuser getroffen worden. Mindestens 35 Patienten und Mitglieder des Personals seien bei den Angriffen in den vergangenen Wochen getötet worden, erklärte die Gruppe am Donnerstag. Betroffen seien Hospitäler in Aleppo, Idlib und Hama. Sechs Krankenhäuser hätten schließen müssen. MSF machte keine Angaben dazu, welches Land für die Angriffe verantwortlich sei. Der für Syrien zuständige MSF-Vertreter Sylvain Groulx erklärte, es sei für ihn immer noch unfassbar, „mit welcher Leichtigkeit alle Beteiligten an diesem Konflikt das Völkerrecht brechen“.